Süddeutsche Zeitung

Lasten-Pedelecs:Warum Lastenräder wieder angesagt sind

Kinder, Einkauf, Handwerkszeug - mit einem Lastenrad lässt sich alles bestens fortbewegen. Dank Elektromotor ist das nicht einmal besonders mühsam.

Von Marco Völklein

Die meisten seiner Kunden, sagt Lars Wichmann, befänden sich in der "Familiengründungsphase". Die Frauen, die kämen, hätten meist einen Babybauch. Oder die Eltern hätten den Nachwuchs in der Babyschale dabei. "Die stehen dann vor der Entscheidung", sagt der Betreiber eines Spezialfahrradladens in Hannover: "Kaufen die sich ein Zweitauto? Oder gibt es eine Alternative?"

Wichmann rät natürlich zur Alternative: zum Lastenfahrrad. In dessen geräumiger Kiste könne die Familie nicht nur Einkauf und Kinder transportieren. Vielmehr machten die Dinger auch noch Spaß. Insbesondere dann, wenn ein Elektromotor beim Treten unterstützt. Vor ein, zwei Jahren hätten sich noch zwei Drittel der Kunden für ein Transportrad ohne Akkuhilfe entschieden, sagt Wichmann. "Mittlerweile hat sich das Verhältnis umgekehrt."

Lastenfahrräder feiern ein Revival

Eigentlich sind Lastenfahrräder ein Phänomen der Vergangenheit. Im Verkehrsmuseum erinnern Schwarz-Weiß-Fotos daran, dass bis in die Sechzigerjahre hinein Händler und Handwerker Lastenräder einsetzten. Dann verbreiteten sich die Autos - und die muskelbetriebenen Lastenesel verschwanden aus dem Straßenbild. Seit einigen Jahren aber erleben Transporträder ein Revival. Zunächst brachten Anbieter aus Holland und Dänemark ihre Modelle auf den deutschen Markt, mehr und mehr setzen nun auch hiesige Hersteller auf die Sparte. In diesem Frühjahr etwa bietet Hercules ein zweirädriges Cargo-Bike mit einer riesigen Ladefläche an. Kommt das Lastenfahrrad raus aus der Nische?

Branchenkenner glauben: Vor allem in der Elektromobilität steckt eine Chance. "Das größte Hindernis war bislang, dass man das alles alleine treten musste", sagt Ralf Klagges vom saarländischen Hersteller Utopia Velo. Das schwere Transportrad, dazu die Last - "das macht den Leuten keinen Spaß ohne Motor", sagt Klagges. Deshalb verbauen immer mehr Hersteller mittlerweile einen Elektromotor zur Unterstützung in ihren Rädern.

50 Kilo Ladung? Kein Problem

Bei Lastenpedelecs unterstützt der E-Antrieb die Fahrer bis zu einer Geschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde. Die sogenannten "S-Pedelecs" beschleunigen auf bis zu 45. Für solche Flitzer benötigt man allerdings ein Versicherungskennzeichen, außerdem ist ein Helm vorgeschrieben, und das Befahren von Radwegen mit S-Pedelecs ist in der Regel untersagt.

Doch auch bei den Rädern, die bei Tempo 25 die Motorhilfe abschalten, spürt man die Unterstützung deutlich. Selbst mit 50 Kilogramm Ladung kommt man locker voran. Das zeigte sich Mitte April in einem Test des Vereins "Extra Energy" in Thüringen. Fast zwei Wochen lang trieben die Tester ein gutes Dutzend E-Lastenräder über Steigungs- und Gefällstrecken sowie holprige Waldwege; ein zweiter Parcours simulierte den Stop-and-go-Verkehr. Die Tester messen dabei die Unterstützungswerte der Motoren, ermitteln die Reichweite der Batterien und prüfen, ob Motor und Antriebsstrang ausgelegt sind für die schweren Lasten. "Wir wollen die Hersteller zu besseren Produkten treiben", sagt der Vereinsvorsitzende Hannes Neupert.

Warum, fragt etwa ein Tester, ist die Ladefläche beim Load von Riese & Müller so konstruiert, dass gerade kein zweiter Bierkasten reinpasst? Ein anderer Tester lobt den leisen Heckmotor des I:SY CarGo von Hartje, beklagt aber die laut klappernde Ladekiste vorn. Beim niederländischen Urban Arrow verhalte es sich genau umgekehrt. Das ideale Lastenpedelec? "Wäre eine Kombination aus beidem", sagen die Tester: leiser Motor und ruhiger Aufbau. "Das wäre der absolute Cruiser-Traum."

Umweltschützern indes geht es weniger um Fahreigenschaften oder darum, ein Traumrad zu konstruieren. Sie sehen vielmehr Potenzial in den Rädern, um die Belastungen im innerstädtischen Verkehr zu mindern. So könnten sich nicht nur Familien für ein Lastenrad entscheiden, sondern auch mehr und mehr Gewerbetreibende, findet Wasilis von Rauch vom ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD).

München fördert Lastenpedelecs finanziell

In Wiesbaden zum Beispiel bietet das gemeinnützige "Kiezkaufhaus" lokal erzeugte Waren im Internet an und bringt diese per Lastenpedelec zu den Kunden. Und ausgerechnet im hügeligen Stuttgart versucht seit Kurzem ein Logistikunternehmen aus Tübingen, einen Zustellservice mit Lastenrädern aufzuziehen. Aus Rauchs Sicht ist es daher "eine verpasste Chance", dass die Bundesregierung bei ihrem Förderprogramm zur E-Mobilität ausschließlich auf Pkw setzt.

Anders macht es die Stadt München: Sie bezuschusst bei ihrem im April gestarteten Programm neben E-Autos auch Pedelecs und Lastenräder mit E-Antrieb. Bislang wurden 200 Förderanträge eingereicht, 23 davon für Lastenpedelecs. Umweltreferentin Stephanie Jacobs hofft, dass sich so eine "saubere, gesunde und schnelle Art, sich in der Stadt fortzubewegen" durchsetzt.

Es gibt auch Nachteile

Kommunen könnten aber noch viel mehr tun, findet VCD-Mann von Rauch: Indem sie zum Beispiel striktere Zufahrtsbeschränkungen für ihre Innenstädte und Fußgängerzonen erlassen. Zustelldienste wie DPD, UPS und DHL könnten sich zusammentun und von gemeinsamen Depots aus ihre Päckchen per E-Lastenrad ausliefern. Selbst Industrie- und Handelskammern sehen darin eine Chance für einen umweltverträglicheren Wirtschaftsverkehr. Bisher scheiterten solche Vorstöße am Widerwillen der Zustelldienste.

Daher wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis Transporträder ihre Nische verlassen, räumt auch VCD-Mann Rauch ein. Zumal die elektrisch unterstützten Lastenesel auch ihre Nachteile haben: Denn mit Preisen ab 3000 Euro sind sie nicht gerade ein Schnäppchen. Und in eng bebauten Innenstadtvierteln findet sich nicht immer ein Stellplatz für die langen Dinger.

Da verwundert es kaum, dass sich in Deutschland bislang vor allem Fahrradanhänger durchgesetzt haben - ganz anders als in Dänemark und Holland, wo Anhänger weit weniger das Bild prägen. "Mit einem Hänger", sagen Branchenkenner, "macht man ein normales Fahrrad ruck,zuck zu einem Lastenrad." Hersteller Klagges aus Saarbrücken will dies nun forcieren: Er bringt im Sommer ein aufeinander abgestimmtes Gespann aus Pedelec und Anhänger mit Auflaufbremse auf den Markt. "Damit schafft man locker jeden Berg."

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Quelle:
SZ vom 07.05.2016/harl
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