Legendäre Rennstrecke:Unterwegs auf der Nordschleife, wo das Auto noch ein Held ist

Legendäre Rennstrecke: Touristenfahrt auf der Nürburgring-Nordschleife: Hobby-Racer fahren mit ganz normalen Autos über die anspruchsvollste Rennstrecke der Welt.

Touristenfahrt auf der Nürburgring-Nordschleife: Hobby-Racer fahren mit ganz normalen Autos über die anspruchsvollste Rennstrecke der Welt.

(Foto: Nürburgring)

Deutschlands Diesel-Debatten interessieren am Nürburgring keinen. Hier gibt es nur die Strecke, die Boliden und die Fahrer.

Von Thomas Harloff

Mag sein, dass die Nation aufgeregt über das Auto diskutiert. Über Diesel, Abgase und Stickoxide, über drohende Fahrverbote, E-Auto-Quoten und ein Verbot von Verbrennungsmotoren. In der Eifel sind diese hitzigen Debatten ganz weit weg. Abgeschottet durch eine unsichtbare Grenze, die hinter den grünen, oft bewaldeten Hügeln verläuft. Hier, irgendwo zwischen den Städtchen Bad Neuenahr-Ahrweiler, Mayen und Bitburg, ist ein Leben ohne das Auto schlicht nicht vorstellbar.

Woanders mag es verteufelt werden, hier wird ihm gehuldigt. Stolz fahren die Menschen ihre nachgerüsteten Spoiler, Auspuffanlagen und Breitreifen spazieren. Und die Autos jener Sorte, die auf abgesperrten Pisten besser aufgehoben sind als auf öffentlichen Straßen. Porsche 911 GT3 RS, Lotus Exige S, Nissan 370Z Nimso, diese Kategorie. Nicht die anonyme Massenware, die einem in weiten Teilen der Republik begegnet. Hier darf dem Auto das Besondere anhaften.

Wer die Autobahnen 61 und 48 hinter sich lässt und sich über die Landstraßen zu den Städtchen Adenau und Nürburg vorarbeitet, findet den Lockstoff der PS-Freaks, Oktan-Jünger und Ideallinien-Fetischisten: den Nürburgring. Immer mal wieder lässt sich dessen Asphaltband hinter den Waldlichtungen erspähen. Dass sich hier die anspruchsvollste und berühmteste Rennstrecke der Welt befindet, ist aber erst auf den letzten Kilometern vor dem Ziel zu spüren. An den Stellen, die Brünnchen, Pflanzgarten oder Schwalbenschwanz heißen. Und natürlich rund um das Devil's Diner, dessen Parkplatz an diesem Freitagmorgen im Sommer gut gefüllt ist. Aber nicht wegen des Frühstücks und der Burger, obwohl das alles ziemlich schmackhaft ist. Sondern weil hier drei gelbe Schranken die Fahrt auf die Nordschleife freigeben.

Spätestens hier zeigt sich, dass der Nürburgring eine Pilgerstätte ist, ein Wallfahrtsort der Autoverrückten. Von überall kommen sie, um sich auf den 20,8 Kilometern der Nordschleife auszuleben. Nicht nur aus der gesamten Republik und den nicht weit entfernten Benelux-Ländern, auch aus der Schweiz und Großbritannien. Vor allem aus Großbritannien. Es ist unglaublich, wie viele Briten den Weg über den Ärmelkanal, durch Frankreich und Belgien bis in die Eifel auf sich nehmen, um ihre Autos möglichst schnell durch die 73 Kurven zu jagen. Und wie oft sie und alle anderen das Kassenhäuschen aufsuchen, um 30 Euro zu bezahlen - pro Runde, die je nach Qualität der Fahrkunst und/oder des Autos nach etwa zehn Minuten vorbei ist. Wer in der Nähe wohnt, gönnt sich die Saisonkarte: Flatrate-Fahren für 1900 Euro im Jahr.

Bunte Automischung an der Nordschleifen-Zufahrt

So bunt sich die Nationen auf dem Parkplatz mischen, so abwechslungsreich gestaltet sich die Fahrzeugauswahl, sie erinnert an ein Renn-Videospiel. Natürlich trifft man hier die eingangs erwähnten Autos wieder. Auch richtig teure Sportwagen wie einen Ferrari 458 Speciale. Oder Exoten wie den Nissan Skyline GT-R R34, eine Auto-Ikone für Playstation-Racer und Japan-Enthusiasten.

Die meisten bringen jedoch Gefährte mit zum Nürburgring, die in der Szene als Tracktools firmieren. Die mal brave Straßenautos waren, aber von ihren Besitzern mit überschaubarem finanziellen Aufwand für die Rennstrecke optimiert wurden. Statt einer Rückbank gibt es stabile Überrollkäfige, statt dick gepolsterter Sessel gibt es Schalensitze, die den Fahrerkörper wie ein Schraubstock in ihre Mitte nehmen. Statt Radio und Navi gibt es Zusatzinstrumente, einen Notausschalter und viele schwarze Löcher in der Mittelkonsole - jedes fehlende Gramm macht das Auto schließlich schneller. Besonders beliebt sind ältere BMWs, aber auch viele andere Modelle scheinen vorzüglich zum Tracktool zu taugen. Dass die aktuelle Leistung der Motoren und deren Abgasausstoß deutlich über dem Niveau des früheren Serienzustandes liegen, hört und riecht man.

Das nach subjektivem Eindruck meistbeachtete und meistfotografierte Auto ist an diesem Tag aber ein orangefarbener McLaren 570S. Mit diesem britischen Sportwagen sind wir, ein zweiköpfiges Team der SZ, angereist, um ein 360-Grad-Video zum Jubiläum des Nürburgrings zu drehen - die Rennstrecke wird 2017 schließlich 90 Jahre alt. Selbst hier, in der PS-Hochburg Eifel, ist der McLaren eine Rarität. Immer wieder kommen die Tracktool-Fahrer und die Zuschauer auf uns zu und stellen Fragen: "Wie fährt er sich?" Sehr präzise, man kann kaum etwas falsch machen. "Wie schnell ist der?" Null auf Hundert in 3,2 Sekunden, 328 km/h Topspeed. "Was kostet der?" 181 750 Euro. Aber er gehört nicht mir, sondern McLaren. Ein anerkennendes Kopfnicken später kümmern sich die Fragesteller wieder um ihre eigenen Autos. Manchen von ihnen ist anzumerken, dass sie kurz im Kopf nachrechnen, wie lange sie für einen McLaren sparen müssten.

Der Respekt vor der schwierigsten Rennstrecke der Welt ist riesig

Auch ich mache mir Sorgen um das Finanzielle. Was, wenn ich etwas am McLaren kaputtmache? Er ist zwar versichert, aber man weiß ja nie. Und wenn mir etwas passiert? Das bleibt dann an mir hängen, nicht an den Betreibern des Nürburgrings (eine Holding, die einem russischen Pharma-Milliardär gehört). Den Haftungsausschluss habe ich jedenfalls eben unterschrieben. Die Nervosität steigt, je näher die gelbe Schranke kommt. Klar bin ich schon Hunderte, wahrscheinlich Tausende Runden hier gefahren - aber virtuell, per Spielkonsole. Meine echten Nordschleifenrunden summieren sich gerade mal auf ein halbes Dutzend. Die wenigsten davon im sportlichen Tempo. Und auf zwei dieser Runden sind andere Fahrer von der Bahn und in die Leitplanke gerutscht.

Natürlich habe ich mir zur Vorbereitung viele jener Internetvideos angeschaut, in denen die Nordschleifenexperten die perfekte Linie sowie Tipps und Tricks für die schwierigste Rennstrecke der Welt verraten. Doch der Respekt vor den 20,8 Kilometern ist riesig. Schließlich nehme ich jetzt die "grüne Hölle" in Angriff, wie sie der dreimalige Formel-1-Weltmeister Jackie Stewart nannte. Ein anderer dreimaliger Formel-1-Weltmeister, Niki Lauda, hatte hier seinen verheerenden Feuerunfall. Der 1970 in Monza tödlich verunglückte Jochen Rindt, der im selben Jahr posthum zum F1-Champion gekürt wurde, sagte über die Strecke: "Schwer zu fahren, leicht zu sterben." Hinzu kommt: Ich muss nicht nur fahren, sondern auch moderieren. Und ich habe vor Aufregung furchtbar geschlafen.

Die Nervosität weicht der Freude

Doch je mehr Zeit der McLaren und ich auf der Nordschleife verbringen, umso besser klappt es. Das liegt am schönen Wetter, das hier wahrlich nicht selbstverständlich ist. Vor allem aber am Auto: Ich müsste schon sehr verantwortungslos mit dem 570S umgehen, um in brenzlige Situationen zu geraten. Er fühlt sich sicher und trotzdem schnell an, liegt stabil auf dem Asphalt und bekommt die Kurve auch dann noch, wenn ich den Einlenkpunkt mal verpasse. Schneller als gedacht kehren die Erinnerungen an die früheren virtuellen Runden zurück und mit ihnen jene an den Streckenverlauf. Ein Gefühl der Freude tritt anstelle der Nervosität. Ab der fünften Runde denke ich mir: Würde ich hier leben, hätte ich auch ein Tracktool und die Jahreskarte für 1900 Euro.

Die Typen, die sich beides jetzt schon leisten, haben trotzdem kaum Probleme, mich zu überholen. Erstens, weil es sich für Anfänger unbedingt empfiehlt, in die Rückspiegel zu schauen, wann immer es geht, und die Könner passieren zu lassen. Zweitens, weil sich die vielen Besonderheiten der Strecke und der richtige Umgang mit ihnen erst mit viel Erfahrung einprägen und umsetzen lassen. Selbst erfolgreiche Rennfahrer sagen, dass sie Hunderte Runden gebraucht haben, um auf der Nordschleife am Limit fahren zu können. Nach dieser Erfahrung glaube ich das gerne.

Die Gefahr macht einen Teil des Reizes aus

Als wir uns später zu anderen Drehorten rund um den Nürburgring aufmachen, habe ich sechs Runden absolviert, meinen Erfahrungsschatz also verdoppelt. Die Moderationen liefen gut und der McLaren hat den Einsatz unbeschadet überstanden. Ich wurde also nicht Teil einer der unzähligen am Nürburgring entstandenen Crashvideo-Compilations, die bei Youtube zu finden sind. Über einige andere Nordschleifentouristen kann man das nicht behaupten. In einer Runde lag ein Motorrad neben der Leitplanke; der Fahrer stand dahinter, es schien ihm gutzugehen. Später stand ein Auto links am Straßenrand und ein weiteres rechts, dazwischen lagen einige Trümmerteile; offenbar eine Kollision. Als wir uns das Treiben auf der Strecke später vom beliebten Zuschauerpunkt am Brünnchen aus anschauen, fahren die Autos ganz langsam. Irgendwann kommt gar kein Bolide mehr, dafür Kranken- und Abschleppwagen. Mancher Crash endet eben nicht nur mit kaltverformtem Blech.

Denn auch das gehört zur Wahrheit am Nürburgring: Obwohl die Straßenverkehrsordnung gilt, rechts überholen zum Beispiel verboten ist, gibt es bei den Touristenfahrten viele Unfälle. Wie viele genau, sagen die Betreiber nicht. Offiziell zählen nur die 81 Crashes mit zwei Toten sowie 18 Schwer- und 43 Leichtverletzten, die die Polizei im vergangenen Jahr statistisch erfasst hat. Doch den Beamten wird längst nicht jeder Unfall gemeldet, deren Dunkelziffer liegt deutlich höher.

Das schreckt die Touristenfahrer nicht ab. Im Gegenteil, der Mythos Nordschleife wirkt auch deshalb so anziehend, weil in ihm das Gefährliche steckt. Sobald sich die gelbe Schranke öffnet und die Runde an den Abschnitten Antoniusbuche und Tiergarten beginnt, spielt das alles keine Rolle mehr. Dann zählen nur noch das Auto, der Fahrer und die Strecke. Mögliche Gefahren sind dann genauso weit weg wie die Dieseldebatte und drohende Fahrverbote.

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