Kulturgeschichte der Autogestaltung:Das Ende des Retro-Designs

Umweltprobleme und Energiepreise leiten eine neue, überfällige Epoche der Gestaltung von Automobilen ein. Endlich.

Lutz Fügener, Professor für Transportation-/3D-Design

Alle Anzeichen sprechen dafür, dass eine Epoche im Automobildesign ausklingt. In der Natur der Sache liegt es, dass Epochen ihren Namen erst rückblickend erhalten können.

Kulturgeschichte der Autogestaltung: Die Retro-Ikone schlechthin: ein Mini

Die Retro-Ikone schlechthin: ein Mini

Unverzichtbar ist der Ausblick auf einen neuen, anders gefärbten Horizont, denn nur vor diesem hebt sich das Gewesene mit ausreichendem Kontrast ab. Ähnlich einer Wolke, deren Form und Grenzen nicht erkennbar sind, solange man sie durchfliegt.

Die Endlichkeit als Frohbotschaft

Die Umrisse der letzten Epoche des Automobildesigns werden erkennbar, und mit dem - sicher nicht besonders innovativen - Begriff Retrodesign ist sie wohl am treffendsten charakterisiert. Die Endlichkeit auch dieser Epoche darf durchaus als frohe Botschaft verstanden werden.

Das Retrodesign kam nicht mit dem lauten Knall einer Ikone, so wie die Moderne des Automobildesigns im Jahr 1955 von einem Tag auf den anderen durch das Erscheinen der DS von Citroën eingeläutet wurde.

Das Retrodesign schlich sich eher durch die Hintertür in die Produktfamilien der Hersteller. Eine Reihe von Faktoren mussten zusammentreffen, um ihm die Türen der Designstudios und die Herzen der Kunden zu öffnen.

Vorausgegangen war eine Zeit der Moderne, die nur eine Entwicklungsrichtung kannte - vorwärts. Es gab Zeiten, in denen man Retroautos - sofern sie überhaupt jemand herstellte - nur einer Handvoll unverbesserlicher Traditionalisten oder einfach schrulligen Zeitgenossen verkaufen konnte.

Markante, neutrale Gesichter

Für alle anderen war ein neues Modell einfach moderner und sah auch so aus. Ein Grundsatz, der heute noch selbstverständlich klingt, durch das Retrodesign aber weit aus den Angeln gehoben wurde.

Durch den Aufbau von Designstudios und des Berufes des Automobildesigners in den Siebzigern begann die hohe Zeit des europäischen Designs. Die Keilform wurde zum semantischen Synonym für Dynamik und das europäische Automobildesign emanzipierte sich endgültig vom amerikanischen Nachkriegseinfluss, um dann aus der Bewegung zügig zum Überholen anzusetzen.

Die Autos dieser Epoche des Wirtschaftswachstums und des ständigen Aufschwungs waren zeitgemäß gestaltet, trugen markante aber neutrale Gesichter und waren - ganz im Geiste Adolf Loos' brennenden Aufsatzes aus dem Jahre 1908 über "Ornament und Verbrechen" - bar jeder funktionslosen Applikation oder Verzierung - modern eben.

Im zweiten Teil: Die besondere Tägheit der Industrie in den unbekannten Fahrwassern des Marktes.

Das Ende des Retro-Designs

Dann kam die globale Wende. Anfang der neunziger Jahre schien nichts mehr, wie es war. Der Glaube an die Unendlichkeit gesellschaftlicher Modelle, wirtschaftlicher Entwicklungen und dem damit verbundenen, stetigen Wachstum war erschüttert.

Chrysler PT Cruiser

Chrysler PT Cruiser

Die Zeit war plötzlich eine andere und mit ihr gehörten deren wichtigste Kosum-Ikonen buchstäblich zum alten Eisen. In der Gesellschaft richtete sich das, was man gemeinhin als Zeitgeist bezeichnet, neu aus. Aus vermeintlich unerschütterlichem Zukunftsglauben wurde Unsicherheit, teils Zukunftsangst und wertkonservatives Verhalten. Schneller als geahnt war sie wieder da, die gute alte Zeit.

Nichts muss die Autoindustrie mehr fürchten, als solch rasante Brüche in der gesellschaftlichen Wahrnehmung, denn sie bewegt sich mit ihrer Reaktionszeit von ungefähr vier Jahren mit der Agilität eines vollbeladenen Tankers ungern in solch unbekannten Fahrwassern des Marktes.

Dieser Trägheit geschuldet konnte sie der neuen Generation der Autokäufer auch nicht sofort das passende automobile Accessoire des neuen Zeitalters anbieten. Der Käufer behalf sich mit für die Hersteller unangenehmem, weil schwer berechenbarem Kaufverhalten.

Die Reanimation fast begrabener Karosserieformen wie Cabriolet und Roadster begann. Viele Käufer trösteten sich gleich mit den gebrauchten Modellen aus der guten, alten Zeit - der deutschenglische Begriff des Youngtimers musste geschaffen werden, um das Phänomen benennen zu können.

Tradition: das Gegenteil von "retro"

Erste nach außen hin wahrnehmbare Maßnahme der aufgeschreckten, aber durch die große Menge der global hinzugekommenen potentiellen Käufer hochmotivierten Automobilindustrie war ein vehementes Bremsen bei der Modernisierung im Design der Serienfahrzeuge - abzulesen an einer mitunter verwirrenden Ungleichheit der immer noch der Moderne verpflichteten aktuellen Showcars und der zeitgleich erscheinenden Serienmodelle.

Nach dem ersten vollständigen Entwicklungszyklus hatten sich Mitte der Neunziger zwei Hauptentwicklungsrichtungen etabliert. Die eine, jetzt paradox "traditionalistisch" zu nennende Fortsetzung der kontinuierlichen, aber vorsichtigeren Modernisierung der Konzepte und Formensprache im Design und die andere - das Retrodesign.

Wer es sich kraft seiner Firmenstruktur und Produktvielfalt leisten konnte, setzte auf beide Pferde, um jeglicher Richtungsänderung der Präferenzen der Käufer gewachsen zu sein oder diese so gut es geht im eigenen Sinne zu beeinflussen.

Eines der markantesten reinen Retromobile ist der PT Cruiser von Chrysler, der in bis dahin nicht gekannter Sorglosigkeit die Einheit von Inhalt und Form als gestalterische Grundregel ignoriert und für das Automobildesign ein Wurmloch in die fünfziger Jahre öffnete. Der Konsens, nach welchem Nachfolger moderner auszusehen hätten als Vorgänger, war zumindest für Nischenmodelle pulverisiert.

Eine nächste und höhere Stufe der breiten Etablierung des Retrodesigns wagte BMW mit dem Mini. Im Kerngeschäft auf bewährte Konzepte und innovative Formensprache setzend, wurde mit gutem Augenmaß und sicherem Marketingabstand zu den ersten Retro-Testballons der Mitbewerber der konzeptionell geniale, aber seinerzeit schon eher verhalten gezeichnete Mini in die Gegenwart befördert. Schon jetzt ist er zur Ikone seiner Epoche geworden.

Die Dämme der Zurückhaltung gegenüber der Retrowelle brachen nicht zuletzt durch den großen Markterfolg des Mini, während sich ein wirklich innovatives Konzept wie der Smart mit Mühe seine Käufer suchen musste.

Im dritten Teil: Was wird bleiben, was wird kommen?

Das Ende des Retro-Designs

924 Carrera GTS (1981)

Vergessenes Ergebnis aus einem früheren Erneuerungsdruck bei Porsche: ein 924 Carrera GTS (1981)

Einen der Tradition schon seit jeher verpflichteten Porsche 911 muss man in solcher Atmosphäre übrigens niemandem mehr begründen. Der Erneuerungsdruck, unter den der Sportwagenhersteller in den Siebzigern und Achtzigern geriet und dem er sich mit den Modellen 924, 944 oder 928 stellte, ist vergessen.

Mit den derzeit hier und da noch erscheinenden Vollblut-Retroautos, die den Trend in teilweise grotesken Formen oder Details am Leben erhalten, ist die manieristische Endphase der Epoche erreicht. Man versucht, die letzten Gewinne mitzunehmen.

Ein symptomatisches Beispiel dieser ausklingenden Phase ist ein Showcar der Firma Chrysler, das vor zwei Jahren noch auf Tour durch die Autoausstellungen der Welt geschickt wurde: der Chrysler Imperial.

Vielleicht ist dem extrem wertkonservativ denkenden Durchschnittsamerikaner der Bush-Ära eine gesunde Portion Retro mehr zuzumuten als dem Europäer - schließlich hat er ja auch den ebenfalls von Chrysler verkauften Prowler verdaut.

Doch angesichts des sich sogar in den USA durch steigenden Benzinpreis und der beginnenden Wahrnehmung von Umweltthemen abzeichnenden Paradigmenwechsel ist eine Weiterführung dieses Designtrends auch dort nicht ungefährlich.

Was wird bleiben, was wird kommen?

Jedes Unternehmen hat den Keller der eigenen Geschichte geöffnet, gründlichst durchsucht und gewissenhaft auf seine Reanimierbarkeit geprüft. Durch die Verfolgung dieses Themas über den Zeitraum von vier Fahrzeuggenerationen sind Retroelemente kultiviert worden und haben sich zum Teil fest etabliert. Das ist sicher zu ertragen.

Weitaus ernster zu nehmen sind Folgen der strategischen Entscheidungen der neunziger Jahre. Vor allem für die erste Reihe der Automobilhersteller ist es nicht ungefährlich, den Grundsatz der Einheit von Inhalt und Form aufzugeben. Indem man zulässt, dass moderne Automobile buchstäblich alt aussehen, öffnet man die Flanke für die technologisch noch unterlegenen Mitbewerber aus Fernost.

Der erste Anblick des Automobils wird weiterhin ausschlaggebend für eine grundsätzliche Einordnung in die Kategorien "interessant" oder "uninteressant" sein. So funktioniert unsere Wahrnehmung weit vor Einsetzen aller Rationalität. Und das Design - auf einen Spitzenplatz der Entscheidungskriterien beim Kauf eines Neuwagens geklettert - lässt sich leichter imitieren als Technologie.

Zukunft ist wieder attraktiv

Anspruchsvoll ist auch die Aufgabe, ein Retroauto in Richtung Zukunft weiterzuentwickeln. Dabei gerät man unvermeidlich in die Epoche, deren Produkte im Moment bei den Fähnchenhändlern stehen. Also ist eine kontinuierliche, für die Kundenbindung so wichtige schrittweise Nachvollziehbarkeit der Designentwicklung solcher Modelle schwer möglich. Der durch gewandtes Aufspringen auf den Retrotrend gewonnene Marktvorteil erweist sich bald als lästiger Kredit, der zurückzuzahlen ist.

Zukunft ist wieder attraktiv. Der Kunde ist bereit für die nächste Generation, deren Protagonisten wie der neue Honda Civic bereits beginnen, unser alltägliches automobiles Umfeld zu verändern. Und Daimler hat sich durch den Verkauf von Chrysler ja ganz nebenbei auch seiner Retro-Vergangenheit entledigt.

Die Autos der Zukunft werden sich von denen der ausklingenden Epoche stark unterscheiden, denn die gesellschaftliche Wirklichkeit, für die man sie entwickelt, ist eine andere. Umweltprobleme und Energiepreise sind globale Faktoren, denen sich kein Massenhersteller verschließen kann. Freuen wir uns also auf eine neue, zukunftsweisende Generation von Autos und lassen die Vertreter der Retro-Epoche in den Hintergrund der Automobilgeschichte treten.

Der Autor ist Professor für Transportation-/3D-Design an der Fachhochschule Pforzheim.

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