BMW: Rettung vor 50 Jahren:Die Geburt des Mia-san-mia-Gefühls

Vor 50 Jahren übernahmen die Quandts die Macht. So bewahrten sie den Münchner Autobauer BMW vor der Übernahme durch den Konkurrenten Daimler.

Thomas Fromm

Als der Deutsche-Bank-Vorstand Hans Feith gegen elf Uhr auf dem Podium der Münchner Kongresshalle Platz nimmt, glaubt er noch, er kann die Sache rasch hinter sich bringen. Da ahnt er noch nicht, was sich an diesem Tag auf der Theresienhöhe abspielen wird. Dass sich eine Handvoll Kleinaktionäre gegen die Interessen der Großen durchsetzen werden. Und dass an diesem Dezembertag im Jahre 1959 ein Konzern und ein Wahrzeichen gerettet werden.

BMW Hauptversammlung München 1959

Die BMW-Hauptversammlung München 1959: "Das ist kein Aushandeln, das ist Ausverkauf", brüllt ein Aktionär.

(Foto: dpa)

Was Feith und BMW-Chef Heinrich Richter-Brohm zu sagen haben, soll die Autobranche neu ordnen. Sie präsentieren den BMW-Aktionären einen Sanierungsplan - Übernahmeangebot des Erzrivalen Daimler inklusive. Und sie glauben, dass sie es nur noch durchzuwinken brauchen. Doch sie irren sich gewaltig.

Dabei scheint alles perfekt vorbereitet zu sein. Die Fäden liefen im Vorfeld bei der Deutschen Bank zusammen. Sie ist damals Hauptanteilseigner bei BMW, kontrolliert also auch die Mehrheit der Stimmen bei der Hauptversammlung. Hans Feith, der BMW-Chefkontrolleur, sitzt nicht nur im Aufsichtsrat von Daimler, er ist auch Vorstand des Frankfurter Finanzinstituts. Im Hintergrund: der Industrielle Friedrich Flick.

Den Kleinaktionären schwant deshalb, dass hier nicht unbedingt die Interessen BMWs im Vordergrund stehen. Nur: Wer soll den Plan noch aufhalten? Und vor allem: wie?

Es waren ungleiche Rivalen zu jener Zeit. Die Stuttgarter hatten die stärkere Marke. Teil des Wirtschaftswunders. Die Etablierten. BMW war als Fabrik für Flugzeugmotoren gegründet worden, und was dem Unternehmen Ende der fünfziger Jahre fehlte, waren die richtigen Modelle.

Der Motorradmarkt stockte, große Limousinen wurden zu Ladenhütern. Wirklich gut verkaufte sich nur der kleine italienische Kabinenroller Isetta, genannt "Knutschkugel". Doch das knuffig-schrille Auto allein konnte die Verluste anderer Modelle nicht auffangen. Daimler dagegen, das waren die Limousinen der Bonner Regierungsstäbe.

Als die Stuttgarter ihre Fühler nach München ausstreckten, hatten sie vor allem die Fabriken im Auge. Die Lieferzeiten für die Kunden lagen inzwischen bei mehr als einem Jahr, man kam mit der Nachfrage kaum noch mit. BMW als Werkbank Stuttgarts, dazu einige tausend Münchner Facharbeiter - der Plan war äußerst pikant.

Die Frage war: Wer soll den Plan aufhalten?

"Seit der Währungsreform befindet sich praktisch die BMW AG in der Verlustlinie", wirbt Feith für das Vorhaben. "Sie hat am ganzen Aufschwung der Automobilindustrie keinen Anteil." Dann sagt er, dass "derartige Dinge leider ausgehandelt werden" müssten. Der Saal kocht. "Das ist kein Aushandeln, das ist Ausverkauf", brüllt ein Aktionär.

Hinten im Saal sitzt ein Mann, der die Szenen genau beobachtet. Bis jetzt stand er voll hinter dem Übernahmeplan. Jetzt aber kippt er. Es ist der Industrielle Herbert Quandt, der bis dato nur eine kleine Beteiligung an BMW hält. Nun erlebt er den Kampfgeist der Mitarbeiter und Kleinaktionäre. Und er stellt seine Strategie auf den Kopf. Je länger die Kontrahenten streiten, desto mehr reift in ihm eine Idee. Er will BMW selbst sanieren.

33 Seiten lang ist das Protokoll der Hauptversammlung, und es lässt mehr als 50 Jahre später noch ahnen, wie turbulent es an jenem Tag vor Weihnachten 1959 zugegangen sein muss. Wie sich Kleinaktionäre gegen den Willen des Managements stemmten und ein neues Selbstbewusstsein in München entsteht. Das legendäre Mia-san-mia-Gefühl - hier fing es an.

Dass die Kleinaktionäre den Plan blockieren wollen, hat einen guten Grund: Ihre Anteile wären de facto halbiert worden; an der geplanten Kapitalerhöhung hätten sie nicht teilnehmen können. Mit anderen Worten: Sie wären im Zuge einer geplanten Kapitalerhöhung zugunsten des neuen Eigentümers wohl enteignet worden.

Zwei Männer führen die Rebellion an. Kleinaktionär Erich Nold, Sohn eines Kohlenhändlers, hat sich die Stimmrechte von anderen Aktionären übertragen lassen. Stundenlang verliest er Briefe und Zeitungsartikel. Die Presse hatte damals tagelang über die Zukunft von BMW geschrieben.

Das Drehbuch der Daimler-Regisseure. Es gerät immer mehr durcheinander, als der Rechtsanwalt Friedrich Mathern, der die BMW-Händler vertritt, die Debatte führt. "Mir kommt das Ganze so vor, als wenn man der Weihnachtsgans kurz vor dem Schlachten erzählte, dass sie von einer vornehmen Familie gegessen wird", sagt er zu Daimlers Plänen.

"Das ist Ausverkauf", brüllt ein Aktionär

Der Saal tobt. Wer die Gans ist und wer die reiche Familie - jeder weiß, wie Mathern das meint. Ein gewisser Rechtsanwalt Dreis sagt, auch er gehöre zu denen, die "nach dem Stock greifen, wenn sie im Kanal sitzen". Aber, so Dreis, "wenn ich dann gerettet bin, möchte ich die Cognacflasche und das Bett im Krankenhaus für mich alleine haben".

Am Ende gewinnen die Gegner mit einer List: Laut Satzung konnte die HV mit nur zehn Prozent der vertretenen Stimmen abgebrochen werden - vorausgesetzt, es ließ sich nachweisen, dass die Konzernbilanz fehlerhaft war. Und sie war es. Als die Versammlung abgebrochen wird, ist auch das zeitlich befristete Übernahmeangebot von Daimler-Benz hinfällig. Die Süddeutsche Zeitung titelt am Tag darauf: "Das Zehn-Stunden-Rennen um BMW".

Herbert Quandt, der Industrielle aus Bad Homburg, wittert seine Chance. Vor ihm liegt die einmalige Möglichkeit, BMW in Eigenregie zu sanieren - und sich dabei zu einem mächtigen Großaktionär eines Autokonzerns aufzuschwingen. Quandt ist überzeugt, dass er das Unternehmen mit dem neuen Kleinwagen BMW 700 aus der Krise fahren kann. Und er bekommt die Rückendeckung der bayerischen Landesregierung. Spätestens als dann 1961 der neue Mittelklasse-Wagen BMW 1500 kommt, ist klar: Es geht wieder aufwärts.

Ein Jahr nach dem turbulenten Aktionärstreffen, am 30.11.1960, legt Quandt seinen eigenen Zukunftsplan für das Unternehmen vor. 95 Prozent der Aktionäre nehmen ihn an. Eng an seiner Seite: der Betriebsratsvorsitzende Kurt Golda. Die Geschichte von der Rettung eines Autokonzerns ist auch die Geschichte einer engen Beziehung zwischen Großaktionär und Arbeitnehmervertreter.

"Quandt suchte einen Mann, der ihm aus dem Konzern berichtete", sagt der heutige Gesamtbetriebsratschef Manfred Schoch. "Und er hatte damals wohl mehr Vertrauen zu Golda als zum Vorstand." Mit seiner Nähe zu Quandt bekam Golda Einfluss. Mochte man ihn früher auch "Schlosser-Kurti" genannt haben, in den Jahren nach der Rettung wurde er einer der wichtigsten Vertrauten Quandts - und erlangte Macht im Hause. "Es wurde die Linie Quandt gefahren, Punkt", sagt Schoch.

Was aber wäre gewesen, wenn BMW damals an Daimler gegangen wäre? Wäre München nur noch eine von vielen Autofabriken der Stuttgarter? Wahrscheinlich nicht einmal das. "Das Betriebsgelände am Olympiapark ist einzigartig und Milliarden wert", sagt Schoch.

Sehr gut möglich also, dass es die Bayerischen Motorenwerke ohne die Rettungsaktion heute gar nicht mehr geben würde.

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