Kommentar:Überfordert am Steuer

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Früher drehte man den Deckel auf und schaute nach, heute verrät eine App, wie viel Wasser noch im Scheibenwischertank ist. Doch zu viel Technik verwirrt mehr, als sie nutzt.

Von Felix Reek

Ein Touch auf das Smartphone genügt. Dann öffnet sich die neue E-Klasse. Per NFC, einem Übertragungsstandard zum Austausch von Daten über kurze Strecken, kommuniziert das Handy mit dem Auto. Ein Schlüssel ist überflüssig, es gibt ihn aber noch. Wer will schließlich genau dem Gerät, dessen Akku permanent leer ist, die alleinige Hoheit über sein Auto verleihen?

Es ist nur eine von vielen technischen Raffinessen, die Mercedes bietet. Das Auto ist mehr digitale Schaltzentrale als schnödes Fortbewegungsmittel. Hier ein Auszug aus der Extrasliste der E-Klasse: Comand online, Head-up-Display, Multifunktions-Telefonie, TV-Tuner, Attention Assist, 360-Grad-Kamera, Pre-safe-System, Distronic, Multibeam LED. All diese Dinge sollen das Autofahren entweder sicherer oder unterhaltsamer machen. Ein Technik-Overkill, mit dem der Fahrer erst mal zurechtkommen muss. Kaum ein Auto kommt heute noch ohne eine Vielzahl technischer Sperenzchen aus. Eine App verrät dem Fahrer der E-Klasse sogar, wie viel Wasser noch im Scheibenwischertank ist. Früher drehte man einfach den Deckel auf und schaute hinein.

Technik-Innovationen sind unabdingbar für die Weiterentwicklung des Autos. Viele Sicherheitssysteme können heute Situationen verhindern, die noch vor wenigen Jahren zu Unfällen geführt hätten. Sensoren zeigen Autos im toten Winkel an oder lösen Notbremsungen aus, wenn der Vorausfahrende abrupt zum Stehen kommt. Niemand stellt den Nutzen dieser Systeme infrage. Aber sie funktionieren so gut, weil sie automatisch eingreifen und den Fahrer nicht ablenken. Jede zusätzliche Funktion, die es zu bedienen gilt, ist eine Gefahrenquelle. Denn Multitasking beherrschen entgegen dem Klischee weder Frauen noch Männer.

Kaum ein Auto kommt ohne technische Sperenzchen aus

Der US-Versicherer IIHS ließ bereits 2014 Autofahrer mit Rückfahrkamera, mit Parksensoren und mit beiden Systemen kombiniert einparken. Das Ergebnis: Am besten funktioniert die Kamera (50 Prozent aller Kollisionen vermieden), am schlechtesten die Sensoren (zehn Prozent). Nun sollte man meinen, beide Systeme kombiniert führten zur größtmöglichen Sicherheit. Stattdessen konnten nur noch 25 Prozent aller Unfälle vermieden werden. Die Fahrer waren zu abgelenkt.

Doch statt Funktionen zu reduzieren, macht die Industrie das Gegenteil: Nun sollen Gesten die Funktionen steuern. Im VW Golf lässt sich per Handbewegung das Radio bedienen. So soll der Blick auf der Straße bleiben. Doch die Technik funktioniert nicht einmal sonderlich gut. Stattdessen schaut der Fahrer noch länger in Richtung Bildschirm. Ein immenser Sicherheitsgewinn? Wohl kaum.

Die Lösung kann natürlich auch kein kompletter Verzicht sein, die Rückkehr zum puren Fahrerlebnis. Wer einmal in einem Oldtimer saß, weiß, wie beschwerlich das sein kann. Es gilt, den Fokus wieder auf das zu richten, was wirklich wichtig ist: die konzentrierte Aufmerksamkeit auf die Straße. Nur so wird Autofahren wieder entspannter und sicherer.

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