Kuba und die Autos:Unterwegs in einem wütenden Land

Eine Reihe von Oldtimern auf Kuba

Für die Touristen sind sie wunderschöne Attraktionen, für die Einheimischen einfach nur "Dreckskarren" - Oldtimer auf Kuba.

(Foto: iStockPhoto)

Nach 50 Jahren erlaubte das Castro-Regime den Verkauf fabrikneuer Autos - und ließ Kuba vom Ende der Oldtimer-"Plage" träumen. Inzwischen träumt niemand mehr.

Von Andreas Glas, Havanna

Der Rucksackträger geht auf die Knie. Er fotografiert von unten, damit der Kühlergrill dicker wirkt. Roberto Hernández steht mitten im Bild, tief gebeugt über dem Motor. Der Tourist interessiert ihn nicht, er muss zusehen, dass er den Wagen wieder zum Laufen bringt. Sein Chevrolet hat Heckflossen wie Flügel und eine Bügelfalte auf der Motorhaube. Ein echter Ami-Schlitten eben, Baujahr 1952. Ein Schmuckstück, sagen die Urlauber, die sein Auto tagtäglich fotografieren. "Eine Dreckskarre", sagt Roberto Hernández.

Er zieht die Stecker von der Verteilerkappe, hält sie prüfend ins Sonnenlicht und flucht: "Die bescheißen uns hinten und vorne." Er legt die Zündkerzenstecker in eine Blechbüchse, dann schreibt er mit dem Zeigefinger eine Zahl in den Staub auf der Windschutzscheibe: 262 185. Er kennt die Zahl auswendig, jeder Kubaner kennt sie. "Woher um alles in der Welt soll ich eine Viertelmillion Dollar nehmen?", fragt Hernández und zieht einen Strich unter die Zahl, jetzt mit zwei Fingern: "Diese Zahl ist eine Beleidigung für das kubanische Volk."

Das erste Mal seit 50 Jahren wird mit Neuwagen gehandelt

Eigentlich hatten die Kubaner eine Belohnung erwartet, keine Beleidigung. Eine Belohnung für Jahrzehnte des Frusts, in denen sie ihre Chevrolets und Pontiacs mit Draht und Spucke zusammenhalten mussten. Seit 1. Januar erlaubt ihnen das Castro-Regime ohne staatliche Genehmigung neue Autos zu kaufen - erstmals seit einem halben Jahrhundert. Zuvor war 2011 der private Handel mit Gebrauchtwagen erlaubt worden. Bis dato durften die Kubaner untereinander nur mit Modellen handeln, die vor der Revolution 1959 gebaut wurden.

In den Jahrzehnten dazwischen entstand die vielleicht beliebteste Touristenattraktion Kubas: US-Oldtimer, die Urlauber herumkutschieren, oder Einheimische für wenig Geld von A nach B bringen. Auch Roberto Hernández ist am Neujahrstag in eines der staatlichen Autohäuser gegangen. Nur um mal zu schauen, Ersparnisse hat er kaum. "Man darf ja ein bisschen träumen", sagt der 54-Jährige. Seit er im Autohaus war, träumt Roberto Hernández nicht mehr - wegen dieser absurd hohen Zahl, die er in den Staub der Windschutzscheibe geschrieben hat. 262 185 CUC, umgerechnet mehr als 190 000 Euro kostet ein Peugeot 508, Baujahr 2013. Ein unspektakulärer Mittelklassewagen ohne Extras. Das ist das Zehnfache des Listenpreises in Deutschland, wo das gleiche Auto keine 25 000 Euro kostet.

Astronomische Preise wider jede Logik

Auch Gebrauchtwagen sind auf Kuba extrem teuer, doch mit solchen Zahlen hatten die Menschen nicht gerechnet, als sie an Neujahr in die Autohäuser strömten. Bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 15 Euro wäre zwar auch der übliche Marktpreis für die meisten Kubaner utopisch gewesen, trotzdem ist die Wut groß. Weil die astronomischen Preise jeder Logik widersprechen, weil sie wirken wie eine willkürliche Provokation. "So mit den Träumen des Volkes zu spielen, ist das Niederträchtigste, was eine Regierung machen kann", heißt es in einem Internetkommentar.

Die Liberalisierung des Autohandels ist die jüngste Reform auf Kuba - und ein Symbol für die Unentschlossenheit der neuen Wirtschaftspolitik. Raúl Castro, der seinen kranken Bruder Fidel seit sieben Jahren als Präsident vertritt, hat dem Land einen marktwirtschaftlichen Anstrich verpasst, besser gesagt: ein paar Tupfer. Kubaner dürfen jetzt Häuser kaufen, ausreisen, selbständig arbeiten. Doch in Wahrheit hat auf Kuba kaum jemand das Geld für ein Eigenheim oder ein Flugticket, und die Kleinunternehmer kämpfen mit strengen Auflagen und teils absurd hohen Steuern.

Das Castro-Regime droht sich zu verzetteln

Raúl Castro steckt in einem Dilemma: Er muss das Land reformieren, er hat keine Wahl, die Wirtschaft liegt am Boden. Doch fruchten die Reformen, könnte in Kubas Gesellschaft eine soziale Kluft entstehen und die kapitalistisch denkende Kleinunternehmer-Lobby den Sozialismus in Frage stellen. Das Castro-Regime wagt eine Gratwanderung - und droht sich zu verzetteln.

Ein qualmender Oldtimer auf Kuba

Ersatzteile gibt es wegen der Handelsblockade auf Kuba kaum. Die Autos werden zusammengeflickt mit dem, was gerade zur Hand ist.

(Foto: Stefan Salger)

Roberto Hernández legt den Schraubenschlüssel zur Seite, setzt sich auf die schiefe Bordsteinkante und raucht. Hier lebt er, in einer staubigen Straße im Hafenviertel von Havanna. Rechts und links reihen sich bunte Häuser, überall blättert der Putz. Die Straße ist übersät mit Schlaglöchern, manche sind geflickt mit mehreren Teerschichten. Mit dem Flicken kennt sich auch Hernández aus. Ersatzteile für seinen Chevrolet gibt es längst nicht mehr, das hat mit der US-Handelsblockade zu tun, die seit 55 Jahren gilt.

Den Chevrolet erbte er vom Vater

Unter der Motorhaube seines Chevrolet arbeitet inzwischen ein Peugeot-Motor, der Schalthebel ist von Toyota, die Hinterachse gehörte mal einem Lada. Hernández hat alles selbst ein- und ausgebaut. Wie das geht, hat ihm sein Vater beigebracht. Der hat den Chevrolet vor der Revolution gekauft, als Hernández noch nicht geboren war. Als sein Vater starb, hat er den Wagen geerbt, 15 Jahre fährt er inzwischen Taxi, seit drei Jahren legal als Kleinunternehmer. Man findet Hernández in Havannas Park der Brüderlichkeit, wo Dutzende Oldtimerbesitzer auf Mitfahrer warten. Ihre Kunden sind Einheimische, es gibt feste Routen, die Taxis sind Linienfahrzeuge für Pendler. Wer hier steht, macht weniger Geld als die Touristentaxis, aber mehr Kilometer - das geht an die Substanz der alten Autos.

Kuba und die Autos: Oldtimer gehören auf Kuba zum Alltag. Und das wird auch in Zukunft so bleiben: Einen Neuwagen kann sich kaum jemand leisten.

Oldtimer gehören auf Kuba zum Alltag. Und das wird auch in Zukunft so bleiben: Einen Neuwagen kann sich kaum jemand leisten.

(Foto: Stefan Salger)

Auch der Chevrolet von Roberto Hernández ist mal wieder verreckt und will nicht mehr anspringen: "Jedes Mal wenn die Karre kaputt ist, geht mir Geld durch die Lappen. Könnte ich mir ein neues Auto leisten, hätte ich das Problem nicht." Das Regime rechtfertigt die Wucherpreise für Autos mit dem überlasteten öffentlichen Verkehr auf Kuba. Die hohen Steuern auf Neuwagen sollen Einnahmen bringen, um endlich Bus- und Bahnnetze ausbauen zu können. In Wahrheit ist die Preispolitik aber eher ein Versuch, die Spendierfreude der Verwandten im Ausland zu stimulieren. Denn kauft ein Exilkubaner seiner daheimgebliebenen Familie ein Auto, fließen dringend benötigte Devisen ins Land.

Fünf Autos im gesamten Januar verkauft

Doch ist der reiche Onkel in Miami wirklich bereit, der Familie einen Peugeot zu spendieren, wenn er sich für das gleiche Geld selbst einen Ferrari kaufen könnte? Und bleibt dem Staat überhaupt Geld für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, wenn - so wird gemunkelt - im gesamten Januar nur fünf Autos verkauft wurden? "Natürlich nicht", sagt Yosbel Calderón und hupt, um das Auto vor ihm auf die grüne Ampel aufmerksam zu machen. Seine Hupe ist eine Metallschiene, die am Armaturenbrett befestigt ist. Mit vier Knöpfen, die aussehen wie Tasten einer Trompete.

Calderón kennt viele Arten des Hupens. "Wenn ich ein Paar auf Hochzeitsreise dabei habe, spiele ich zum Beispiel dieses Lied", sagt er, lässt seine Finger über die Knöpfe wandern und klimpert den Hochzeitsohrwurm von Mendelssohn-Bartholdy: Taaa, ta, ta, taaa, taaa, taaaaa. Auch Calderón fährt Taxi. Er verdient gut damit. Weil er am begehrtesten Taxistand Havannas stehen darf: gegenüber des Kapitols. Und weil er ein Auto fährt, das die Touristen lieben. Ein 1959er-Cadillac, quietschgelb lackiert, auf Hochglanz poliert. Früher war es eine Limousine, irgendwann hat er das Dach abgemacht. Das sei besser fürs Geschäft: "Die Touristen mögen Cabrios eben lieber. Du musst dich von den anderen Taxis abheben, wenn du Geld verdienen willst, du musst auf Show machen."

Wer CUC hat, kann alles kaufen

Zur Show gehört auch Lola, seine Schwester und Beifahrerin. Eine bildhübsche junge Frau mit schwarzen Locken unterm Strohhut. Ihr Outfit ist abgestimmt auf den Wagen: quietschgelbes Kleidchen, quietschgelber Nagellack. Während Yosbel fährt und Liedchen auf der Hupe spielt, erklärt Lola den Touristen auf der Rückbank die Stadt. In einer Stunde verdienen die beiden mehr als viele Kubaner im Monat. Umgerechnet 25 Euro kostet die Cadillac-Tour, Hupkonzert inklusive. Der Oldtimer ist ihre Chance, an CUC zu kommen, die gegenüber dem Peso stärkere Parallelwährung. Wer CUC hat, kann alles kaufen: Handys aus Japan, Duschgel aus Brasilien, Coca-Cola aus Mexiko. Wer nur den staatlichen Lohn hat, der in Pesos bezahlt wird, bekommt fast nichts dafür, außer Reis, Bohnen und Zucker.

Am leichtesten kommt an CUC, wer Geschäfte mit den Touristen macht. So wie Yosbel Calderón. Doch auch er schimpft über die hohen Neuwagenpreise. Weil er weiß, wie schwierig es ist, ein Auto instand zu halten, das ein halbes Jahrhundert alt ist. Eigentlich kann das nur, wer jemanden kennt, der Ersatzteile anderer Marken aus staatlichen Werkstätten organisiert. "Tauschen" sagen die Kubaner dazu, aber in Wahrheit ist es Diebstahl: Ein Lagerarbeiter nimmt ein neues Teil aus dem Regal und legt dafür das kaputte Teil hinein. "Damit nicht so auffällt, dass etwas fehlt", sagt Calderón.

Das billigste Modell kostet 67 000 Euro

Er hält jetzt vor einem Peugeot-Autohaus nahe der Plaza de la Revolución. "Der einzige Laden in Kuba, in dem man einkaufen kann, ohne sich anstellen zu müssen", sagt er, als er die Tür zum Verkaufsraum öffnet. Acht nagelneue Autos stehen hier, das billigste Modell ist ein Dreitürer und kostet fast 67 000 Euro. In der Ecke des Verkaufsraums steht ein Peugeot 508. Yosbel Calderón deutet auf das Preisschild hinter der Windschutzscheibe. Da prangt sie also, die Zahl, die ein ganzes Land wütend macht: 262 185. "Als ob man einem Bettler einen Teller hinstellt und ihm dann verbietet, davon zu essen", sagt er.

Ein paar Kilometer weiter östlich sitzt Roberto Hernández auf dem abmontierten Hinterreifen seines Chevrolets, der immer noch am Rand der Staubstraße parkt. Die Zündkerzenstecker hat er inzwischen sauber gemacht, der Motor läuft wieder. Aber weil er eh gerade am Rumschrauben ist, rubbelt er noch den Staub in den Bremstrommeln weg. Von welchem Auto er denn träume? Roberto Hernández schiebt seine Baseballmütze mit dem Handrücken nach hinten und reibt sich einen Augenblick die Stirn: "Ein Ferrari, das wär's. " Dann rubbelt er weiter, in 60 Jahren hat sich ziemlich viel Bremsstaub eingefressen.

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