Autonomes Fahren:Dämpfer für die Laster am Schnürchen

Autonomes Fahren - Test-LKWs auf einer Autobahn

Platooning: Der erste Fahrer steuert, die anderen Lkw folgen autonom.

(Foto: Scania)

Beim "Platooning" sollen mehrere Lkws teils autonom im engen Konvoi fahren und so Sprit und Platz sparen. Doch erste Tests zeigen nun: Das bringt weniger als gedacht.

Von Joachim Becker

In Singapur ist alles knapp: Der Platz für Häuser, Straßen, Nutzfahrzeuge - und die Fahrer von Bussen und Lastwagen sowieso. Man kann in dem Stadtstaat also - bei allen Unterschieden - etwas von der Zukunft Deutschlands sehen. Auch hierzulande sind die Lebenshaltungskosten hoch und die Bezahlung für "Trucker" niedrig. 60 000 Arbeitsplätze im Transportgewerbe sind nicht besetzt. Nachwuchs gibt es kaum, was nicht nur an den schlechten Arbeitsbedingungen, sondern auch an der Aussicht auf das autonome Fahren liegt. Tatsächlich könnte sich die teure Technologie im Gütertransport eher rechnen als im Individualverkehr. Zumal der Leidensdruck bei der Versorgung einer hoch verdichteten asiatischen Tech-Metropole extrem hoch ist. Mit einer ganzen Reihe von Pilotprojekten für Roboterfahrzeuge ist Singapur weltweit führend.

Im Frachtverkehr des Stadtstaats geht es vor allem darum, Transporte auf die Nacht zu verlegen, um tagsüber Platz auf den Straßen zu schaffen. Die Versorgung rund um die Uhr könnte auch Großstädte und Transitautobahnen in Deutschland entlasten. Wie das konkret funktioniert, war kürzlich auf der A9 zwischen Nürnberg und München zu sehen. Zwillings-Lkw, die sich wie Zugvögel simultan bewegten, waren nachts auf dem digitalen Testfeld Autobahn unterwegs. Eine elektronische Deichsel hielt den Abstand im Konvoi gleichmäßig bei 15 statt bei den sonst vorgeschriebenen 50 Metern. Während der Fahrer des ersten Fahrzeugs Geschwindigkeit und Richtung bestimmte, setzte der folgende Lkw die Befehle zur Längs- und Seitenführung automatisiert und nahezu gleichzeitig um. Trotz der engen Koppelung über den Wlan-Datenfunk hatte auch im hinteren Lkw ein Fahrer die Hände am Lenkrad, um im Notfall eingreifen zu können.

Bei jeder Auf- und Abfahrt muss der Konvoi entkoppelt werden

Nach 35 000 Testkilometern waren die zunächst skeptischen Lkw-Fahrer angenehm überrascht: Das System arbeitete zu 98 Prozent reibungslos, nur einmal pro 2000 Kilometer musste aktiv eingegriffen werden - deutlich seltener als erwartet. Platooning heißt diese effiziente Nutzung der Straße, die mehrere Probleme des Güterverkehrs gleichzeitig lösen soll: Seit 1990 hat sich die Verkehrsleistung von Lastkraftwagen in Deutschland auf rund 500 Milliarden Tonnenkilometer verdreifacht. Bis 2030 soll der Straßengüterverkehr laut Bundesverkehrsministerium um weitere 20 Prozent zulegen. Wenn sich der globale Warenfluss bis 2050 sogar verdoppelt, dann gehen der unendlichen Laster-Kette nicht nur die Fahrer, sondern irgendwann auch die Straßen aus. Es sei denn, der Lkw-Lindwurm schrumpft durch drei eng gekoppelte Lkw auf Einheiten von nur noch 80 Meter Länge - so die Vision.

Experten hatten nicht nur die Entlastung der Fahrer, sondern auch Kraftstoffeinsparungen von bis zu 20 Prozent durch Platooning prognostiziert: Der geringe Abstand zwischen den Lkw senkt mit dem Luftwiderstand auch den Spritverbrauch. Im Praxistest haben die elektronisch gekoppelten Trucks jedoch nur drei bis vier Prozent Kraftstoff gespart. Auch bei einem noch geringeren Abstand bleibt das Grundproblem der Synchron-Laster bestehen: Bei jeder Auf- und Abfahrt muss der Konvoi entkoppelt werden, um andere Fahrzeuge einfädeln zu lassen. Dann muss der Folge-Lkw kräftig beschleunigen, um wieder Anschluss zu finden - was einen Großteil der Effizienzgewinne auffrisst. Ungewiss ist auch, wie sich das halbautomatisierte Fahren mit den Lenk- und Ruhezeiten vereinbaren lässt. In Holland sind die Gewerkschaften bereits alarmiert: Eine Flexibilisierung könnte bedeuten, dass die Lenker der Folgefahrzeuge im rollenden Lkw Pause machen müssen.

Vieles hängt von einheitlichen rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen in den EU-Ländern ab. Nur wenn die Lkw grenzüberschreitend im geschlossenen Pulk fahren können und sich die Modelle verschiedener Marken aneinander koppeln können, wird Platooning für Spediteure attraktiv. Das entsprechende "Ensemble"-Forschungsprojekt mit 20 Partnern aus ganz Europa läuft mit 20 Millionen Euro Fördergeldern seit dem vergangenen Sommer. Bis die einheitlichen Vorschriften kommen, ist die Automatisierung aber womöglich schon einen Schritt weiter: Anfang des Jahres gab Daimler Trucks & Busses bekannt, dass man halbautomatisierte Systeme überspringen werde. Stattdessen wolle der internationale Branchenführer eine halbe Milliarde Euro investieren, um innerhalb von zehn Jahren vollautonome Roboter-Lkw zu bauen.

"Im Transportgewerbe ist vollautomatisiertes Fahren der nächste natürliche Schritt nach den Assistenzsystemen, um Effizienz und Produktivität zu steigern und die Kosten pro Kilometer signifikant zu senken", sagt Martin Daum, Chef der Daimler-Nutzfahrzeugsparte: Level 3 biete keinen wesentlichen (Kosten-)Vorteil, weil die Fahrer nicht in der Kabine schlafen dürften, sondern das System weiterhin kontrollieren müssten. Das ist ein Problem beim Platooning: Kaum ein Asphalt-Cowboy dürfte den stundenlangen Ritt im Folgefahrzeug aushalten, ohne in den Sekunden- oder Minutenschlaf zu fallen.

Am attraktivsten für Spediteure sind die autonomen Systeme zunächst wohl bei Touren von weniger als 200 Kilometern. Auf diesen Strecken, zum Beispiel zwischen Häfen und Verteilzentren, sind ohnehin die meisten Lkw unterwegs. Zukunftsweisend könnte eine Projektpartnerschaft zwischen MAN und dem Hamburger Hafen sein: Von 2021 an sollen zwei fahrerlose Prototypen-Trucks das Container Terminal Altenwerder (CTA) anfahren. Eine rund 70 Kilometer lange Autobahnstrecke auf der A7 ab der Anschlussstelle Soltau-Ost gehört zum Testfeld dazu. In Singapur, der Stadt mit einem der größten Häfen weltweit, läuft ein entsprechendes Projekt schon seit zwei Jahren. Die MAN-Schwestermarke Scania will dort mit einem Platooning-Test zeigen, wie sich die Produktivität im Hafen erheblich steigern lässt. Noch sind Sicherheitsfahrer mit an Bord. Doch die Zulassung von komplett fahrerlosen Lkw dürfte in Asien wesentlich schneller gehen als in Europa.

Zur SZ-Startseite
Drees CEO of German truck maker MAN SE, poses in front of a MAN truck in Munich

SZ PlusMAN-Chef im Gespräch
:"Die angedrohten Strafen sind unverhältnismäßig hoch"

MAN-Chef Joachim Drees über CO₂-Grenzen, autonomes Fahren und die Frage, ob ihn die Twitter-Einträge von Trump noch schockieren.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: