Süddeutsche Zeitung

Kauf von Nokia Here:Auto-Allianz gegen Google

  • Mit dem Kauf des Kartendienstes Nokia Here schmieden Audi, BMW und Mercedes eine Allianz gegen Google, Apple & Co.
  • Hochpräzise 3-D-Karten sind die Voraussetzung für das automatisierte Fahren.
  • Die Autohersteller suchen ein herstellerübergreifendes Cloud-System, das nicht von Google dominiert wird.

Von Joachim Becker

Triumph der Technik: "Das Auto und der Computer sind zwei Erfindungen aus Deutschland, die zusammen das Potenzial haben, die Mobilität noch einmal neu zu erfinden", sagte der Daimler-Chef Dieter Zetsche auf der IAA 2013. Kurz zuvor war eine Mercedes S-Klasse mehr als 100 Kilometer autonom von Mannheim nach Pforzheim gefahren. Dabei war das Roboterauto nicht nur auf Kamera- und Radarsensoren angewiesen. Auch eine dreidimensionale Karte gehörte zum digitalen Marschgepäck. Erst mit Hilfe des Koordinatensystems konnte sich die Maschine ein zusammenhängendes Bild von der Welt machen - und sich darin zurechtfinden.

Weil die Genauigkeit bisheriger Karten nicht ausreichte, ließ Daimler die Strecke vor der autonomen Fahrt neu vermessen. Dabei galt es, möglichst viele Bildpunkte in einem räumlichen Raster exakt miteinander zu verknüpfen. Automatisierte Fahrzeuge müssen zum Beispiel den Verlauf von Bordsteinkanten präzise erfassen und zentimetergenau vor einer Ampel oder einem Fußgängerüberweg bremsen.

Schon eine Abweichung von zwei Metern kann fatal enden

Was ein Fahrschüler aufgrund seiner Lebenserfahrung relativ schnell lernt, ist in der digitalen Welt enorm aufwendig. Schon heute wertet Nokias Kartendienst Here, den Audi, BMW und Mercedes gerade übernehmen, 80 000 Datenquellen aus. Trotzdem sind Abweichungen von mehr als zwei Metern bei herkömmlichen 2-D-Navigationssystemen keine Seltenheit. Wenn dazu noch die Unschärfe des GPS-Navigationssystems kommt, weiß ein hoch automatisiertes Auto nicht mehr sicher, auf welcher Fahrspur es sich gerade bewegt. Das ist nicht nur bei Gegenverkehr fatal.

Wie groß der Aufwand ist, um den Straßenatlas ganzer Länder in 3-D zu erfassen, lässt sich an der Zahl der beteiligten Firmen ablesen. In der westlichen Welt arbeiten nur noch Google, Nokia Here und Tomtom im großen Stil an digitalen Straßenkarten. Apple und Bosch haben jüngst ihre Partnerschaften mit Tomtom verlängert und vertieft. "Bis Ende 2015 wollen wir neue, hochgenaue Karten von allen Autobahnen und autobahnähnlichen Straßen in Deutschland für das automatisierte Fahren haben", verkündet Jan-Maarten de Vries, Tomtoms Vice President Automotive. Danach sollen die Straßen in Europa und Nordamerika abgedeckt werden.

Auch für Nokia Here sind 200 Messfahrzeuge unterwegs, um 50 000 Kilometer pro Woche dreidimensional zu vermessen. Ein spezielles GPS-System mit militärischer Präzision sorgt dafür, dass 700 000 3-D-Datenpunkte pro Sekunde zentimetergenau in das Koordinatensystem eingetragen werden. Doch die Neuvermessung der Welt steht damit erst am Anfang.

"2030 werden 50 Prozent der Neufahrzeuge fit für das hoch automatisierte Fahren sein", erwartet Elmar Frickenstein, BMW Bereichsleiter Elektrik/Elektronik und Fahrerlebnisplatz. Auf dem Weg dahin werden ganz gewöhnliche Autos zu Messfahrzeugen. Sie erfassen die Straßenoberfläche inklusive Reibwert, Neigung und Krümmung. Damit können sie zum Beispiel sichere Kurvengeschwindigkeiten berechnen - und andere Fahrzeuge informieren. Von Interesse für die folgenden Fahrzeuge sind auch Fahrbahnmarkierungen in Baustellen, Unfälle oder Pannenfahrzeuge und (wechselnde) Straßenschilder.

Um solche Informationen möglichst in Echtzeit in alle Navigationskarten einspeisen zu können, ist nicht nur eine fest eingebaute Funkschnittstelle nötig, über die vor allem Premium-Fahrzeuge schon heute verfügen. Genauso wichtig ist ein standardisiertes Datenformat - und eine einheitliche Zieladresse in der Cloud, um die Daten zu speichern.

Die Konkurrenz heißt Google, Apple & Co.

Nur wenn die Fahrzeuge vieler Marken ihre Daten auf eine gemeinsame Plattform einzahlen, haben sie gegen einen IT-Riesen wie Google überhaupt eine Chance. Einzeln würden die Autohersteller früher oder später in Abhängigkeit geraten: Sie würden zu Hardware-Lieferanten für die Software-Funktion automatisiertes Fahren. Diese Erkenntnis war stärker als die Rivalität zwischen Audi, BMW und Mercedes und bewog die Firmen, zusammen 2,8 Milliarden Euro für Nokia Here zu zahlen.

Bis vor gar nicht so langer Zeit waren die Infotainmentsysteme im Auto abgeschottete Insellösungen. Heute stehen sie in direkter Konkurrenz zu den ständig aktualisierten Smartphone-Apps von Google, Apple & Co., die auf den Bordmonitor übertragen werden. Neben dem Wettbewerb um die besten Verkehrsflussdaten sind viele weitere Dienste denkbar. Ein Assistenzsystem zum Beispiel, welches das richtige Tempo anzeigt, um auf der grünen Welle durch die Stadt zu surfen. Auch für die Suche nach einem freien Parkplatz am Straßenrand genügen die Daten der Infrastrukturbetreiber längst nicht. Je mehr mobile Sensorsysteme den Status des ruhenden und rollenden Verkehrs übermitteln, desto genauer wird die Anzeige.

Teilt sich die Autowelt in zwei Fraktionen?

Ende Juli hat Nokia Here in Berlin 16 Autoherstellern und Systemanbietern inklusive Tomtom und Google eine Schnittstelle vorgestellt, um sensorbasierte Daten verschiedener Marken und Modelle in einer Cloud verarbeiten zu können. Ziel ist eine Open-Source-Lösung, die nicht von Google dominiert wird. Denn eine Internetfirma, die ihr Geld mit Werbung verdient, will auch aus lokalen Informationsdiensten Profit schlagen. Damit werden die Kalifornier zum natürlichen Fressfeind der Autohersteller, die künftig nicht nur Fahrzeuge, sondern immer mehr Dienstleistungen rund um die Mobilität verkaufen wollen.

Am Ende könnte sich die Welt wie beim (Privat-)Fernsehen in zwei Fraktionen teilen: Auf der einen Seite das kostenlose Infotainment, das sich durch (ein Überangebot an) Werbung finanziert. Und auf der anderen Seite einige Autohersteller, die ihren Kunden eine exklusive digitale Erlebniswelt mit dreidimensionalen Kinoeffekten wie in Videospielen bieten wollen - passend zur jeweiligen Marke. Oder sie gönnen ihren Kunden den ultimativen Luxus: Einen Moment der Ruhe im medialen Rummelplatz. "BMW Siebener-Fahrer wollen nicht mit Werbung zugeschüttet werden", ist sich Elmar Frickenstein sicher.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2595159
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.08.2015/harl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.