Licht-Technologie:Wie selbstfahrende Autos mit Fußgängern kommunizieren

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Ein Stoppschild, vom Scheinwerfer auf die Straße projiziert: Das Autolicht der Zukunft übermittelt Botschaften. (Foto: Daimler AG)

Die Scheinwerfer der Zukunft machen viel mehr als nur hell leuchten. Sie projizieren Zebrastreifen und Botschaften auf die Straße - oder ganze Filmsequenzen.

Von Joachim Becker

Nachtfahrten sind keine helle Freude. Heute so wenig wie vor hundert Jahren. Damals brachten Karbidlampen kaum Licht ins Dunkel: Halb blind plumpste der Fahrer von einem Schlagloch ins nächste. Für Städte mit schummriger Gasbeleuchtung war das Dauerfernlicht dagegen zu hell. Folglich war die Durchfahrt mit Beleuchtung vielerorts verboten. Vorteil der elektrischen Scheinwerfer ab 1913: Sie waren nicht unbedingt heller, ließen sich aber per Knopf ausschalten. Man sparte sich also das Aussteigen, um an den Stadtgrenzen die Lampen zu löschen.

An dem ständigen An und Aus hat sich seit den Kutschenlampen im Prinzip wenig geändert: Heute strahlt das Fernlicht noch immer möglichst weit. Mit der Folge, dass sich im dicht besiedelten Deutschland fast immer jemand geblendet fühlt. Manuelles Auf- und Abblenden ist auf Dauer mühsam. Deshalb sinkt der Fernlichtanteil bei Überlandfahrten schnell unter 50 Prozent. In der Praxis hält sich der erfahrbare Fortschritt trotz modernster LED-Lichttechnik daher in Grenzen. Von einem intelligenten Permanentfernlicht träumen die Entwickler bisher vergeblich.

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Hochleistungstechnik aus dem Kino

Dabei beschwor BMW schon 2003 die Vorzüge eines punktgenauen Pixellichts: "Diese neue, frei programmierbare Scheinwerfer-Technologie basiert auf dem sogenannten DMD-Prinzip (Digital Micromirror Device), bei dem mikrokleine, steuerbare Spiegel die Aufgabe des herkömmlichen Scheinwerferreflektors übernehmen." Die Hochleistungstechnik aus dem Kino sollte völlig neue Funktionen ermöglichen. Zum Beispiel ein raffiniertes System zur Blendvermeidung: Statt ein entgegenkommendes Auto komplett abzuschatten, legt das Pixellicht nur einen schmalen Grauschleier über die Augenlinie des entgegenkommenden Verkehrsteilnehmers. Der Mini-Projektor kann zudem Lichtfelder in Form von Abbiegepfeilen als Navigationshinweise auf die Straße projizieren. In die Serie hat es diese Einblendung von Informationssignalen allerdings noch nicht geschafft.

Der Weg aus der Unterhaltungsindustrie in die Autowelt ist mühsam. Auch die Leuchtdioden brauchten Jahrzehnte, um alle Anforderungen an die Helligkeit eines Scheinwerfers zu erfüllen. Das Pixellicht scheiterte nicht an der Lichtausbeute, sondern an den hohen Temperaturen in der Fahrzeugfront. Im Labor funktionierten die Lichtgrafiken als Wegweiser auf der Straße problemlos. Im Serienfahrzeug brannten die Halbleiter bei Temperaturen von bis zu 110 Grad Celsius einfach durch.

Auch das LED-Licht entwickelt sich weiter

Lange scheuten die Halbleiterhersteller die aufwendige Weiterentwicklung ihrer Mikrospiegel. Im Inneren eines Scheinwerfers wird es 30 Grad Celsius heißer als in einem relativ leicht zu kühlenden Kinoprojektor. Erst die Konkurrenz auf dem Fernsehmarkt brachte das Projekt ins Rollen: 2013 zeichnete sich ab, dass LED-Mattscheiben auch für das ambitionierte Heimkino groß genug werden. Die DMD-Hersteller mussten sich nach neuen Abnehmern im Massenmarkt umsehen. Und plötzlich lohnten sich die Investitionen in temperaturfeste DMD-Chips.

Ende 2013 begann Texas Instruments damit, seine Mikrospiegel im Format einer großen Briefmarke automobiltauglich zu machen. "Wir wussten in den vergangenen drei Jahren nicht, ob alle technischen Probleme lösbar sind", verrät Gunter Fischer, Leiter der Karosserieentwicklung Exterieur bei Mercedes. Jetzt hat der DMD-Scheinwerfer in Zusammenarbeit mit Hella grünes Licht für die Serienentwicklung bekommen.

Auch die LED-Entwickler haben die Zeit genutzt: Zusammen mit Osram und Infineon präsentierten Mercedes und Hella in diesem Herbst ein Pixellicht auf Basis der Leuchtdioden. Zusammen mit Forschern des Fraunhofer Instituts gelang es, bis zu 1024 Lichtpunkte hoch verdichtet in einen Halbleiter zu packen. Die Mikro-Glitzerquader lassen sich ebenfalls einzeln ansteuern und können die Fahrbahn punktgenau erhellen. Während die Mikrospiegel das Licht einer externen Quelle nur reflektieren und für dunkle Zonen einfach vernichten, werden die LEDs nur bei Bedarf aktiviert und strahlen daher äußerst energieeffizient: Ein wichtiger Vorteil für Elektrofahrzeuge.

Kann die Pixel-Explosion die Nacht zum Tag machen? Wer auf ermüdungsfreie Nachtfahrten hofft, wird von einer Testrunde in Stuttgart zunächst enttäuscht. Der Versuchsträger verteilt das Licht zwar sehr gleichmäßig. Viel mehr Helligkeit erzeugt das DMD-Pixellicht aber auch mit einer Million Lichtpunkte nicht. Der Strahl wird um eine Mittelachse gebündelt, rechts und links von diesem Lichtschwert herrscht weiterhin gähnende Dunkelheit.

Für das Auge sind die Unterschiede zu herkömmlichen Systemen ohnehin schwierig auszumachen - zumindest im Vergleich zu den sehr guten Multibeam-Scheinwerfern in der aktuellen Mercedes E-Klasse. Das rund 1300 Euro teure Extra sorgt mit 84 Leuchtdioden schon heute für eine homogene Lichtverteilung und gezielte Abschattung des Gegenverkehrs. Schon bald sollen die Leuchtdioden zudem mit Reichweiten von 650 Metern die Laserscheinwerfer einholen.

Die Technologie kann ganze Filmsequenzen abspielen

Warum also arbeiten auch Audi und BMW mit Hochdruck an Projektoren, die kleinste Bereiche der Leuchtfläche unabhängig voneinander aktivieren können? Die Antwort wird durch ein Zahlenspiel fassbar: Über die Länge eines Fußballfelds erhellt oder verdunkelt jede der 84 Multibeam-Leuchtdioden eine Fläche von 1,70 mal 2,35 Meter. Beim DMD-Pixellicht schrumpft die einzeln kontrollierbare Lichtfläche auf die Größe eines Brillenglases - in 100 Metern Entfernung! Nicht ohne Grund stammt der DMD-Scheinwerfer vom Kinoprojektor ab: Mit seinen winzigen Spiegeln kann das neue System nicht nur Warn- oder Navigationshinweise, sondern ganze Filmsequenzen auf die Straße bringen.

Was wie eine Spielerei erscheint, erweist sich in Autobahnbaustellen als Segen. DMD-Scheinwerfer können bewegliche Lichtleitbalken in Fahrzeugbreite auf die Fahrbahn projizieren: Der Fahrer sieht dadurch in Verschwenkungen und Engstellen voraus, ob neben dem Lkw genug Platz zum Überholen bleibt.

Schließlich soll der Wagen in Zukunft auch das Kommunizieren lernen: Im autonomen Modus könnten Autos einen Zebrastreifen aus Licht auf die Fahrbahn projizieren - und den Passanten damit signalisieren, dass sie gefahrlos auf die andere Straßenseite wechseln können.

Tanzende Lichtkante, nervöses Flackern

Bevor dieses "Digital Light" der Zukunft in Serie gehen kann, muss allerdings die Vernetzung an Bord verbessert werden. Bei der nächtlichen Testfahrt macht sich jede Wippbewegung auf der holprigen Landstraße als tanzende Lichtkante bemerkbar. Da das Licht sonst fast unmerklich gestreut wird, fallen solche Störungen als nervöses Flackern unangenehm auf. "Mit den neuen Technologien ist nicht mehr der Scheinwerfer das limitierende System, sondern die Verknüpfung mit den Sensoren an Bord", erklärt Marcus Fiege, Mercedes-Teamleiter für Lichtinnovationen.

Ein Scheinwerfer in HD-Qualität braucht einen Rechenkünstler im Hintergrund. Um den Helligkeitswert für jedes der über zwei Millionen Pixel (bei zwei Frontleuchten) steuern zu können, müssen die Daten aus Navigationssystem, Radarsensoren, Kamera und womöglich auch aus der Fahrwerkselektronik in Echtzeit verarbeitet werden. Die Software der intelligenten Ansteuerungslogik programmiert Mercedes selbst: "Entscheidend ist nicht die Technologie im Scheinwerfer, sondern die digitale Intelligenz dahinter", betont Gunter Fischer. Nicht ohne Grund ist das digitale Licht Teil des Großprojektes "Intelligent Drive": Autos sollen immer mehr von ihrer Umwelt verstehen, um sich selbst zu steuern. Das Licht spielt dabei eine zentrale Rolle: Damit auch die anderen Verkehrsteilnehmer den schönen Fortschritt gebührend mitbekommen.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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