Krise der Mobilität II:Vorstadt als Lebensform

Mit 50 Jahren feiert das amerikanische Interstate-System seine Vollendung - oder sein Ende.

Petra Steinberger

Der alte General war begeistert. Straßen. Große Straßen. Viele große Straßen. Ein ganzes Netz von Straßen durch das ganze große Amerika. Sie würden Norden und Süden verbinden, und Ost und West. Erst sie würden aus Amerika ein Land machen, das seines Namens würdig sei: Vereinigte Staaten. "Ohne sie", sagte der alte General, "wären wir bloß eine Allianz verschiedener Einzelteile."

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Verschlungene Pfade: Interstate Highway

(Foto: Foto: AP)

Im Sommer 1956 unterzeichnete also der ehemalige General, inzwischen Präsident Dwight D. Eisenhower, den "National Interstate Highway and Defense Act". Das Gesetz legte die Grundlagen für Bau und Ausbau jenes amerikanischen Autobahnnetzes, das irgendwann, so der Plan, jede große Stadt jedes Bundeslandes verbinden sollte.

Enthusiasten feierten das Interstate-System als eine der größten Ingenieursleistungen der Geschichte. Und das Militär war auch angetan, immerhin war die neue Infrastruktur auch für den kriegerischen Ernstfall geplant - so, wie es Eisenhower bei den deutschen Autobahnen gesehen hatte. Und falls die Bombe doch einmal . . . dann würden sich die Städte schneller evakuieren lassen. Es war das Jahr 1956. Da dachte man noch so. Der Kommunist stand praktisch vor der Tür.

Untergang der Innenstädte

Als in diesem Sommer das 50. Jubiläum dieses Gesetzes gefeiert wurde, da wurde gerade das letzte offizielle Stück des Systems fertig gestellt: der "Big Dig", der große Graben, ein gewaltiger Tunnel unter dem chronisch verstopften Boston, der zwei Autobahnen erneuert und verbindet.

Wie bezeichnend, dass das "Symbol der Freiheit" nun in einem gigantischen städtebaulichen Projekt seinen vorläufigen Abschluss fand. Und ebenso bezeichnend, dass die Erweiterung des Interstate-Systems in die Städte hinein von Bürgermeistern gewünscht und gefördert wurde, die nicht ahnten, dass sie damit den Grundstein legten für den Untergang ihrer eigenen Innenstädte.

Denn die direkte Einbindung der Städte ins neue Schnellstraßennetz machte jenen städteplanerischen Albtraum erst im großen Stil möglich, mit dem sich Amerika - und der Rest der Welt - heute herumschlagen: Suburbia, die Vorstadt als Lebensform der Mehrheit und die dazugehörige Krankheit sprawl, die Zersiedlung der Landschaft.

Vorstadt als Lebensform

Nicht alle waren deshalb damals so hingerissen. Sie spürten bereits den gewaltigen Sog, mit dem die neuen Straßen die Mittelschicht aus den Städten hinauszogen. In seiner Attacke auf das Interstate-System schrieb der Urbanist Lewis Mumford: "So lange es noch wenig Autos gab, war derjenige König, der eines besaß: Er konnte fahren, wohin er wollte, und dort anhalten, wo es ihm gefiel. Dieses Gefühl der Freiheit und Macht existiert heute nur auf dem flachen Land. Die Popularität dieser Fluchtmethode hat das Versprechen ruiniert, das diese uns einst gemacht hatte.

"Nur ein weiterer Vorort, genauso trist wie sein eigener"

Indem der Motorist das Auto dazu benutzt, um aus der Metropolis zu fliehen, hat er den Stau einfach nur auf den Highway verlegt und damit verdoppelt. Wenn er seinen Bestimmungsort erreicht, irgendwo in einem entfernten Vorort, dann entdeckt er, dass das ländliche Idyll, das er suchte, verschwunden ist: Dank der Autobahn liegt vor ihm nur ein weiterer Vorort, genauso trist wie sein eigener." Es war das Jahr 1958. Da dachten einige schon so. Klimawandel und Rohstoffknappheit waren da noch fern.

Im Kampf der Visionen hat die Eisenhower'sche der Mobilität und Verteidigungskraft bis heute die Mumford'sche von der dichtgebauten, lebenswerten Metropole weit hinter sich gelassen - aber keineswegs allein weil sich die Öffentlichkeit bewusst auf dem Markt der Ideen so entschieden hätte.

Denn die Wahl der imaginierten Mobilität wurde damals wie heute gehörig unterstützt von einer Lobby aus Autoherstellern, Bauunternehmern, Grundstücksmaklern, Hoteliers und Fast-Food-Imperien, "die mächtigste Lobby, die die Welt je gesehen hat", wie der britische Economist einmal ungewöhnlich kritisch anmerkte.

In manch hochmobilen Staaten wird nun zumindest die Möglichkeit diskutiert, Alternativen zu schaffen zum Ein-bis-vier-Mann-Vehikel für den allmorgendlichen Straßenkampf - selbst in den Vereinigten Staaten erheben sich einzelne Stimmen. Die Interstates sind sowieso in großen Teilen ziemlich marode, da böte sich ein neues Konzept an, selbst Los Angeles will seine Liliput-U-Bahn nun ausbauen. Doch haben die großen Schwellenländer wie China und Indien die Entscheidung zwischen dem alten General und dem alten Stadtplaner noch vor sich. Wenn das Benzin noch solange reicht.

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