Das Fahrrad war schwarz und praktisch neu, geschmeidige Schaltung, stabiler Rahmen, ordentlicher Gepäckträger. Es war nicht nur mit einem vernünftigen Zahlenschloss abgeschlossen - es war damit an einem Bügel im Boden angekettet. So stand es vor einem Hamburger Mehrfamilienhaus in einem Viertel voller Lokale und Geschäfte, zwischen Straße und Gehweg mit Fahrradspur. An einem Samstag im Juni war das gute Stück noch da. Am Sonntag war es weg, zurück blieben nur Splitter des Verschlusses. Sofern es der Bestohlene für sinnvoll hält, den Fall zu melden, erweitert der Verlust die Kriminalstatistik.
335 174 Fahrraddiebstähle hat das Bundeskriminalamt 2015 in Deutschland verzeichnet, mehr als 900 am Tag. Und das sind nur die registrierten Zahlen, die wahre Statistik kennt niemand. Längst nicht alle Opfer dieser chronischen Epidemie bemühen die Justiz, obwohl sich solche Strafanzeigen inzwischen vielerorts sogar online einreichen lassen. Ist das Rad erst mal verschollen, dann sieht es sein Eigner ja kaum je wieder. Die Behörden klären im Schnitt landesweit nur neun Prozent der Schmalreifendelikte auf - in den Metropolen noch viel weniger.
In Hamburg wird neuerdings sogar auf Bestellung gestohlen
Hamburg ist mit offiziell 17 217 Fällen aus dem vergangenen Jahr gemessen an seinen 1,8 Millionen Bürgern nicht mal nationale Spitze. Als Hochburg der Kleptomanen gilt das beschauliche Münster, wo gemäß BKA 5193 Räder verschwanden, 1719 pro 100 000 Einwohner. In Studentenstädten wird besonders gerne geradelt - Gelegenheit macht Diebe. München ist vergleichsweise unauffällig mit 5549 entwendeten Rädern, also 388 pro 100 000 Bürger. An geballten Tatorten wie Hamburg oder Berlin wird das Thema dagegen zum Politikum: Es passt nicht gut zur gewünschten Verwandlung in Fahrradstädte. An Alster und Elbe soll sich in fünf Jahren jeder vierte Verkehrsteilnehmer mit Pedalen fortbewegen, wie das schon jetzt in Amsterdam oder Kopenhagen gelingt. Doch wie soll das gehen, wenn ständig die Gefährte gestohlen werden?
Die Hamburger Polizei gründete kürzlich eine Sonderkommission, ähnlich ihrer "Soko Castle" gegen Wohnungseinbrüche; der Fahrradraub nahm zuletzt ja noch mal deutlich zu. Die Gründe dafür sind an den verschiedenen Brennpunkten des Landes ähnlich. Trekkingräder, E-Bikes, Rennräder oder Mountainbikes werden immer beliebter, immer schicker. Sie sind Lifestyle, teuer, und sie sind leichter zu knacken als Autos oder Motorräder. Und stehen häufig in Massen vor Schulen, Sporthallen, Schwimmbädern, Restaurants, Bahnhöfen oder Haltestellen. Es ist ein millionenschwerer Markt.
Auch hält sich das Risiko der Delinquenten in Grenzen, das ist in Hamburg nicht anders als in Berlin, München, Magdeburg oder Münster. In der Hauptstadt wurden im vergangenen Jahr offiziell 32 245 Räder gestohlen, mindestens 88 täglich, damit ist Berlin nach absoluten Zahlen die deutsche Zentrale der Fahrradraubzüge. Für Berliner gehört das zum Alltag wie ein Regenguss - es trifft halt jeden irgendwann. Die Rechnung geht ungefähr so: Solange der Wert der vermissten Räder dem einer Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel entspricht, ist man im Rahmen. Wer Glück hat, der entdeckt sein Rad bei Ebay wieder, auf dem Flohmarkt oder bei der Polizei. Spuren hinterlassen die Täter selten. In Berlin, so heißt es, seien die Diebe in der Regel junge Männer von 18 bis 25 und in dem Revier gemeldet, aus dem die Fahrräder verschwinden.