Klimapolitik:Es trifft die Falschen

VW - Elektroautos von Volkswagen

Volkswagen unter Strom: Bis zum Jahr 2023 sollen konzernübergreifend 30 Milliarden Euro in die E-Mobilität investiert werden. Produziert werden die Elektroautos in Deutschland, China und den USA.

(Foto: VW)

Die Autohersteller verpassen ihre CO₂-Ziele. Ausgerechnet die günstigen Kleinwagen werden die ersten Opfer von schärferen Grenzwerten sein.

Von Joachim Becker

Autoindustrie auf Crash-Kurs: Die CO₂-Werte steigen statt wie geplant zu sinken. Wegen ihrer verspäteten Elektro-Offensive, dem schrumpfenden Dieselabsatz und immer größeren Fahrzeugen rücken die Klimaziele in Europa in weite Ferne. "Acht von 13 Automobilherstellern werden ihre Emissionsziele 2021 verfehlen und müssen mit teils erheblichen Geldbußen rechnen," sagt Michael Schweikl von PA Consulting. Die jüngst veröffentlichen Berechnungen der Technologieberatung für 2017 müssen schon wieder nach oben korrigiert werden. Auch 2018 liegen Honda, Hyundai/Kia, Ford, Fiat Chrysler, Jaguar/Landrover, Mercedes und Volkswagen stabil 20 Gramm pro Kilometer (g/km) über ihren CO₂-Vorgaben. Nach dem Dieselabgasskandal zeichnet sich der nächste Dauerkonflikt mit den EU-Behörden ab.

Was sind die Autofahrer bereit, für den Klimaschutz zu zahlen, bevor es soziale Unruhen gibt?

Die Autoindustrie setzt auf schwere und margenstarke SUV, während preiswerte Autos am unteren Rand der Modellpalette vor dem Aus stehen. Obwohl sie sich gut verkaufen, haben Kleinwagen wie der Ford Ka, Opel Karl und Adam sowie der VW Up, Seat Mii und Skoda Citigo als Verbrenner keine Zukunft in Europa. Um alle künftigen Anforderungen zu erreichen, sei mit "signifikanten Materialkosten-Steigerungen" zu rechnen, sagt VW-Konzern-Vertriebschef Christian Dahlheim. Kleinere Fahrzeuge würden durch verschärfte regulatorische Anforderungen bei der CO₂-Reduzierung und der Sicherheit besonders unter Druck geraten. "Das wird aller Voraussicht nach bei uns zu Volumenrückgängen in einzelnen Segmenten führen, falls bestimmte Angebote aus den genannten Gründen nicht fortgeführt werden können", kündigt Dahlheim an.

Beim Spritsparen fahren die kleinen Simpelbenziner hinterher. Für Pizzaboten oder Pflegedienste sind sie aber immer noch günstiger als effiziente Elektro- oder Hybridfahrzeuge. Viele Dienstleistungsjobs rechnen sich nur mit den Billigmobilen. Dass die Kilometerkosten laut McKinsey in den vergangenen 40 Jahren um 65 Prozent gesunken sind, wirkt also wie ein Konjunkturprogramm. Wie preissensibel die Zielgruppe ist, zeigen die "Gelbwesten"-Proteste in Frankreich: Eine vergleichsweise geringe Ökoabgabe von drei Cent pro Liter Benzin und Diesel wurde zum Auslöser der landesweiten Proteste. Vor allem sozial Schwächere fühlen sich auch durch strengere TÜV-Regeln für alte, umweltbelastende Autos in ihrer individuellen Mobilität bedroht.

Gibt es ein Gewohnheitsrecht auf billigen Sprit und Low-Tech-Autos? Die Folgen der Massenmobilität sind jedenfalls unübersehbar. 1995 entfielen 17 Prozent aller Treibhausgase in der EU auf den Transportsektor. Heute sind es 26 Prozent, knapp die Hälfte davon geht zu Lasten von Pkw. Alle Fortschritte beim Spritsparen - der CO₂-Ausstoß pro Neuwagen ist seit 1995 um 36 Prozent gesunken - werden unter einer Flut neuer Fahrzeuge begraben: Die Anzahl der Autos stieg im genannten Zeitraum in Europa um mehr als die Hälfte. 70 Prozent aller Personenkilometer werden europaweit im Pkw zurückgelegt, in Deutschland sind es sogar 75 Prozent. Ohne das viel gescholtene Auto geht scheinbar nichts mehr. Das verleiht jeder Ökosteuer auf Mobilität erhebliche soziale Sprengkraft.

In Umfragen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bekennen sich mehr als 90 Prozent der Haushalte in Deutschland zur Energiewende. Viele finden Öko aber nur gut, solange damit kein Verzicht verbunden ist. Im Autohaus entscheiden sie sich mehrheitlich für das nächst größere Auto mit mehr PS. Das sind gute Nachrichten für die Beschäftigen und die Aktionäre, schlechte jedoch für den Klimaschutz. Aus Gründen der Gewinnmaximierung hat nicht nur Mercedes die breite Einführung von Elektroautos verzögert. Jetzt ist der Fahrplan zur CO₂-Reduzierung nicht mehr das Papier wert, auf dem die Umweltberichte der Hersteller gedruckt wurden. "2016 lagen unsere CO₂-Emissionen in Europa bei 123 Gramm g/km, 2017 waren es 125 g/km", so ein Mercedes-Sprecher: "Auch in den Jahren 2018 und 2019 rechnen wir mit einem Anstieg der CO₂-Flottenwerte." Grund sei ein wachsender Anteil höherwertig ausgestatteter Fahrzeuge.

Eine Wette auf fallende Batteriepreise

Selbst wenn Mercedes im nächsten Jahr jeweils 50 000 Elektrofahrzeuge und Plug-in-Hybride verkaufen wird, sind die Klimaziele nach Berechnungen von PA Consulting nicht zu schaffen. Auch der zusätzliche Verkauf von 100 000 Mild-Hybriden mit 48-Volt könne die Lücke zum Mercedes-Zielwert von 102,8 g/km nicht schließen. Pro Gramm CO₂, das über dem generellen Limit von 95 g/km liegt, werden den Fahrzeugherstellern 95 Euro für jedes in der EU zugelassene Fahrzeug berechnet. Einen Bonus für schwere Fahrzeuge können die Hersteller nur bis 2023 geltend machen. Während Toyota mit seiner Hybridflotte schon heute bei 103 g/km in Europa liegt, müssen vor allem Fiat Chrysler und Volkswagen mit Geldbußen in Milliarden-Höhe rechnen. "Volkswagen setzt alles daran, die gesetzten CO₂-Ziele zu erreichen. Dazu sind erhebliche Anstrengungen nötig", beteuert ein VW-Sprecher, "möglich wird dies nur mit einem erheblichen Anteil vollelektrischer Fahrzeuge."

Fortschritte bei der Elektrifizierung werden aber zunächst vom SUV-Trend überkompensiert: In Europa ist der Anteil von schweren Hochdachautos im ersten Halbjahr 2018 auf 33,7 Prozent gestiegen, ein Plus von 5,8 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017. Im Volkswagen-Konzern lag der weltweite SUV-Anteil im Jahr 2014 noch bei 12,6 Prozent, 2018 waren es bereits 23,2 Prozent. Bis 2025 sollen die Pseudo-Geländewagen die Hälfte aller verkauften Fahrzeuge ausmachen. Die Politik wertet auch große, Energie-hungrige Elektroautos als Nullemissionsfahrzeuge, egal ob sie mit Strom aus Braunkohle geladen werden. Das befeuert den Trend zu massigen E-Mobilen. Elektrische City-Flitzer sind dagegen auch mit kleinen Batterien noch zu teuer. Der ganze Elektro-Hype ist also auch eine Wette auf fallende Batteriepreise. Die Unternehmensberater von Bloomberg und Warburg erwarten zu Anfang der nächsten Dekade Batteriegesamtkosten von weniger als 100 Euro pro Kilowattstunde. Durch den Aufbau von großen Zellfabriken in Europa würden sich die Preise gegenüber 2017 halbieren. Experten wie Günther Schuh halten dagegen: "Es ist Quatsch zu glauben, dass die Batteriepreise auf 50 Euro je Kilowattstunde sinken werden. Die Verknappung bei Metallen wie Kobalt wird eher das Gegenteil bewirken." Momentan ist sein viersitziger Ego Life 20 mit einem 11,9-Kilowattstunden-Akku für 100 Kilometer Reichweite das günstigste E-Auto im Markt. Gegen die Ökokiste aus Aachen für mindestens 15 900 Euro wirkt selbst ein zweitüriger Smart als das reinste Luxusmodell.

Ob VW mit dem angekündigten Stromer im Polo-Format für unter 20 000 Euro auf absehbare Zeit Geld verdient, bleibt fraglich. "Die geplanten Renditen unserer E-Autos werden zu Beginn nicht auf dem Niveau der konventionellen Fahrzeuge liegen", kündigte Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess bereits an. Wenn es VW gelingt, die Strafzahlungen für überhöhte CO₂-Werte durch mindestens 150 000 E-Autos im Jahr 2021 zu vermeiden, lohnen sich die Investitionen in die Zukunft trotzdem. "Die CO₂-Regulierung setzt einen ungewohnten Preismechanismus in Gang", erklärt Ferdinand Dudenhöffer: "Elektroautos werden für die Autobauer bis zu einem gewissen Volumen um mehr als 10 000 Euro pro Fahrzeug wertvoller als der Preis, den sie am Markt erzielen", so der Wirtschaftsexperte. Ohne anfängliches Preis-Dumping wird der Massenmarkt für E-Mobile ohnehin nicht anspringen. Die große Unbekannte in dieser Rechnung bleibt die Politik: Wird der Ladestrom künftig genausohoch besteuert wie Benzin und Diesel, behalten Verbrenner einen Kostenvorteil. Kommt dagegen eine generelle CO₂-Steuer, werden Stromer plötzlich attraktiv. Es sei denn, die Bürger machen dem Klimaschutz wie in Frankreich einen Strich durch die Rechnung.

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