Süddeutsche Zeitung

Jubiläum: Viermastbark "Passat":Der fliegende Hamburger

Ab heute wird in Travemünde der 100. Geburtstag der Viermast-Stahlbark "Passat" gefeiert - der Großsegler gehörte einst zu den legendären "Flying-P-Linern" einer norddeutschen Reederei.

Tobias Opitz

"Der Sturm bedroht in der Nordsee den Segler. Dichter Nebel im verkehrsreichen Kanal bereitet Gefahr. Des Ozeans ganze Wucht trifft ihn in der Biscaya. Erst wenn der Wendekreis überschritten, zieht mit den vom Passat geschwellten Segeln das Schiff in schnellem Lauf seinem Ziele zu. Mögen günstige Winde Dich, Du stolzes Schiff, stets schnell und sicher in den schützenden Hafen geleiten. Diesem Wunsche soll Dein Name Ausdruck geben. Ich taufe Dich Passat."

Man schrieb den 20. September 1911, im Hamburger Hafen herrschte Feierlaune. Denn bei Blohm & Voss sollte an diesem Tag ein 114 Meter langer Neubau vom Stapel laufen und getauft werden.

Überhaupt war in diesen Tagen viel los in der Hansestadt - erst gut zwei Wochen zuvor, am 7. September, war der Elbtunnel nach vier Jahren Bauzeit für den Fußgängerverkehr geöffnet worden und das Hamburger Fremdenblatt kommentierte: "...mit lauter Sprache reden, wie die moderne Technik zu Lande, zu Wasser und unter dem Wasser die an sie herantretenden Aufgaben überwindet".

An Bord der Passat dagegen, so wurde der große Segler getauft, war von moderner Technik noch nicht viel zu sehen. 4600 Quadratmeter Segel, kein Hilfsmotor, traditionelles Seefahrer-Handwerk. Zwar hatten längst Dampfschiffe auf den weltweiten Frachtrouten ihren Dienst aufgenommen, doch die Hamburger Reederei F. Laeisz setzte nach wie vor auf ihre schnellen Segelschiffe, die auf den Weltmeeren als Flying-P-Liner bekannt waren wie bunte Hunde.

Und gleich mit der Jungfernreise, zu der die Passat am 24. Dezember 1911 in Hamburg startete, wurde diese Firmenphilosophie bestätigt. Mit bis zu 18 Knoten war die Passat unter dem Kommando von Kapitän J. Wendler rund Kap Hoorn nach Chile unterwegs und bot so den Dampfschiffen die stolze Stirn.

In den 100 Jahren, die seither vergangen und Anlass für die Geburtstagsparty rund um die Passat in dieser Woche in Travemünde sind, überstand das Schiff eine wechselvolle Geschichte. Ursprünglich für den Transport von Salpeter von Südamerika nach Europa vorgesehen, zwangen die Folgen des Ersten Weltkrieges die Passat 1914 dazu, für mehrere Jahre in Chile zu bleiben; erst im Mai 1921 kam die Viermastbark nach Europa zurück und wurde als Kriegsentschädigung an Frankreich abgetreten.

Im Dezember des Jahres 1921 kaufte die Reederei Laeisz das Schiff zurück und setzte es wieder im Salpeterhandel ein. Es folgten zwei schlagzeilenträchtige Kollisionen mit Dampfschiffen, die die Passat relativ glimpflich überstand.

Im Jahr 1932 verkaufte Laeisz die Passat dann an einen finnischen Reeder, der das Segelschiff bis zum Zweiten Weltkrieg auf sieben Fahrten nach Australien einsetzte. Und auch hier zeigte die segelnde Schönheit, was in ihr steckte: Gleich dreimal - 1934, 1937 und 1938 - gewann sie die Weizenregatta, ein inoffizielles Rennen der großen Frachtsegler. Es führte von Europa nach Australien und mit einer Weizenladung um Kap Hoorn zurück nach Europa.

Und wechselvoll ging es weiter. Mitte der vierziger Jahre wurde das Schiff im Stockholmer Hafen zum schwimmenden Getreidespeicher, 1949 gewann es noch einmal die Weizenregatta, es folgte die Vercharterung als Lagerraum an die britische Regierung - ein Schicksal, das sie mit ihrem Schwesterschiff Pamir teilte.

Im September 1951 schließlich kam wieder Leben an Deck. Beide Schiffe wurden zu Segelschulschiffen zur Ausbildung von Berufsschiffern umgebaut. Es schien, als habe die Passat wieder eine Zukunft.

Doch kurz nach dem Untergang der Pamir im September 1957, der 80 der 86 Besatzungsmitglieder das Leben kostete, geriet die Passat nahe der Biscaya in einen Orkan, der vier Tage tobte. Wie bei der Pamir verrutschte auch hier die Getreideladung - aber anders als ihr Schwesterschiff konnte sich die Passat trotz extremer Schlagseite in den Hafen von Lissabon retten.

Es war das Ende der aktiven Zeit dieses legendären Flying-P-Liners, das Abwracken schien unvermeidlich. Rettung in letzter Minute kam schließlich von der Hansestadt Lübeck, die das Schiff für 315.000 D-Mark kaufte.

Seit 1960 liegt die Passat, die 1978 unter Denkmalschutz gestellt wurde, nun als Museumsschiff und Wahrzeichen der Stadt nahe der Travemündung vor Anker und dient als Jugendherberge, Nichtraucherhotel, Veranstaltungsort und Touristenattraktion; an zwei Tagen pro Woche kann an Bord auch geheiratet werden.

Von diesem Donnerstag an wird jetzt bis zum kommenden Sonntag der 100. Geburtstag der stolzen Viermast-Stahlbark gefeiert. Und zu Ehren dieses letzten Flying-P-Liners unter deutscher Flagge hat bereits eine ganze Armada stolzer Segler Kurs auf Travemünde genommen.

Allein zehn Großsegler - darunter die grüne Alexander von Humboldt auf ihrer letzten Reise vor der Ausmusterung, der Großsegler Mir und die Sedov als größtes Segelschulschiff der Welt - werden der Passat ihre Referenz erweisen.

Ein besonderer Geburtstagsgast aber ist die Kruzenshtern: Das russische Segelschulschiff, 1926 in Bremerhaven als Padua vom Stapel gelaufen, ist der einzige noch immer segelnde Flying-P-Liner der ehemaligen Flotte der Reederei F. Laeisz, zu der auch die Passat zählte. Die beiden anderen noch erhaltenen P-Liner - Peking und Pommern - liegen ebenfalls als Museumsschiffe in New York beziehungsweise im sicheren Hafen der finnischen Stadt Mariehamn.

Dass die Passat weit mehr als ein über die Zeit gerettetes Schifffahrtsdenkmal ist, zeigte sich, als ein eigens gegründeter Verein um die Jahrtausendwende Pläne schmiedete, die Viermastbark wieder auf Vordermann und unter Segel zu bringen, um das traditionsreiche Schiff dann als kommerziellen Kreuzfahrer einzusetzen.

Aber gegen die Liebe der Menschen zu ihrer Passat hatte diese verwegene Idee keine Chance.

Alle Informationen rund um "100 Jahre Passat", Veranstaltungshinweise sowie die Liegeplätze der erwarteten Großsegler finden sich im Internet unter www.100jahrepassat.de.

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Quelle:
SZ vom 09.05.2011/gf
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