Kleinwagen im Vergleichstest:Mehr als so einen Kleinwagen braucht kein Mensch

Zwischen Ford Fiesta, Seat Ibiza und Nissan Micra gibt es charakterliche und qualitative Unterschiede. Doch zumindest zwei von ihnen machen größere, stärkere oder teurere Autos überflüssig.

Von Thomas Harloff

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Ford Fiesta, Seat Ibiza und Nissan Micra

Quelle: Ford; Seat; Nissan

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Eine Entscheidung für oder gegen ein Auto ist immer auch ein Abwägen zwischen Wollen und Brauchen. Bei den meisten Autokäufern scheint das Wollen die Oberhand zu behalten. Sie sitzen allein in ihren Fünf-Meter-Limousinen, zuckeln in Sportcoupés von Stau zu Stau oder bewegen ihre SUVs über die Straßen der Stadt statt durchs Gelände oder zumindest über Feldwege. Ein großer Teil des Potenzials ihres Autos bleibt ungenutzt.

Ginge es nur ums Brauchen, würden deutlich mehr jener Kleinwagen verkauft, die sich diesem Vergleich stellen. Wenn dieser Test eine Wahrheit zutage fördert, dann diese: Eigentlich braucht kein Mensch ein größeres, stärkeres oder teureres Auto als den Ford Fiesta, Nissan Micra oder Seat Ibiza.

Seat Ibiza Front Seite Fahrbild

Quelle: Seat

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Charakterliche und qualitative Unterschiede gibt es innerhalb dieses Kleinwagen-Trios natürlich trotzdem. Nehmen wir den Ibiza: Beim schöneren Bruder des neuen VW Polo stehen 115 PS und ein maximales Drehmoment von 200 Newtonmetern auf dem Datenblatt. Er beschleunigt in 9,3 Sekunden von null auf 100 und auf maximal 195 km/h. Und fährt sich sehr erwachsen. Sein Motor bietet schon bei niedrigen Drehzahlen viel Kraft an, bleibt über einen weiten Drehzahlbereich und auch auf der Autobahn wach und wird dabei nicht angestrengt laut. Das fühlt sich nicht nach einem Dreizylinder-Turbobenziner mit weniger als einem Liter Hubraum an, wie ihn auch die Gegner unter der Motorhaube tragen.

Ford Fiesta Heck Seite Fahrbild

Quelle: Ford-Werke GmbH

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Ähnlich souverän gibt sich der Fiesta-Motor, trotz Nachteilen auf dem Papier: Die 15 PS und 30 Newtonmeter weniger fallen erst auf, sobald man die Triebwerke an ihre Grenzen treibt. Dem 90 PS starken Nissan-Aggregat fehlt es dagegen an Substanz: Unter 2000 Umdrehungen passiert fast gar nichts, darüber kaum mehr, der Dreizylinder brummt stets laut und unkultiviert. Allerdings fehlen echte Alternativen in der Motorenpalette, die noch einen Benziner ohne Turboaufladung mit 71 PS und einen 90-PS-Diesel bereithält. Seat und Ford fächern die Motorenpaletten ihrer Kleinwagen viel weiter auf.

Nissan Micra Front Seite Fahrbild

Quelle: Nissan

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Angesichts seines schwächlichen Wesens verbraucht der Nissan ganz schön viel Sprit: 6,7 Liter, genauso viel wie der Seat. Deutlich genügsamer ist der Ford mit 6,0 Litern pro 100 Kilometer. Über dem Normverbrauch liegen sie aber alle, und zwar deutlich: 1,5 (Micra), 1,7 (Fiesta) und sogar 2,0 Liter (Ibiza).

Seat Ibiza Heck Seite Fahrbild

Quelle: Seat

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Das beste Getriebe hat der Seat. Kurze Schaltwege, exakt geführter Hebel, kleiner Widerstand beim Gangeinlegen, perfekte Übersetzung - hier passt alles. Nicht ganz so knackig zu bedienen ist die Sechsgangschaltung des Ford, die zudem mit einem Detail nervt: Der Rückwärtsgang liegt rechts unten, was beim Rangieren zu langen Wegen zwischen ihm und dem ersten Gang führt. Das Fünfganggetriebe des Nissan fühlt sich im Vergleich teigig an und hat zudem hakelige Momente. Und es ist in den hohen Gängen sehr lang übersetzt. 60 km/h in der fünften Fahrstufe sind bei den anderen beiden problemlos möglich, nur der Micra bekommt Schluckauf und mahnt damit zum Herunterschalten.

Nissan Micra Heck Seite Fahrbild

Quelle: Nissan

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Insgesamt präsentiert sich der Nissan sehr unentschlossen. Sein Fahrwerk ist weder komfortabel noch lädt es zu agilen Kurvenfahrten ein. Die Lenkung ist nicht gerade direkt oder teilt mit, was unter den Vorderrädern so los ist. Der Fiesta findet den Kompromiss, den der Micra sucht. Mit Freude wirft er sich, assistiert von der zielgenauen, aber keineswegs nervösen Lenkung, von Biegung zu Biegung. Er bleibt stets fahrsicher und komfortabel. Dazu benötigt er keine unterschiedlichen Fahrprofile, wie sie der Ibiza gegen 120 Euro Aufpreis bietet - und die sich als Spielerei entpuppen. Auch der Seat mag Kurven, aber seine Lenkung entkoppelt den Fahrer stärker vom Geschehen. Sein Fahrwerk ist spürbar straffer als im Ford und reagiert deshalb bockiger auf Unebenheiten.

Ford Fiesta Front Seite Fahrbild

Quelle: Ford-Werke GmbH

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Der Ibiza leistet sich obendrein Schwächen bei der Sicherheitsausstattung. Serienmäßig bringt er nur ein Assistenzsystem mit, den "Front Assist" mit automatischer Notbremse. Ein je nach Ausstattungslinie 210 bis 400 Euro teures Paket beinhaltet Abstandsregeltempomat und Müdigkeitserkennung, aber weder eine Verkehrszeichenerkennung noch Totwinkelwarner oder Spurhalteassistent. Solche Dinge bietet der Nissan, wenn auch eigenwillig in Paketen gebündelt, die zwischen 500 und 1000 Euro extra kosten. Micra-Fahrer müssen allerdings auf den Abstandsregeltempomaten verzichten, den wiederum der Ford bietet - genau wie alles andere, was man von einem modernen Auto der Vier-Meter-Klasse erwartet. Das dafür nötige 600-Euro-Paket lässt sich sogar mit der Basisausstattung kombinieren. Weitere 250 bis 570 extra, und der Ford parkt weitgehend selbständig ein oder aus - dieses Gimmick hat er exklusiv in diesem Trio.

Ford Fiesta Cockpit Innenraum Interieur

Quelle: Ford-Werke GmbH

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Kompromisse müssen Fiesta-Fahrer beim Platzangebot machen. Er hat mit 292 Litern Fassungsvermögen den kleinsten Kofferraum. 300 Liter bietet der Micra, gar 355 der Ibiza, dessen 1165 Liter bei umgeklappten Rücksitzen ebenfalls klarer Spitzenwert sind. Im Seat fühlen sich auch die Fondpassagiere am wohlsten. Nicht ganz so geräumig geht es im Ford (Foto) und schon gar nicht im Nissan zu, der aufgrund der sehr hohen Sitzposition Nachteile bei der Kopffreiheit bietet. Vorne ist es bei allen Dreien luftig, aber nur der Ibiza und der Fiesta bieten auch auf langen Strecken bequeme Sitze. Der Micra ist zudem noch unübersichtlich beim Rangieren und beim Schulterblick.

Nissan Micra Cockpit Innenraum Interieur

Quelle: Nissan

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Zudem lässt sich der Micra (Foto) nicht so gut bedienen wie die Konkurrenten, vor allem wegen seines Sieben-Zoll-Touchscreens. Der scheint grafisch einer vergangenen Epoche zu entstammen und hat sehr kleine Tastfelder, die zu treffen nicht nur auf holpriger Straße schwierig ist. Etwas besser ist der Fiesta, dessen Acht-Zoll-Infotainment manch wichtige Funktion versteckt, aber immerhin nicht dermaßen altbacken aussieht. Gegen den bündig ins Armaturenbrett eingelassenen Bildschirm des Ibiza sieht allerdings jedes Kleinwagen-Infotainment alt aus, ausgenommen aus dem VW-Konzern. Die Menüs sind logisch aufgebaut, alles ist hübsch gestaltet - nicht nur wegen der Besonderheit, dass sich manches Tastenfeld erst dann zeigt, sobald sich ein Finger dem Bildschirm nähert. Einige mögen das für verzichtbar halten, aber solche Dinge verleihen einem Auto ein hochwertiges Erscheinungsbild.

Seat Ibiza Infotainment

Quelle: Seat

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Es braucht solche Dinge aber auch, schließlich ist der Ibiza (Foto) das mit Abstand teuerste Auto in diesem Vergleich. Mit einem Basispreis von 18 090 Euro ist er 2300 Euro teurer als der Nissan und liegt gar 3000 Euro über dem Ford. Je besser man die Autos ausstattet, umso stärker nähern sie sich zwar an. Aber wie man die Autos auch bestückt, der Fiesta ist am günstigsten. Er bleibt gut ausgestattet unter der 19 000-Euro-Marke, der Micra springt knapp drüber und der Seat passiert locker die 20 000-Euro-Grenze.

Ford Fiesta Seite Fahrbild

Quelle: Ford-Werke GmbH

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Gewinner dieses Vergleichs ist somit der Ford Fiesta (Foto), weil er nicht nur so spritzig fährt wie der Seat Ibiza, sondern auch komfortabler, sicherer und sparsamer ist. Dem Spanier bleibt nur Platz zwei - es sei denn, man legt Wert auf den größten Innen- und Kofferraum und auf eine edle Anmutung. Klarer Verlierer ist der Micra, der in allen Belangen schlechter ist als die anderen, dabei aber nicht mal der Günstigste. Wer ihn kauft, muss ihn wirklich wollen - aus welchen Gründen auch immer.

Technische Daten Ford Fiesta 1,0 l Ecoboost:

R3-Benzinmotor mit 1,0 Litern Hubraum und Turboaufladung; Leistung 74 kW (100 PS); max. Drehmoment: 170 Nm bei 4500 - 6500/min; Leergewicht: 1144 kg; Kofferraum: 292 - 1093 l; 0 - 100 km/h: 10,5 s; Vmax: 183 km/h; Testverbrauch: 6,0 l / 100 km (lt. Werk: 4,3; CO₂-Ausstoß: 97 g/km); Euro 6; Grundpreis: 15 100 Euro

Technische Daten Nissan Micra 0.9 l IG-T:

R3-Benzinmotor mit 0,9 Litern Hubraum und Turboaufladung; Leistung 66 kW (90 PS); max. Drehmoment: 140 Nm bei 2250/min; Leergewicht: 1053 - 1177 kg; Kofferraum: 300 - 1004 l; 0 - 100 km/h: 12,1 s; Vmax: 175 km/h; Testverbrauch: 6,7 l / 100 km (lt. Werk: 4,8 - 5,1; CO₂-Ausstoß: 107 - 115 g/km); Euro 6b; Grundpreis: 15 790 Euro

Technische Daten Seat Ibiza 1.0 EcoTSI:

R3-Benzinmotor mit 1,0 Litern Hubraum und Turboaufladung; Leistung 85 kW (115 PS); max. Drehmoment: 2000 Nm bei 1500 - 3500/min; Leergewicht: 1140 kg; Kofferraum: 355 - 1165 l; 0 - 100 km/h: 9,3 s; Vmax: 195 km/h; Testverbrauch: 6,7 l / 100 km (lt. Werk: 4,7; CO₂-Ausstoß: 108 g/km); Euro 6; Grundpreis: 18 090 Euro

Die Testfahrzeuge wurden von den Herstellern zur Verfügung gestellt.

© SZ.de/harl/ihe
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