Süddeutsche Zeitung

Elektromobilität:Das E steht für unverkäuflich

Gerade mal 12 000 Elektro-Autos wurden 2016 zugelassen - trotz Kaufprämie. Keine Überraschung: Die Modelle sind zu unattraktiv, die "Betankung" ist zu mühselig - noch.

Von Thomas Fromm und Max Hägler

Es war schon ziemlich simpel, wie sich Politiker und Automanager die ganze Sache vorgestellt hatten: Es müsste doch so wie immer gehen - oben Geld rein, dann wird unten schon etwas rauskommen. So einfach funktioniert es diesmal aber nicht.

Bis zu 4000 Euro zahlen Regierung und Hersteller beim Kauf von Elektroautos dazu, im Fördertopf ist genug Geld für mehr als 300 000 E-Modelle. Seit dem Sommer wurde die Prämie aber nur 9000 Mal abgerufen, die Hälfte davon waren private und kommunale Unternehmen. Wer also glaubte, dass man in kürzester Zeit eine Menge E-Autos auf die Straße bringt, indem man deren Anschaffung nach dem Gießkannen-Prinzip subventioniert, muss nun neu denken. Am Geld allein kann es nicht liegen.

Mehr als drei Millionen Neuwagen wurden laut Kraftfahrtbundesamt (KBA) im vergangenen Jahr in Deutschland zugelassen. Darunter waren gerade mal 12 000 Elektroautos. Das ist wenig: In Norwegen ist jeder dritte Neuwagen ein Stromauto, auch China baut gerade kräftig aus - ausgerechnet das Autoland Deutschland aber fährt hinterher.

Alle reden über Elektroautos, BMW will seinen Absatz in diesem Jahr auf 100 000 steigern, Daimler in den nächsten acht Jahren etliche neue E-Fahrzeuge entwickeln und dafür Milliarden ausgeben, und Volkswagen will gleich die Weltmarktführerschaft bei E-Autos haben, vielleicht auch, um abzulenken. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks brachte am Wochenende sogar eine Quote ins Spiel, um die Absatzzahlen zu erhöhen. Es sei "gut möglich, dass wir eine Quote für Elektroautos brauchen werden, um den Übergang ohne Brüche zu organisieren", sagte sie der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten. Große Pläne sind eine Sache, aber: Wo sind die Autos und die Käufer?

Man weiß, dass etwas kommt, aber nicht wann und wie viel

Die gute Nachricht ist: Da es die Prämie zum Kauf von Elektroautos noch drei Jahre lang geben wird, besteht Hoffnung. "Mit der E-Mobilität ist es ein bisschen wie mit der Ketchup-Flasche", sagt in diesem Zusammenhang Daimler-Chef Dieter Zetsche: Man weiß, dass etwas kommt, aber nicht wann und wie viel. In seiner per Video versandten Weihnachtsbotschaft packt der Mann mit dem Schnurrbart dann eine Ketchup-Flasche und schüttelt - bis etwas rotes Zeug kommt. Um im Bild zu bleiben: Jetzt ist die Zeit gekommen. Wenn der Konzern Elektrowagen "mit Mehrwert" entwickelt habe, dann werde sich das für alle rechnen, sagt Zetsche.

Aber eben: erst dann und noch nicht jetzt. Noch sind sie nicht da, die faszinierenden Elektroautos der Zukunft. Die Franzosen bauen kleine Elektrowagen wie den Renault Zoe, Nissan vertreibt den Leaf, und BMW hat den i3, aber auch der ist klein, dafür nicht gerade billig, und längst nicht alle finden, dass er gut aussieht. Irgendwie fehlen die Wagen aus Deutschland. So wie jene Elektroautos, die aus Kalifornien kommen und Model S oder Model X heißen.

Tesla-Chef Elon Musk, der Elektroautopionier von der Westküste, ist das große neue Vorbild der alten Benzinmotoren-Schrauber, auch wenn das kaum einer so zugeben würde. Allerdings widerspricht diese Tesla-Geschichte jeder wirtschaftlichen Logik, und natürlich fragen sich die deutschen Automanager seit Jahren, wie Musk das macht. Und irgendwie finden sie keine Antwort auf das Mysterium. Lange wuchsen bei Tesla die Umsätze, aber meistens auch die Verluste. Erst vor ein paar Tagen mussten die Amerikaner einräumen, dass sie ihre ehrgeizigen Verkaufsziele im vergangenen Jahr verfehlt hatten. Milliardengewinne wie bei BMW oder Mercedes? Nichts da. Die Investoren stehen dennoch Schlange beim Tesla-Chef.

Und dann auch noch dieses: Bei einer Fahrt mit der Autopilotfunktion eines Tesla-Elektroautos war vor einiger Zeit erstmals ein Fahrer tödlich verunglückt - wohl, weil der Autopilot einen Lkw nicht erkannt hatte. Und was machen die Kunden? Sie stehen Schlange. Denn kaum hatten die Kalifornier im Frühjahr ihr Elektroauto Model 3 präsentiert, gingen in kurzer Zeit an die 400 000 Vorbestellungen ein - mit 1 000 Dollar Anzahlung pro Stück. Dass jemand erst einmal 1 000 Dollar hinlegt für ein Auto, das demnächst aus Wolfsburg oder Rüsselsheim geliefert wird, ist eher selten. Als Citroën beim Pariser Autosalon 1955 seine futuristische DS vorstellte, waren innerhalb weniger Stunden 12 000 Kaufverträge unter Dach und Fach - aber die DS war immerhin ein Auto, das man "die Göttliche" nannte. Und nicht einfach nur ein Model 3.

Tesla-Chef Musk hatte schon früh verstanden, was seinen deutschen Kollegen aus der Autoindustrie erst allmählich dämmert. Es ist zwar wichtig, dass Elektroautos gut aussehen. Mindestens genauso wichtig ist es aber, dass man diese Autos an möglichst vielen Stellen aufladen kann. Die Kalifornier bieten ihren Kunden daher spezielle eigene Tanksäulen an, sogenannte "Supercharger". Ladezeit bei einer Leistung von 120 Kilowatt für 80 Prozent der Batterie: 40 Minuten.

Die Deutschen planen jetzt den Aufbau einer eigenen Lade-Infrastruktur

In Deutschland hatte man lange gewartet, jetzt machen die sonst rivalisierenden Autokonzerne etwas, das sie ohne Tesla wohl nie gemacht hätten: Sie planen den Aufbau eine eigenen Lade-Infrastruktur. BMW, Daimler, Ford, Porsche und Audi arbeiten am Aufbau eines europaweiten Schnellladenetzes; schon von diesem Jahr an sollen in einem ersten Schritt 400 Schnellladestationen entlang der großen Verkehrsachsen in Europa entstehen. Kosten in dreistelliger Millionenhöhe.

Lange hatte die Branche über das sogenannte Henne-Ei-Dilemma diskutiert: Reichen gute Elektroautos, damit dann irgendwer Ladesäulen baut? Oder braucht man nicht zuerst die Ladesäulen, um seine Autos verkaufen zu können?

In der Industrie hat sich folgende Erkenntnis durchgesetzt: Die besten Elektroautos nützen einem nichts, wenn man hinterher stundenlang an Benzin-Tankstellen vorbeifährt und weit und breit keine Aufladestationen zu sehen sind. "Es wird keine plötzliche Revolution, auch wenn jetzt viel darüber geredet wird", sagt etwa Gabriel Seiberth, beim Beratungsunternehmen Accenture für die Automobilwirtschaft zuständig. Doch langsam, aber sicher würden Elektroautos ihren Weg finden. Spätestens 2020 dürfte es möglich sein, elektrisch quer durch den Kontinent zu fahren. Geladen wird dann - egal welche Marke man fährt - mit dem eigenen europäischen Steckerstandard CCS ("Combined Charging System"). Der übrigens nicht kompatibel zu Tesla ist.

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SZ vom 09.01.2017/reek
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