Leichtbau-Spezialist Gian Paolo Dallara:Alte Schule

Spark-Renault SRT-01E Formel E

Gian Paolo Dallara entwarf auch das Chassis für den Spark-Renault SRT-01E, der in der Formel E antreten soll.

(Foto: Spark Renault SRT-01E aus der Formel E)

Auf das Konto von Gian Paolo Dallara gehen atemberaubende Automobile: Ferrari 250 GTO, Lamborghini Miura, Bugatti Veyron. Doch der 77-jährige Konstrukteur hat noch einen letzten Traum: einen eigenen Leichtbausportwagen.

Von Georg Kacher

Gian Paolo Dallara feiert in diesem November seinen 78. Geburtstag, aber er wirkt mindestens zehn Jahre jünger. Sein Elfstundentag dreht sich nach wie vor um die Firma mit inzwischen 250 Angestellten, und auch in der Freizeit bewegt der Fußballfan am liebsten schnelle Autos. "Schon als junger Konstrukteur bei Ferrari hat mich der Motorsport-Bazillus gepackt", erinnert sich der schlanke Herr mit dem kastanienbraunen Haar. "Leider war ich mit schöner Regelmäßigkeit ein paar Sekunden langsamer als die Profis. Da blieb mir nur der zweitbeste Job - die Arbeit am Reißbrett."

Obwohl der Maestro mit den Ferrari-Modellen 250 GTO und 330 auf Anhieb zwei Volltreffer landete, zog es Dallara bereits nach 18 Monaten wieder hinaus an die Rennstrecke. Nach dem Wechsel zu Maserati arbeitete der in Parma geborene Techniker am legendären Birdcage und am Cooper Maserati F1-Monoposto, doch auch Modena war nur eine Zwischenstation, denn schon lockte Ferruccio Lamborghini mit dem Posten des Chefentwicklers - Dallaras dritte neue Stelle binnen vier Jahren.

"Neben dem Lamborghini 350 GT und dem Espada bin ich bis heute besonders stolz auf den Miura, der ein echter Klassiker geworden ist." Weil aber auch Ferruccio Lamborghini von der Hand in den Mund lebte, blieben die großen Motorsport-Träume wieder einmal ungeträumt. Dallara, der endlich wieder Rennwagen entwerfen wollte, ließ sich deshalb von Alejandro de Tomaso abwerben, der zunächst einen Formel 2 in Auftrag gab. Als de Tomaso und Frank Williams wenig später gemeinsam in die Formel 1 einstiegen, lieferte Dallara mit dem DT505 das passende Rüstzeug. Doch auch dieses Projekt stand unter einem schlechten Stern, denn nach dem tödlichen Unfall von Piers Courage wurde das Team aufgelöst. Frustriert und desillusioniert, beschloss Dallara sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Fahrgestelldesigner Gian Paolo Dallara

2017 soll der erste Leichtbau-Sportwagen von Autokonstrukteur Gian Paolo Dallara kommen.

(Foto: imago sportfotodienst)

Ausflüge in die Formel 1 waren selten von Erfolg gekrönt

Das Geschäft lief anfangs eher schlecht als recht - Auftragsarbeiten für Lancia, eine Sonderserie des Bertone Fiat X1/9, eine Handvoll F3-Renner. Die gelegentlichen Ausflüge in der Welt der Formel 1 waren nur selten von Erfolg gekrönt. Das Iso-Marlboro-Projekt entpuppte sich als Eintagsfliege, die BMS Scuderia Italiana brachte es von 1988 bis 1992 gerade mal auf 15 WM-Zähler, das vielversprechende Joint Venture von Walter Wolf, Frank Williams und Honda endete 1997 mit dem überraschenden Rückzug der Japaner. Dallara und die Formel 1 - ein Leidensweg. "Ich blicke zurück mit gemischten Gefühlen", gibt er zu. "Woran es gefehlt hat? Vor allem an Geld, wie zuletzt bei Midland und HRT." Einen weiteren Versuch hält der Capo für ausgeschlossen. "Dieses Kapitel ist für mich beendet."

Stattdessen sucht Dallara sein Heil im Bau von Rennwagen-Chassis, in innovativen Leichtbautechnologien auf Kohlefaserbasis und als verlängerte Werkbank namhafter Automobilhersteller. So ziert das unsichtbare Gütesiegel "Engineered in Varano" unter anderem den Bugatti Veyron, den Maserati MC12, den KTM X-Bow und den Alfa Romeo 4C. Weitere Sportwagen sind in Arbeit, natürlich streng geheim und mit schwarzen Planen abgedeckt. Ein gutes Geschäft ist für die Firma inzwischen auch der gemeinsam mit Ferrari konzipierte Fahrsimulator, den man für zwölf Millionen Euro kaufen oder für 8000 Euro pro Tag mieten kann.

"Ein Top-Investment", glaubt der CEO und Teilhaber Andrea Pontremoli. "Die mitgelieferte Software deckt 30 Rennstreckenprofile ab. Wenn man bedenkt, dass eine Indycar-Saison zwischen sechs und zehn Millionen Dollar kostet, lohnt es sich, ein neues Auto vor der Freigabe ausgiebig im Simulator zu testen." Parallel dazu wird das Design auf Wunsch im hauseigenen Windkanal optimiert. Der Aufwand für ein Indycar im Maßstab 1:8 liegt bei maximal 350 000 Dollar. Dabei gelten für den Konstrukteur ganz andere Crash- und Aerodynamik-Prioritäten als in der F1, denn die US-Einsitzer sind bis zu 400 km/h schnell und oft auf Pisten ohne Auslaufzone unterwegs.

Die nächste große Herausforderung heißt Formel E

Der vorherrschende Farbton in den Entwicklungslabors und auf den Prüfständen von Dallara ist schwarz, genauer gesagt karbonschwarz. Bevor sie im bunten Team-Outfit lackiert werden, warten die Monoposti wie mattschwarze gestrandete Wale in Reih und Glied nach Größe, Kategorie und künftigem Besitzer geordnet auf Endkontrolle oder technische Abnahme. Manche Varianten sind bereits mit Spoilern, Splittern und Spats rennfertig aufgebrezelt, andere wieder sind schlanke Torpedos mit Cockpits kaum groß genug für Kleinkinder. Das günstigste Modell ist der Formulino, der inklusive 180-PS-Motor und Getriebe mit 63 000 Euro in der Preisliste steht. Ein GP2-Chassis kostet ohne Antrieb 98 000 Euro. Deutlich teurer sind die kompletten Indy-Racing-League-Autos, die seit 2008 exklusiv von Dallara hergestellt werden. Ein zweites Werk in Indianapolis fertigt Fahrzeuge für die Grand-Am-Serie und für das Indy Lights Championat.

Die nächste große Herausforderung heißt Formel E. Sie startet im September in Peking und soll den Elektroantrieb auch im Motorsport salonfähig machen. Die wichtigsten Systemlieferanten sind Spark Renault (Gesamtfahrzeug), Dallara (Chassis), McLaren (Elektronik, E-Motor, Getriebe), Williams (Batterien) und Michelin (Reifen). Es gibt zehn Teams mit jeweils zwei Fahrern und vier Autos. Das zweite Auto wartet aufgeladen an der Box und wird erst zur Mitte des auf 60 Minuten begrenzten Rennens eingesetzt.

Der erste eigene Sportwagen kommt 2017

Noch mehr Herzblut als im Elektro-Racer steckt im ersten eigenen Straßen-Sportwagen, mit dem sich der Grandseigneur ein Denkmal setzen möchte. "Mir schwebt ein sehr leichtes Auto vor, ein Mittelmotor-Zweisitzer aus Kohlefaser, eine puristische Fahrmaschine, die sich auf das Wesentliche beschränkt." Das Zielgewicht von 850 Kilo beinhaltet zwei Airbags, ABS und ein Notverdeck, aber keine Servolenkung oder andere Fahrhilfen. Klar, dass Aerodynamik und Struktur selbst entwickelt werden. Motor und Getriebe müssen die Italiener zukaufen. Wenn es stimmt, was die Spatzen an der Via Provinciale vom Dach pfeifen, stammt der 300 PS starke 2,0-Liter-Turbo von Alfa Romeo. Der Dallara GP1 soll 2017 auf den Markt kommen, rund 80 000 Euro kosten und auf 100 Einheiten pro Jahr limitiert sein.

Auf die Frage, welche Rolle ihr Unternehmen in zehn Jahren spielen wird, schauen sich die beiden Herren kurz an und nicken dann synchron mit dem Kopf. Ganz oben auf der Prioritätenliste stehen die Rennwagen der Indy Racing League. Eine weitere Priorität betrifft komplexe Berechnungsmethoden, mit denen man die Interaktion von Monocoque, Aufhängung und Antrieb bis ins letzte Detail simulieren kann, ohne zuvor ein einziges Bauteil in 3 D erzeugt zu haben. "Wenn es gelingt, den Prototypenbau drastisch zurückzufahren und durch Simulation zu ersetzen, lassen sich beträchtliche Summen einsparen", weiß Andrea Pontremoli. Dallara erwartet sich von der Materialtechnik einen ähnlich großen Durchbruch. "Speziell in der Konfektionierung von Kohlefaser stehen wir erst am Anfang des Evolutionsprozesses." Dann, nach einer längeren Pause, ein letztes Lächeln und ein finales Credo: "Kreativität kennt keine Grenzen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: