Junge Autofahrer:Sie wissen nicht, was sie tun

Junge Fahranfänger gelten als unbeherrscht, risikobereit, verantwortungslos. Und sie sind stark gefährdet.

Marion Zellner

"Unsere Jugend liebt den Luxus, hat schlechte Manieren, missachtet die Autorität und hat keinen Respekt vor dem Alter. Die heutigen Kinder sind Tyrannen, sie stehen nicht auf, wenn ein älterer Mann das Zimmer betritt, sie widersprechen den Eltern, sie schätzen die Gesellschaft anderer, schlürfen beim Essen und tyrannisieren ihre Lehrer."

Autounfall, Foto: dpa

Alle acht Stunden starb 2005 in Deutschland ein Mensch im Alter zwischen 18 und 24 Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalls.

(Foto: Foto: dpa)

Was sich wie eine aktuelle Generationenkritik lesen könnte, stammt von Sokrates (470 v. Chr. geboren, 399 v. Chr. gestorben) und dient Malte Mienert, Professor für Entwicklungs- und pädagogische Psychologie an der Universität Bremen, als Beleg dafür, dass Unverständnis für jugendliches Handeln und Verhalten kein neuzeitliches Phänomen ist.

Ein modernes Reizthema zwischen Jung und Alt ist das Autofahren. "Alle acht Stunden starb 2005 in Deutschland ein Mann oder eine Frau im Alter zwischen 18 und 24 Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalls", berichtet Ingeborg Vorndran vom Statistischen Bundesamt jetzt im Rahmen eines Seminars des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) zum Thema "Junge Fahrer". Insgesamt wurden 1076 Menschen dieser Altersgruppe getötet; 75,7 Prozent davon als Insasse eines Autos. Die häufigste Unfallursache: nicht angepasstes Tempo.

In Fahrschulen lernen die jungen Leute "das Fahren aus technischer Sicht sehr gut", meint Bernhard Schlag, Professor für Verkehrswissenschaften und Verkehrspsychologie an der TU Dresden. Doch: "Alles andere können sie nicht."

"Alles andere können sie nicht"

Das Problem der Fahrnovizen sei, dass sie nicht nur unerfahren seien, sondern zusätzlich eben noch jung, das heißt: Sie sind mitten in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und sie haben eine andere Motivation, Auto zu fahren als Ältere. Zudem sind Jugendliche "keine homogene Gruppe", so Schlag. Als ausgeprägt risikobereit gelten - je nach Untersuchung - zwischen 15 und 30 Prozent.

Doch: Fahrversuche mit einem Unerfahrenen und einem Erfahrenen haben gezeigt, dass zwar bei beiden die Leistungsfähigkeit gleich ist, doch steige die subjektive Sicherheit des jungen Fahrers schneller als die objektive und er verhalte sich riskanter als der erfahrene.

Sie wissen nicht, was sie tun

Zudem fehlen dem Anfänger Automatismen, die Gefahrenerkennung ist langsamer und weniger zuverlässig, er ist mehr mit der Autobeherrschung als mit der Verkehrssituation beschäftigt und er lässt sich leichter ablenken. Während er Risiko eher unterschätzt, neigt er dazu, sich und seine Fähigkeit zu überschätzen. Und: "Er ist völlig auf sich allein gestellt, erlebt das Autofahren ohne Schonraum, lernt intuitiv nach Versuch und Irrtum", so Schlag. Oft mit tödlichem Ende.

Öffentliches Symbol des Erwachsenseins

"Jugendliche müssen Entwicklungsaufgaben als Eintrittskarten ins Erwachsenenalter bewältigen", so Malte Mienert. Zum einen fordere die Gesellschaft von jungen Leuten: "Werdet endlich erwachsen!", dem gegenüber stünde deren Unsicherheit: "Wann bin ich endlich erwachsen?". "In unserer Gesellschaft gibt es nur ein Symbol, das gleichzeitig öffentlich gut wahrnehmbar und exklusiv mit dem Erwachsenenalter verknüpft ist: das Autofahren", so Mienert.

"Neurobiologisch gesehen, ähneln Teenager einem vollbesetzten Airbus, der mit heulenden Triebwerken über die Startbahn jagt, während im Cockpit noch an Kontrollinstrumenten und Navigationssystemen geschraubt wird", sagte Kay Schulte vom DVR.

Und: "Das Lernen, also Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten geistig und körperlich erwerben und aneignen, ist ein langer Prozess." Lernen dürfe nach der Prüfung nicht dem Zufall überlassen werden.

Begleitetes Fahren, bei dem 17-Jährige die Prüfung ablegen und das folgende Jahr nur in Begleitung eines Erwachsenen ans Steuer dürfen, und die zweite Ausbildungsphase - Fahrtrainings und kritische Reflexion des eigenen Fahrverhaltens - nach einem halben Jahr, seien risikosenkende Maßnahmen. "Niemand darf sich damit zufrieden geben, dass jährlich so viele junge Menschen im Straßenverkehr sterben, wie ungefähr in fünf Ferienfliegern Platz haben", forderte Kay Schulte.

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