Süddeutsche Zeitung

Lebensgefühl des VW Bulli:My Bus is my castle

Mehr als ein Fortbewegungsmittel: Der alte VW Bus vom Typ T2 hat einer ganzen Generation das Tor zur Mobilität geöffnet, ist ein Stück Kultur geworden. 2013 rollte der letzte T2 in Brasilien vom Band. Unser Autor erinnert sich an seine Zeit mit dem Bulli.

Von Jürgen Wolff

Mit dem ersten Auto ist es wie mit der ersten großen Liebe: Man denkt sein ganzes Leben lang gerne daran zurück. In meinem Fall stahl ein VW Bus mein Herz, ein T2. Für - während der Ferien in einem Schmiede und Presswerk sauer verdiente - 1600 D-Mark konnte ich ihn mir im Herbst 1976 gerade so leisten. Gebraucht, Baujahr 1968, mindestens zehn Mal lackiert, aber meiner. Seither habe ich als Motorjournalist hunderte Autos gefahren - vom 500er Fiat bis zum Rolls-Royce Silver Seraph oder einem Aston Martin. An keines davon erinnere ich mich so gern und so detailliert wie an den Bus. Okay, an den Aston vielleicht.

An meinem VW-Bus habe ich damals gelernt, wie ein Auto funktioniert. Praktisch, nicht theoretisch. Den Zündzeitpunkt von Hand einzustellen beispielsweise, mit Stroboskop und Schraubenzieher. An ihm habe ich meinen ersten platten Reifen gewechselt, per Überbrückungskabel eine müde Batterie wiederbelebt, zum ersten Mal Fenster aus- und eingebaut. Ich habe gespachtelt, geschliffen und lackiert. Und ich habe zum ersten Mal einen kompletten Motor ausgetauscht. Ich habe dabei geschwitzt, gestöhnt, geflucht - und ihn geliebt. Einfache Beziehungen sind langweilige Beziehungen. Der Bulli war nie langweilig.

Das begann schon beim Fahren. Heute würde ich jedes Auto, das auch nur ansatzweise so unterwegs wäre wie der T2, in Grund und Boden schreiben. Parallel zum Tempo stieg der Geräuschpegel des luftgekühlten Heckmotors mit dem der kaum gedämpften Bleche um die Wette. Die Lenkung war unfassbar unpräzise und fühlte sich an, als sei sie mit dem Gummi einer Feinripp-Unterhose verbunden. Die Gangwahl mit dem bockigen langen Schaltknüppel erinnerte eher an das Rühren in einem großen Topf Suppe und der Seitenhalt der Vordersitze war nicht vorhanden. Das war aber nicht weiter schlimm, schneller als mit Tempo 80 traute man sich eh nicht um die Kurven. Die Neigung der Karosserie schärfte die Reflexe.

Kühle Getränke auch ohne Klimaanlage

Daneben gab es immer wieder wunderbar Praktisches zu entdecken. Die runden Lüftungen etwa ließen sich einfach herausziehen - und in die Öffnungen links und rechts im Armaturenbrett passte exakt jeweils eine Cola-Dose. Selbst im heißesten Sommer garantierte das halbwegs kühle Getränke. Eine Klimaanlage? An so was hat man nicht einmal gedacht - und war froh, wenn im Winter wenigstens die anfällige Heizung funktionierte.

Der Bulli war schon damals ein Lebensgefühl, stand für eine ganze Ära. Vor allem aber versprach er Freiheit. Wirkliche Freiheit. Nicht wie bei unseren Eltern, die in den 1960er-Jahren über die Alpenpässe im Käfer an den Gardasee knatterten. Der VW-Bus war unser Hotel. Ihm verdanken wir unsere erste persönliche Globalisierung. Ein paar Schaumstoffmatratzen, ein Wasserkanister, ein Gaskocher und ein paar selbst zusammengezimmerte Schränkchen reichten, um ihn zum rollenden Eigenheim zu machen. My Bus is my castle.

Er trug uns in die Schweizer Berge und quer durch Frankreich an die Côte d'Azur. Südspanien stand im Reiseplan, sechs Wochen Griechenland inklusive An- und Abfahrt über den unendlich langen Autoput im ehemaligen Jugoslawien. Hotel? Brauchten wir nicht. Irgendwo parken, Bett fertigmachen, Vorhänge zu, Schlüssel stecken lassen und Türen sichern - duschen kann man an jedem größeren Bahnhof.

Die liebevoll bunt und phantasievoll bemalten Bullis mit Blumen, Friedensrune und psychedelischen Mustern waren vor allem in den USA unterwegs in Richtung Westküste. "People in motion" sang Scott McKenzie im Song "San Francisco". Für die Bewegung dieser Generation sorgte vor allem der VW-Bus. Und ein bisschen war man in ihm Teil dieses Roadmovies.

Unterwegs traf man immer wieder mal die Aussteiger, die es ernst meinten. Die, die nicht wieder nach acht Wochen Bulli-Urlaub im Hörsaal sitzen und sich Vorlesungen über öffentliches Recht anhörten. Die in den 60er und 70ern auf einem der damaligen "Hippie-Trails" unterwegs waren. Sie führten für die kleine Freiheit nach Ibiza oder Marokko und für die große über Istanbul, Teheran, Kabul und Peshawar nach Goa oder Nepal. Im VW-Bus zur Erleuchtung. Die Beschaffenheit der damaligen Wege kennen Menschen heute nur noch aus der Kriegsberichterstattung im Fernsehen.

Dia-Vortrag an der Volkshochschule Horb am Neckar

Abends saßen wir mit Leuten in irgendeiner Bucht am offenen Feuer. Die neuen Freunde hatten in ihrem Bus bereits drei Kontinente durchquert, mindestens. Mit glänzenden Augen hörte man ihren Geschichten zu und fühlte sich als Teil einer weltumspannenden Familie. Vielleicht fuhr man ein paar Tage zusammen die gleiche Strecke weiter. Dann trennten sich die Wege und man sah sie nie im Leben wieder. Oder fünf Jahre später mit dem Dia-Vortrag "Im VW-Bus um die Welt", veranstaltet von der Volkshochschule Horb am Neckar.

Mein Bulli hat die 80er nicht überlebt. Nicht der TÜV hat uns geschieden, sondern ein Ampelsünder. Der machte aus dem Bus im Bruchteil einer Sekunde einen verbeulten Haufen Blech. So endete diese Beziehungen ganz profan kapitalistisch: mit einem wirtschaftlichen Totalschaden.

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