Lilium Aviation:Fliegende Autos aus Bayern, die senkrecht starten

Lilium Aviation: Szene aus dem Science-Fiction-Film "Das fünfte Element", der den Leuten bei Lilium Aviation als Inspiration diente.

Szene aus dem Science-Fiction-Film "Das fünfte Element", der den Leuten bei Lilium Aviation als Inspiration diente.

(Foto: imago stock&people)
  • In Gilching bei München entwickelt das Start-up Lilium Aviation fliegende Autos.
  • Firmengründer Daniel Wiegand hat bereits Geld von mehreren Investoren eingesammelt, um das personal air vehicle, kurz PAV, zur Serienreife zu bringen.
  • Doch Luftfahrtexperten sind skeptisch, ob dessen eigenwillige Technik überhaupt funktionieren kann.

Von Hannes Vollmuth

Vor ein paar Tagen gab der Skype-Gründer Niklas Zennström bekannt, mit seinem Fond "Atomico" in die Zukunft der Fliegerei zu investieren, besser gesagt zehn Millionen Euro in das deutsche Start-up "Lilium Aviation" zu stecken, das in Gilching bei München sitzt, in einem Gewerbegebiet. Ist man dann vor Ort, hat man große Probleme, "Lilium Aviation" überhaupt zu finden. Es gibt kein Schild. Am Ende wird man erfahren: alles Absicht. Und ein bisschen Faulheit war auch dabei.

Als man dann endlich doch die richtige Tür findet - die Räume liegen im Erdgeschoss - ist wenig Start-up-Atmosphäre zu spüren. Stattdessen konzentrierte, aufgeräumte Nüchternheit. Lilium-Gründer Daniel Wiegand, 31, wartet schon auf dem Gang, Slim-Fit-Hemd und Macbook unterm dem Arm, er führt mit gedämpfter Stimme durch die mucksmäuschenstillen Büroräume seiner anwesenden Mitarbeitern. Wiegand ist seit seinem 14. Geburtstag Segelflieger, hat im Moment aber keine Zeit mehr dafür. Fast jede Minute arbeitet er daran, dass bald alle abheben können.

250 km/h schnell, batteriebetrieben, CO₂-neutral

Es klingt nach Science-Fiction, aber südwestlich von München arbeiten gerade 35 überwiegend junge Menschen an einem Lufttaxi: 250 Stundenkilometer schnell, batteriebetrieben, CO₂-neutral. Das Lufttaxi soll senkrecht starten und damit überall abheben können, leiser fliegen als jeder Helikopter, total einfach zu bedienen und trotzdem sicher sein. Wenn ein System ausfalle, übernehme ein anderes. "Wir glauben, dass sich die ganze Art der Mobilität verändern wird, und unser Beitrag ist ein einfaches, leises Flugtaxi", sagt Wiegand.

Wiegand klappt seinen Laptop auf, startet ein Video und sagt selbstbewusst: "Als wir das ins Netz stellten, haben die ersten Investoren sich gemeldet." Zu sehen ist ein schwarzes Ding, das von einem Acker abhebt, in die Lüfte entschwebt und entfernt an eine schnittige Dachbox fürs Auto erinnert: der Falcon, ein Prototyp in halber Größe mit 36 batteriebetriebenen Triebwerken und Bordrechnern mit Flugsteuerung. Das Video stammt aus dem Oktober 2015. Anschließend meldete sich Frank Thelen, bekannt als Investor in der RTL-Show "Die Höhle der Löwen", und stieg mit 15 Prozent ein.

Fliegen, so einfach wie Autofahren

Der Mensch träumte schon immer vom Fliegen. Schon in der griechischen Sage wollten Dädalus und Ikarus sein wie Vögel. Es folgten viele weitere, Leonardo da Vinci, Otto Lilienthal, die Brüder Wright, Charles Lindbergh, der als Erster den Atlantik überflog. Heute fliegen pro Jahr 3,3 Milliarden Menschen, man fliegt ins All und in den Urlaub. Aber es gibt neue Träume: personal air vehicle, kurz PAV, kleinere, ultraleichte Flugzeuge, mit denen jeder spontan irgendwohin fliegen kann. Fliegen, so einfach wie Autofahren. Für Daniel Wiegand begann dieser Traum 2013 in Schottland.

Damals verbrachte Wiegand ein Erasmus-Semester in Glasgow, ein Energietechnik-Student mit Spezialisierung auf Flugantriebe, dem ein bisschen die Lust an seinem Studium vergangen war. Am Tag besuchte er Politik- und Architektur-Vorlesungen, am Abend schaute er Youtube, vor allem wie die V-22 Osprey, ein Militär-Flugzeug, senkrecht startete.

Wiegand war schon als Kind flugbegeistert gewesen: Mit elf baute er Modellflieger mit Elektromotor komplett nach Gefühl, mit 14 saß er zum ersten Mal alleine im Segelflieger. Einen adaptiven Tragflügel entwickelte er für "Jugend forscht" und gewann damit Preise. In Glasgow, vor Youtube, dachte sich Wiegand: "Senkrechtstarter sind schnelle und effiziente Flugzeuge, das muss es doch für jedermann geben." Er begann seine Idee durchzurechnen, erst aus Spaß, dann immer ernsthafter.

"Das fünfte Element" als Inspiration

Zurück in München gründete Wiegand zuerst ein Team, dann ein Start-up. "Ab da hatte ich wieder ein Ziel, das fühlt sich gut an." Er erkannte, dass alles, was er für den Bau eines Flugtaxis in der Stadt benötigte, bereits vorhanden war: ultraleichte Materialien, Sensoren, Computer, leistungsfähige Batterien. Im Science-Fiction-Film "Das fünfte Element", in dem Bruce Willis mit einem fliegenden Taxi durch Wolkenkratzerschluchten rast, sah das Gründerteam seine Vision schon erfüllt. Das Start-up nannten sie Lilium, angelehnt an den Namen des Flugpioniers Otto Lilienthal. Anfang 2015 gewann das Unternehmen die Europäische Weltraumorganisation als Unterstützer.

Lilium ist nicht das einzige Start-up, das an einem ultraleichten und vor allem ultraleicht zu bedienenden Flugzeug arbeitet. Weltweit gibt es mehrere Dutzend, Joby Aviation aus den USA zum Beispiel oder Ehang aus China. Das Interesse an der Branche ist so groß wie die Skepsis. Das Fraunhofer-Institut schrieb: "Trotz der vielen Fortschritte und sichtbaren Erfolge in Form von Demonstratoren und Prototypen besteht jedoch im Bereich der PAVs noch ein großer Forschungsbedarf, bis diese tatsächlich massentauglich sind."

Fliegen mit der Leistung eines Formel-1-Autos

Wiegand führt durch die Werkstatt: Von den Wänden hängen Kabelstränge, zwei Mitarbeiter kauern vor ihren Laptops, surrend und piepsend schuftet eine Armada von 3-D-Druckern, und in der Mitte des Raumes sieht man - nichts. Normalerweise steht hier die erste Testversion des Lilium-Jets in Größe eins zu eins: eine weiße Carbon-Kapsel mit Flügeln, auf denen drei Dutzend bläuliche Triebwerke sitzen. Zwei Menschen sollen darin Platz finden und die Leistung an ein Formel-1-Auto heranreichen. Gewünschte Reichweite: 300 Kilometer. Aber die Zukunft des Fliegens ist heute nicht da: "Bodentests", sagt Wiegand, und man spürt, dass er froh ist, das Modell nicht herzeigen zu müssen. Erst im Frühjahr soll das neue Testmodell zum ersten Mal abheben. Ohne Passagiere.

Ruft man Stefan Levedag, einen der führenden deutschen Luft- und Raumfahrtexperten an, scrollt er sich erst einmal durch die Website von Lilium Aviation. Levedag leitet das Institut für Flugsystemtechnik beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig. Seit Jahren begegnen ihm auf den Luftfahrtmessen neue Modelle von ultraleichten Flugzeugen zum persönlichen Gebrauch. "Nicht selten sieht man diese Projekte nur einmal, da die jungen Unternehmen oft nicht den langen Atem haben, von der Idee bis zur Zulassung durchzuhalten."

"Der Luftraum ist in Deutschland zu streng reglementiert"

Vor allem einen Senkrechtstart mit einem elektrischen Flugzeug hält Levedag für nicht realistisch. Die Batterien seien das Problem. Andere deutsche Luftfahrtexperten sind nicht ganz so pessimistisch. Heinrich Bülthoff, Professor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen, sagt: "Wenn Lufttaxis jemals realisiert werden, dann wahrscheinlich eher in Amerika oder Asien, aber nicht bei uns in Deutschland, der Luftraum hier ist zu streng reglementiert."

Wiegand sagt: "Nach unseren Berechnungen ist das durchaus möglich." Ein ehemaliger Chefingenieur von Tesla sei schon da gewesen und habe seinen Segen gegeben, orakelt Wiegand. Aber klar, langfristig braucht Lilium einen Betreiber für seine Flugtaxis, damit Wiegands Vision wahr wird. Die sieht so aus: "Wir gehen davon aus, dass überall in den Städten Landingpads mit Ladestationen gebaut werden. Wenn ich am Münchner Flughafen bin und aus meinem Verkehrsflugzeug steige, buche ich mir einen Lilium-Jet und fliege in sieben bis acht Minuten an irgendeinen Punkt in der Stadt." Er weiß selber nicht, wann der erste funktionsfähige Lilium-Jet fertig werden wird. 2019 vielleicht?

"Wahrscheinlich eher nicht", meint der Firmengründer. Wohlgemerkt: "Das fünfte Element", der Film mit den fliegenden Autos, der dem Team als Inspiration dient, spielt im Jahr 2263.

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