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Verkehrswende im Fernverkehr:Gib Gas

Die 200 000 Lkw in Deutschland tanken fast ausschließlich Diesel. Doch die Umweltbilanz ist verheerend. Verflüssigtes Erdgas soll sie verbessern. Doch neue Studien zeigen: Es gibt kaum einen CO₂-Vorteil.

Von Joachim Becker

Billiger Diesel ist Gift für das Klima. Seit 1990 sind die Treibhausgasemissionen des Straßengüterverkehrs um mehr als 40 Prozent gestiegen. "Wir können nicht erwarten, dass Spediteure alternativ angetriebene Fahrzeuge kaufen, wenn sich diese nicht rechnen und es keine Infrastruktur dafür gibt", warnte Erik Jonnaert, damaliger Generalsekretär des europäischen Automobilverbands ACEA, vor einem Jahr. Seitdem ist der Dieselpreis gesunken und hat die Verkehrswende noch schwieriger gemacht. Gerade im Transportgewerbe, das mit jedem Cent rechnet.

Fernverkehrs-Lkw sind die Arbeitspferde der Globalisierung. Seit 1990 hat sich die Transportleistung auf der Straße auch durch die EU-Osterweiterung und einen boomenden Onlinehandel verdoppelt. Die Motoren sind bis ins letzte Detail optimiert, der Diesel-Durst lässt sich vielleicht noch um 15 Prozent reduzieren. Spätestens dann steht ein Systemwechsel an - aber wohin?

Womöglich gibt es auf diese Frage nicht eine einzige, sondern mehrere Antworten - je nach Reichweite. Elektrofahrzeuge schleppen auf der Langstrecke zu viel Batteriegewicht mit sich herum. Und für ein europäisches Netz von Oberleitungen an der Autobahn fehlen sowohl das Geld als auch der politische Wille. Ohne eine (Tank-)Infrastruktur für tiefkalten Wasserstoff hat auch die Brennstoffzelle im Fernverkehr keine große Zukunft. Dieser Flüssigkraftstoff müsste großindustriell aus nachhaltig erzeugtem Strom produziert werden - ein Jahrhundertprojekt, das sich nur länderübergreifend bewältigen lässt.

Es hat also einen Grund, dass die gut 200 000 Lkw in Deutschland mit einem Gewicht von mehr als zwölf Tonnen fast ausschließlich Diesel schlucken. Mit 1000-Liter-Tanks kommen sie mehr als 3000 Kilometer weit. Auch die Laufleistung von mehr als einer Million Kilometer erreicht bisher kein Elektro- oder Wasserstofffahrzeug unter diesen Belastungen. In der vergangenen Woche hat der Bundestag daher beschlossen, dass Lkw mit Gasantrieb bis 2023 mautfrei bleiben. Zudem hat sich die Besteuerung von LNG geändert. Das tiefgekühlte Gas wird nicht mehr als Flüssigkeit eingestuft, wodurch die Mineralölsteuer entfällt. Das sind starke Anreize, zumal sich der Gaspreis ebenfalls halbiert hat.

LNG hat kaum einen CO₂-Vorteil gegenüber dem Diesel

Umweltverbände kritisieren, dass mit dem fossilen Erdgas nichts für das Klima gewonnen sei. Nach Praxistests mit mobilen Messgeräten hatte auch Transport & Environment (T & E) im vergangenen Herbst den Daumen gesenkt. Die Subventionierung von umweltschädlichen LNG-Lkws in Form der extrem niedrigen Besteuerung von fossilem Erdgas im Verkehr solle in Europa beendet werden, so die Emissionsexperten.

In der Theorie stoßen Gasmotoren rund 20 Prozent weniger CO₂ aus, weil Methan weniger Kohlenstoff und mehr Wasserstoff enthält als Diesel. Doch eine neue Studie des Freiburger Öko-Instituts im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) macht eine andere Rechnung auf. Angefangen vom Methanschlupf bei der Gasförderung und -verarbeitung bis zu Verlusten bei Transport und Tanken: Prozent für Prozent schmilzt der CO₂-Vorteil gegenüber dem Diesel. Zumal der Selbstzünder sein vorteilhaftes Verbrennungsprinzip auch in den vergangenen Jahren weiter optimiert hat. Gasmotoren sind wie Benziner beim Wirkungsgrad (aufgrund der Fremdzündung) im Nachteil. Außerdem gilt bei Lkw schon länger die Abgasnorm Euro 6, die bei Pkw in der finalen Stufe gerade eingeführt wird. Bei Stickoxiden und Feinstaub hat der Gasmotor laut den Straßenmessungen von T & E je nach Entwicklungsstand sogar Nachteile. Außerdem würden LNG-Trucks, abhängig vom Einsatzprofil, nur zwischen drei und 14 Prozent CO₂ einsparen. Und auch dieser Vorteil geht in der Gesamtbetrachtung (well-to-wheel) flöten.

"Das Potenzial von Biomethan ist noch nicht ausgeschöpft"

Anders sähe es mit (der Beimischung von) Biogas aus. "Das Potenzial von Biomethan ist noch nicht ausgeschöpft", hat die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) jüngst in einer Studie festgestellt: "Das mobilisierbare Potenzial in Deutschland wird bis 2030 auf 118 Terawattstunden geschätzt. Damit könnten 12 Millionen PKW oder 185 000 LKW betrieben werden", so die Experten für die Verknüpfung von Verkehrs- und Energienetzen (Arbeitsgruppe 5). Da sich Volkswagen als Marktführer bei gasgetriebenen Pkw von der Technologie verabschieden wird, bleibt mittelfristig mehr Biogas für den Schwerlastverkehr oder den industriellen Einsatz übrig. Allerdings wird an den acht öffentlich zugänglichen, festinstallierten LNG-Tankstellen in Deutschland bisher kein Biogas angeboten: "Bio-LNG kann aktuell nicht auf die Treibhausgas-Quote angerechnet werden. Dies ist ein großes Hemmnis für Investitionen in Bio-LNG-Anlagen", so die NPM-Studie.

Jede Antriebsalternative kämpft mit Nachteilen wie hohen Anschaffungskosten, geringer Reichweite und einer fehlenden Versorgungsinfrastruktur. Der Gasantrieb für Lkw scheint sich aus diesem Dilemma nun befreien zu können: "Wo andere vielleicht lieber auf neue Technologien warten, die möglicherweise erst in einigen Jahren realisiert werden können, wollen wir keine Zeit verlieren", sagt Fabian Ziegler von Shell Deutschland: "Die LNG-Technologie ist ausgereift, verfügbar und konkurrenzfähig." Der Energiekonzern will bis 2022/23 eine Gas-Verflüssigungsanlage im Rheinland bauen, die rund 100 000 Tonnen Biomethan verarbeiten soll. Dadurch könnten im deutschen Schwerlastverkehr mittelfristig bis zu eine Million Tonnen CO₂ pro Jahr eingespart werden.

Der grüne Zweig der Ölraffinerie in Köln/Godorf kühlt das Biomethan aus dem Erdgasnetz auf minus 162 Grad Celsius. Das so verflüssigte Gas hat etwa die Energiedichte von Diesel und kann als klare, farblose und ungiftige Flüssigkeit per Tankwagen an die Tankstellen gebracht werden. Die NPM geht davon aus, dass Bio-LNG mittelfristig knapp zehn Prozent des gesamten Dieselbedarfs von schweren LKW in Deutschland ersetzen könnte. Es kann also nur Teil einer Lösung sein, aber immerhin. Dank der Mautbefreiung wächst die Nachfrage, obwohl die Antriebsalternative ungefähr ein Drittel teurer ist als ein Diesel-Lkw. Ein Großteil der Kosten ist den doppelwandigen, vakuumisolierten Edelstahltanks für die tiefkalte Flüssigkeit geschuldet, die bisher nur in geringen Stückzahlen gebaut werden.

40 LNG-Tankstellen könnten ausreichen

40 000 Euro extra für einen schweren LNG-Lkw sind fast nichts im Vergleich zu den Mehrkosten für eine Elektrovariante, die der Transportverband BGL auf 200 000 Euro extra taxiert. Bei einem Brennstoffzellen-Lkw beträgt der Aufpreis laut BGL 400 000 Euro. Kein Wunder, dass die Spediteure auf ein "integriertes Anreizsystem" warten, "das auf die Klimaschutzziele 2030 ausgerichtet ist" (BGL). Dank der Mautbefreiung und des angekündigten Ausbaus der LNG-Tankinfrastruktur scheint sich die zögerliche Stimmung im Transportgewerbe nun langsam zu drehen. Knapp 2000 LNG-Trucks sind bereits in Deutschland unterwegs. Für eine flächendeckende Versorgung könnten 40 LNG-Tankstellen ausreichen. "Dieses Netz würde sowohl den europäischen Transitverkehr als auch den regionalen Logistikverkehr bedienen können", so die NPM.

Den Mehrkosten für die Gastrucks stehen eine Direktförderung von 12 000 Euro durch den Bund, die Befreiung von der Mineralölsteuer und eine Mautersparnis von 18,7 Cent pro Kilometer gegenüber. Bei 120 000 bis 150 000 Kilometer, die ein Fernverkehrstruck pro Jahr durchschnittlich zurücklegt, macht allein die Mautersparnis mehr als 20 000 Euro aus. Die Mehrkosten sind also bald wieder drin - zumal die Spediteure auf eine weitere Verlängerung der Mautbefreiung hoffen können. Die Politik dürfte künftig wohl stärker darauf achten, dass alle Lkw für ihre hiesigen Treibhausgasemissionen bezahlen. Die viel diskutierte CO₂-Steuer auf Dieselkraftstoff reicht als alleinige Lösung nicht aus: Ausländische Lkw, die in Deutschlandmehr als 40 Prozent Marktanteil haben, können diesen Malus leicht umgehen. Solange sie mit großen Tanks und billigem Sprit aus ihrer Heimat kreuz und quer durch Europa fahren, braucht es genau das: Eine Gesamtlösung, die auch osteuropäische Billigspediteure nicht aus der Verantwortung entlässt.

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SZ vom 23.05.2020/reek
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