Krankenwagen im Rückspiegel:"Jeder bleibt stehen und macht gar nichts"

Das richtige Verhalten bei nahendem Blaulicht und Martinshorn ist eigentlich einfach: Rechts ran fahren und Platz machen. Doch wer mit einem Einsatzwagen unterwegs ist, erlebt die wildesten Sachen.

Von Marco Völklein

Wenn Tina Winklhofer, 24, zum nächsten Einsatzort eilt, dann steuert sie ihren 4,6 Tonnen schweren Rettungswagen mit "digitaler Fahrweise", wie sie sagt: "Vollgas, bremsen, Vollgas, bremsen." Etwas anderes kommt da gar nicht infrage. Wie bei einem Computer eben mit seinem digitalen System: Null und Eins, mehr gibt es nicht. Etwas mehr als 20 Liter Diesel auf 100 Kilometer schluckt der Rettungswagen aufgrund dieser Fahrweise. Ökologisch ist das nicht. Aber notwendig. Schließlich zählt meist jede Sekunde, wenn Winklhofer zusammen mit ihrer 34-jährigen Kollegin Diana Rodewald zu einer Unfallstelle braust oder zu einem älteren Herrn, der mit Herzbeschwerden zu Hause auf dem Sofa liegt und Hilfe braucht.

Winklhofer und Rodewald, die für die Johanniter von der Rettungswache in Hohenbrunn-Riemerling aus unterwegs sind im südlichen Landkreis München sowie in den südöstlichen Münchner Stadtvierteln, fahren dann meist mit Blaulicht und Martinshorn. Das ist nicht immer einfach, sowohl für die beiden Frauen im Rettungswagen wie auch für die anderen Verkehrsteilnehmer. Ältere Menschen, die zum Beispiel zu Fuß unterwegs sind, erkennen den Rettungswagen erst spät. Und Autofahrer geraten in Panik und wissen nicht, wie sie etwa an einer engen Stelle oder auf einer mehrspurigen Straße den Rettern am besten Platz machen sollen. "Da kann man die wildesten Sachen erleben", sagt Winklhofer. An diesem Tag geht es gleich beim ersten Einsatz los damit.

Um kurz vor neun Uhr haben sich die beiden Damen bei der Rettungsleitstelle der Münchner Feuerwehr per Funk "einsatzklar" gemeldet. Und es dauert keine zwei Minuten, da schrillt auch schon der Alarm auf der Rettungswache in Riemerling. Ein Bewohner einer betreuten Einrichtung für geistig Behinderte ist offenbar kollabiert. Winklhofer und Rodewald steigen in ihren Rettungswagen und düsen los.

Das Martinshorn tönt in drei Frequenzen

Am Steuer sitzt Diana Rodewald; die linke Hand am Lenkrad, die rechte Hand auf einer Bedienkonsole rechts neben ihr. Mit Zeige- und Mittelfinger schaltet sie immer wieder hin und her zwischen drei verschiedenen Martinshorn-Tönen. Mal ein etwas tieferes, lauteres Geräusch, wenig später ein etwas höherer, nicht ganz so durchdringender Ton. Drei verschiedene Frequenzen stehen den Rettern zu Verfügung; je nachdem, wo sie gerade unterwegs sind, verschaffen sie sich Gehör und freie Bahn. Sie versuchen es zumindest.

Denn was sich zum Teil auf der Straße vor ihnen abspielt, ist schon abenteuerlich. An einer Ampel in der Ottostraße in Ottobrunn zum Beispiel haben die Autos direkt vor dem Rettungswagen grün, dennoch reduzieren alle erst mal ihre Geschwindigkeit. Die Linksabbieger und diejenigen, die geradeaus wollen, bleiben abrupt stehen. Für Rodewald und ihren breiten Rettungswagen ist die Gasse dazwischen einfach zu eng. Sie steigt voll auf die Bremse, ihr Zeigefinger schaltet auf die lauteste Martinshorn-Variante, die ihr zur Verfügung steht, und zusätzlich drückt sie noch auf die Hupe. "Eine typische Situation", sagt sie später. "Jeder bleibt erst mal stehen und macht gar nichts, statt rechts ran zu fahren, zu halten und ausreichend Platz für uns zu schaffen."

Auch für Autofahrer eine Stresssituation

Bei einem anderen Einsatz später in der Stadt will Rodewald aus einer Nebenstraße in eine etwas belebtere Straße einbiegen - ihre Ampel zeigt Rot, der querende Verkehr hat Grün. Eine knifflige Situation. Mit Blaulicht und jeder Menge Martinshorn-Radau tastet sie sich langsam auf die Kreuzung vor. Und dennoch rauscht knapp vor ihr eine Fahrerin in einem weißen Mini noch über die Kreuzung. "Die hat uns gesehen", sagt Rodewald. Und dennoch scheint die Mini-Fahrerin lieber einer Art Fluchtreflex zu folgen, statt einfach stehen zu bleiben und den Rettungswagen passieren zu lassen. "Natürlich ist das auch eine Stresssituation für die Autofahrer", räumt Diana Rodewald ein. Dennoch sei es eben am besten, möglichst rasch rechts ran zu fahren, zu halten und die Retter passieren zu lassen. Es dauert eh nur wenige Sekunden - dann sind die beiden vorbei.

Denn unterwegs sind Rodewald und Winklhofer schon relativ flott. 80 oder 90 Stundenkilometer innerorts sind bei einer Einsatzfahrt keine Seltenheit, auf der A 8 in Richtung Ramersdorf brausen die beiden auch mit 130 oder 140 Sachen in einem Abschnitt, in dem - unter anderem zum Schutz der Anwohner - eigentlich Tempo 60 gilt. Am Autobahnende, dort, wo die Autobahn in den Mittleren Ring einmündet, muss sich Rodewald zwischen den Autos, die auf mehreren Spuren an den Ampeln warten, entscheiden.

Blaulicht-Blitzer in der Frontscheibe

Wie schlängelt sie sich am besten durch den Verkehr? Die erhöhte Sitzposition im Rettungswagen ermöglicht ihr einen relativ guten Überblick, um entscheiden zu können, welcher Weg der beste ist. Nicht immer allerdings haben auch die Autofahrer vor ihr diesen Überblick - und stellen sich dann den Rettern mitten in den Weg.

Winklhofer und Rodewald wie auch den vielen anderen Einsatzkräften von Polizei, Feuerwehren, Rettungsdiensten und Technischen Helfern, die Tag für Tag mit Blaulicht durch die Stadt eilen, bleibt daher kaum etwas anderes übrig, als noch besser auf sich aufmerksam zu machen. Die Lautstärke des Martinshorns ist - aus Gründen des Gesundheitsschutzes - begrenzt auf höchstens 110 Dezibel, heißt es beim Auto-Club Europa.

Um wenigstens besser gesehen zu werden, haben die Johanniter seit Kurzem einen zusätzlichen Blaulicht-Blitzer in ihrer Frontscheibe installiert. "Das hat sich aus der Praxis heraus entwickelt", sagt Winklhofer. Denn wenn sie mit ihrem Rettungswagen bereits relativ dicht hinter einem Pkw steht, dann sieht der Fahrer das auf dem Dach installierte Blaulicht in seinem Rückspiegel nicht - und auch die an der Front des Rettungswagens angebrachten Blaulicht-Blitzer kann er dann nicht mehr erkennen. Sie sind zu tief angebracht. Der zusätzliche Frontscheiben-Blitzlicht dagegen leuchtet auf Höhe des Rückspiegels auf. "Das hilft uns wirklich", sagt Winklhofer. Andere Rettungsdienstbetreiber hätten mittlerweile den zusätzlichen Blitzer übernommen.

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