Fahrraddiebstahl:Täglich werden 900 Fahrräder gestohlen

Ein geknacktes Fahrradschloss

Fahrräder werden mittlerweise sogar auf Bestellung gestohlen.

(Foto: dpa)
  • 900 Fahrräder werden täglich in Deutschland gestohlen, die Grauzone nicht gemeldeter Delikte ist wesentlich höher. Spitzenreiter ist die Stadt Münster.
  • In Hamburg wurde deswegen eine Sonderkommission gegen Fahrraddiebstahl eingesetzt.
  • Auch die Radler selbst versuchen sich besser zu schützen. Immer mehr Start-ups entwerfen Schlösser oder sichere Abstellplätze für Fahrräder.

Von Peter Burghardt und Verena Mayer

Das Fahrrad war schwarz und praktisch neu, geschmeidige Schaltung, stabiler Rahmen, ordentlicher Gepäckträger. Es war nicht nur mit einem vernünftigen Zahlenschloss abgeschlossen - es war damit an einem Bügel im Boden angekettet. So stand es vor einem Hamburger Mehrfamilienhaus in einem Viertel voller Lokale und Geschäfte, zwischen Straße und Gehweg mit Fahrradspur. An einem Samstag im Juni war das gute Stück noch da. Am Sonntag war es weg, zurück blieben nur Splitter des Verschlusses. Sofern es der Bestohlene für sinnvoll hält, den Fall zu melden, erweitert der Verlust die Kriminalstatistik.

335 174 Fahrraddiebstähle hat das Bundeskriminalamt 2015 in Deutschland verzeichnet, mehr als 900 am Tag. Und das sind nur die registrierten Zahlen, die wahre Statistik kennt niemand. Längst nicht alle Opfer dieser chronischen Epidemie bemühen die Justiz, obwohl sich solche Strafanzeigen inzwischen vielerorts sogar online einreichen lassen. Ist das Rad erst mal verschollen, dann sieht es sein Eigner ja kaum je wieder. Die Behörden klären im Schnitt landesweit nur neun Prozent der Schmalreifendelikte auf - in den Metropolen noch viel weniger.

In Hamburg wird neuerdings sogar auf Bestellung gestohlen

Hamburg ist mit offiziell 17 217 Fällen aus dem vergangenen Jahr gemessen an seinen 1,8 Millionen Bürgern nicht mal nationale Spitze. Als Hochburg der Kleptomanen gilt das beschauliche Münster, wo gemäß BKA 5193 Räder verschwanden, 1719 pro 100 000 Einwohner. In Studentenstädten wird besonders gerne geradelt - Gelegenheit macht Diebe. München ist vergleichsweise unauffällig mit 5549 entwendeten Rädern, also 388 pro 100 000 Bürger. An geballten Tatorten wie Hamburg oder Berlin wird das Thema dagegen zum Politikum: Es passt nicht gut zur gewünschten Verwandlung in Fahrradstädte. An Alster und Elbe soll sich in fünf Jahren jeder vierte Verkehrsteilnehmer mit Pedalen fortbewegen, wie das schon jetzt in Amsterdam oder Kopenhagen gelingt. Doch wie soll das gehen, wenn ständig die Gefährte gestohlen werden?

Die Hamburger Polizei gründete kürzlich eine Sonderkommission, ähnlich ihrer "Soko Castle" gegen Wohnungseinbrüche; der Fahrradraub nahm zuletzt ja noch mal deutlich zu. Die Gründe dafür sind an den verschiedenen Brennpunkten des Landes ähnlich. Trekkingräder, E-Bikes, Rennräder oder Mountainbikes werden immer beliebter, immer schicker. Sie sind Lifestyle, teuer, und sie sind leichter zu knacken als Autos oder Motorräder. Und stehen häufig in Massen vor Schulen, Sporthallen, Schwimmbädern, Restaurants, Bahnhöfen oder Haltestellen. Es ist ein millionenschwerer Markt.

Auch hält sich das Risiko der Delinquenten in Grenzen, das ist in Hamburg nicht anders als in Berlin, München, Magdeburg oder Münster. In der Hauptstadt wurden im vergangenen Jahr offiziell 32 245 Räder gestohlen, mindestens 88 täglich, damit ist Berlin nach absoluten Zahlen die deutsche Zentrale der Fahrradraubzüge. Für Berliner gehört das zum Alltag wie ein Regenguss - es trifft halt jeden irgendwann. Die Rechnung geht ungefähr so: Solange der Wert der vermissten Räder dem einer Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel entspricht, ist man im Rahmen. Wer Glück hat, der entdeckt sein Rad bei Ebay wieder, auf dem Flohmarkt oder bei der Polizei. Spuren hinterlassen die Täter selten. In Berlin, so heißt es, seien die Diebe in der Regel junge Männer von 18 bis 25 und in dem Revier gemeldet, aus dem die Fahrräder verschwinden.

Gründerwelle gegen Fahrradklau

Die taz hat unlängst ein Experiment gemacht. Ein Fahrrad wurde mit einem GPS-Sender ausgestattet, dann legte man sich auf die Lauer. Es dauerte nicht lange, und das Fahrrad war weg. Erst fand es sich in einem bürgerlichen Hinterhof wieder, zwischen sündteuren Manufactum-Modellen und mit einem neuen Schloss versehen. Irgendwann landete es im Görlitzer Park, Berlins Drogenumschlagplatz, und tauchte schließlich am Stadtrand wieder auf. Dort fuhr es ein junger Mann, der sagte, er habe es für 40 Euro auf der Straße gekauft. Das eigene Fahrrad war ihm kurz zuvor gestohlen worden.

Immerhin: Die Misere inspiriert die Fantasie. Im Kampf gegen den Fahrradklau ist eine regelrechte Gründerwelle entstanden. Einige Start-ups entwickeln Smartphone- und App-basierte Fahrradschlösser und -tracker. Und es gibt sogenannte "Fahrradhostels", knallgrüne Boxen an Berliner S-Bahnhöfen, die aussehen wie eine Mischung aus Kiosk und Toilettenhäuschen. Per App kann man ein Fach öffnen und sein Fahrrad für einen Euro die Stunde hochkant darin abstellen. Auf die Idee kam die junge Gründerin Isolde Oldengott, als sie Wirtschaft studierte - und ihr drei Fahrräder gestohlen wurden. Ähnliche Modelle gibt es inzwischen in mehreren deutschen Städten.

Diebstahl auf Bestellung

Vor Kurzem haben Berlins Fahrradfans Unterschriften für ein Fahrrad-Volksbegehren gesammelt. Punkt acht ihrer Forderungen: eine Ermittlungsgruppe für Fahrraddiebstähle, ähnlich jener kürzlich geschaffenen Sonderkommission in Hamburg. In dreieinhalb Wochen fanden sich 107 000 Unterstützer, fünfmal mehr als erforderlich wären.

Wie sehr solche Sondereinsatztruppen in den deutschen Großstädten mittlerweile gebraucht werden, zeigt sich in Hamburg: Neuerdings werde sogar "auf Bestellung gestohlen", berichtet der dortige Polizeisprecher Timo Zill. Auch würden mehr organisierte Banden geortet, eine Route führt Richtung Osteuropa - wobei laut BKA-Tabelle mehrheitlich Deutsche zugreifen. Kürzlich wurde sogar ein Container voller Raubräder entdeckt, Ziel Afrika. Zill erzählt von offenen Kontrollen und verdeckten Maßnahmen, von Lieferwägen und rasend schnellen Profis.

Den Radlern empfiehlt der Polizist, resistente Schlösser einzusetzen, die Seriennummer zu notieren und das Modell für wenige Euro bei der Polizei codieren zu lassen; zudem gibt es Versicherungen. Man solle es den Räubern wenigstens schwerer machen, rät Dirk Lau vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Er verlangt mehr und bessere städtische Abstellplätze - und er weiß, wovon er spricht: Ihm wurden schon zwei Räder geklaut.

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