Kompaktwagen im Test:Der Fiat Tipo ist schlicht, aber nicht schlecht

Endlich ein neuer VW-Golf-Konkurrent von Fiat. Der neue Tipo ist solide, durchdacht und günstig - zumindest unter gewissen Umständen.

Fahrbericht von Thomas Harloff, Turin

Es ist ein schlagzeilenträchtiges Frühjahr für Fiat und den Mutterkonzern FCA. Da ist einerseits der Verdacht, dass die Italiener die Abgaswerte einiger Dieselmodelle unzulässig manipulierten. Außerdem kooperiert der Konzern bald mit Google für selbstfahrende Autos. Dem einen geht das Kraftfahrt-Bundesamt gerade nach, das andere ist Zukunftsmusik.

Mit seinen Autos sorgt Fiat gerade für weniger Aufsehen. Dabei sind die Italiener fleißig dabei, ihre Modellpalette zu renovieren. Sie ließen kaum eine Gelegenheit aus, dem gut funktionierenden Kleinwagen-Dauerbrenner Cinquecento - zumindest namentlich - zahlreiche SUV- und Van-Ableger zur Seite zu stellen. Bald gibt es die lange erwartete Neuauflage des 124 Spider. Zuvor kommt ein weiteres früheres Erfolgsmodell zurück: der Tipo. Den gibt es seit März als Stufenheck-Limousine zu kaufen, vom 11. Juni an als fünftüriges Schrägheckmodell und im Spätsommer als Kombi. All diese Versionen, das haben Testfahrten rund um Turin gezeigt, sind solide, durchdacht und günstig. Letzteres aber nur unter gewissen Umständen.

Für Pragmatiker, nicht für Feingeister

Solide steht der neue Tipo da und solide sieht er auch aus. Sein Design folgt keinen Modetrends. Optisch spricht er eher Pragmatiker als Feingeister an und verzichtet fast völlig auf Schnörkel und anderen Zierrat.

Der Kompakte vermittelt auch durch Kleinigkeiten Solidität. Zum Beispiel, wenn die Türen mit sattem Klang ins Schloss fallen. Oder durch die Tatsache, dass sich die Innenraumdesigner für angenehme Materialien entschieden haben. Und weil sich ein für diese Klasse sehr ordentliches Infotainmentsystem mit Sieben-Zoll-Touchscreen und ansprechender Bildschirmgrafik um die zentralen Funktionen des Autos kümmert. Der Tipo bietet zudem vielfältige Konnektivitätsmöglichkeiten, Smartphones und Tablets können unter anderem per Apple Carplay und Android Auto ins System eingebunden werden. Kleine Verarbeitungsschwächen wie die geräuschvoll rastende Sitz- und Lenkradverstellung oder das zumindest auf den oft schlechten norditalienischen Straßen präsente Knistern der Kunststoffe bekommen die Bandarbeiter im türkischen Werk bis zur heißen Produktionsphase hoffentlich noch in den Griff - wenn aus "solide" ein "grundsolide" werden soll.

Drei Benziner, zwei Diesel

Eher im negativen Sinne solide ist das Motorenangebot. Keine Spur von irgendeiner Art von Elektrifizierung, hier sollen es noch klassische Verbrennungsmotoren richten. Aus drei Benzinern und zwei Diesel hat Fiat ein Triebwerks-Quintett zusammengestellt, das nur die motorische Grundversorgung gewährt. Der 95 PS starke Einstiegsbenziner schöpft seine überschaubare Kraft aus 1,4 Litern Hubraum. Die Turboversion des Motors erreicht 120 PS. Dazwischen rangiert ein 1,6-Liter-Ottomotor mit 110 PS, der nur in Verbindung mit einem Automatikgetriebe angeboten wird.

Bislang nur mit Schaltgetriebe gibt es die Dieselmotoren. Der schwächere der beiden Turbodiesel, ein 1,3-Liter-Aggregat, leistet 95 PS. Der Selbstzünder mit 1,6 Litern Hubraum kommt auf 120 PS. Während der Proberunden zeigte sich, dass er gut 1500 Umdrehungen braucht, um zu Kräften zu kommen. Dann ist er aber hellwach und bietet ein Drehmoment-Maximum von 320 Newtonmetern an. Das Verbrauchs-Versprechen von höchstens 4,2 Litern pro 100 Kilometer konnte der Tipo während der Probefahrten über Landstraßen und durch kleine Ortschaften aber nicht halten. Dennoch sind vom Bordcomputer gemessene 5,1 (Fünftürer) respektive 5,5 Liter (Kombi) keine schlechten Werte angesichts des zupackenden Wesens dieses Dieselmotors.

Durchdachter Innenraum

Darüber hinaus gefallen das grundsätzliche straffe, aber nicht unkomfortable Fahrwerk, sowie die exakte Lenkung. Die teilt - typisch für Fiat - zwar wenig darüber mit, was unter den Vorderrädern vor sich geht, entkoppelt den Fahrer aber längst nicht so von der Straße wie bei früheren Modellen. Auch das sehr lockere Gefühl in der Pedalerie und den nicht ganz exakt geführten Schalthebel kennt man von früher. Immerhin überzeugt das Getriebe mit kurzen Schaltwegen.

Durchdacht ist der Tipo im Innenraum: Es mangelt weder an Kopf-, Knie- noch an Ellbogenfreiheit. Die Sitze sind bequem, wenn auch mit etwas zu wenig Seitenhalt, der Kofferraum ist groß. 440 Liter sind es bei der Schräghecklimousine und damit 60 mehr als bei der typischen Referenzgröße im Kompaktsegment, dem VW Golf. Der Tipo Kombi bietet sogar 550 Liter Fassungsvermögen. Zudem gibt es ein zusätzliches Staufach unter dem Kofferraumboden, der sich schräg aufstellen lässt. Beim Baumarkt- oder Möbelhausbesuche wird das von Vorteil sein. Genau wie die anderen praktischen Details wie Verzurrösen und Taschenhaken.

Je mehr Ausstattung er hat, umso günstiger ist er

Günstig sind am neuen Fiat Tipo gar nicht mal so sehr die Einstiegspreise von 14 990 (Fünftürer) und 15 990 Euro (Kombi), auf die es als Einführungsangebot einen Pauschalrabatt von 2000 Euro gibt. Es ist auch nicht unbedingt die ordentlich bestückte Basisausstattung "Pop" oder die mittlere Linie "Easy". Fair ist vor allem die Aufpreispolitik für stärkere Motoren und höherwertige Ausstattungen. So kostet das "Lounge"-Paket mit 16-Zoll-Leichtmetallrädern, Klimaautomatik, großem Touchscreen, Licht- und Regensensor sowie Tempomat nur 2000 Euro mehr als die Basisausstattung. Der empfehlenswerte 120-PS-Diesel ist nur gut 3000 Euro teurer als der 95-PS-Benziner.

Es gibt überschaubar eingepreiste Zusatzpakete, die leider kaum elektronische Assistenzsysteme beinhalten. Abstandsregeltempomat, Tempobegrenzer und City-Notbremsassistent, das war es schon. Dass Fiat bis zum Jahresende eine sparsamere Version des 120-PS-Diesel, ein Doppelkupplungsgetriebe für diesen Motor und eine Lederausstattung für den Innenraum nachschieben möchte, ist da nur ein schwacher Trost. Aber irgendwo muss man sich nun mal einschränken, wenn man gleichzeitig solide, durchdacht und günstig sein möchte.

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