90 Jahre Nürburgring:"Schwer zu fahren, leicht zu sterben"

Selbst Formel-1-Weltmeister hatten riesigen Respekt vor dem Nürburgring - manche riefen ihre Kollegen gar zum Rennboykott auf. Erinnerungen aus 90 Jahren "Grüne Hölle".

Von Thomas Harloff

10 Bilder

Rudolf Caracciola, 1927

Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo

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Es war - auf die Größe bezogen - ein kümmerlicher Pokal, den Rudolf Caracciola überreicht bekam. Seine historische Bedeutung ist jedenfalls deutlich größer. Schließlich ehrte die Trophäe den ersten Sieger eines Autorennens auf dem Nürburgring: Am 19. Juni 1927 siegte Werksfahrer Caracciola mit seinem Kompressor-Mercedes beim Großen Preis von Deutschland auf der tags zuvor mit einem Motorradrennen neueröffneten Rennstrecke. Der Kommentar des Triumphators zur Strecke: Sie sei "bärig schwer".

Keine zwei Jahre hatte es gedauert, bis das 22,8 Kilometer lange Straßenband durch die Eifel fertig war. Es war ein Konjunkturprogramm für die strukturschwache Region, zeitweise arbeiteten 2500 Menschen gleichzeitig auf der riesigen Baustelle. Der Nürburgring sollte nicht einfach nur eine Rennstrecke werden. Auf der "Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstrecke", die reich an Kurven, Gefällen und "Steigungen, die dem Motor scharf an die Lungen griffen" (Caracciola) war, testeten die aufstrebenden deutschen Autobauer ihre Modelle.

Adolf Hühnlein ehrt Richard Seaman für den Sieg im "Großen Preis von Deutschland", 1938

Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo

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Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten war der Motorsport ein wichtiges Propagandainstrument. Von Hitlers Regime mit enormen Summen finanziert, bauten Mercedes und die Auto Union hochprofessionelle und erfolgreiche Rennteams auf. Der Nürburgring erlebte in dieser Zeit einen Aufschwung, hier und auf der Berliner Avus fanden die großen Rennen statt. Hier gratuliert Adolf Hühnlein, der Reichsleiter des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps' NSKK, dem britischen Mercedes-Fahrer Richard Seaman zu seinem Sieg beim Großen Preis von Deutschland 1938.

GP von Europa, Nürburgring, 1954

Quelle: Daimler AG

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Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte der Motorsport am Nürburgring schnell wieder auf. Die im Jahr zuvor gegründete Formel 1 kehrte 1951 in die Eifel zurück. Als die Mercedes-Silberpfeile ab der Saison 1954 an der Weltmeisterschaft teilnahmen, wuchs schnell die Begeisterung. Am Steuer der Silberpfeile saß unter anderem Juan Manuel Fangio (Foto). Den Sieg des Argentiniers, der insgesamt fünf WM-Titel errang, sollen 1954 etwa 400 000 Zuschauer live an der Strecke verfolgt haben.

Ende der Fünfzigerjahre wurde der Nürburgring endgültig zur Heimat des deutschen Motorsports. Auf der Avus kam es immer wieder zu schweren Unfällen, einige davon mit tödlichem Ausgang. Die Formel 1 kehrte dem Berliner Hochgeschwindigkeitskurs den Rücken und wandte sich vollständig dem Nürburgring zu. Aber auch auf dem Nürburgring starben die Rennfahrer. Der erste Formel-1-Tote war der Argentinier Onofre Marimón, der 1954 mit seinem Maserati in die Bäume schleuderte.

formel 1 hockenheim

Quelle: imago sportfotodienst

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Ende der Sechzigerjahre kämpften die Fahrer erstmals intensiv für mehr Sicherheit in ihrem Sport. Ihr Wortführer war der dreifache F1-Weltmeister Jackie Stewart. Der Schotte gewann 1968 ein Regenrennen am Ring mit vier Minuten Vorsprung - eine Ewigkeit. Trotzdem hielt Stewart, der das bis heute gern verwendete geflügelte Wort von der "grünen Hölle" prägte, den Nürburgring für viel zu gefährlich. Er fädelte 1970 einen Fahrerboykott ein, die Formel 1 wechselte in diesem Jahr nach Hockenheim (wo dieses Foto von Stewart entstand). Die Betreiber des Nürburgrings fällten daraufhin einige Bäume, die besonders nah an der Strecke standen, stellten ein paar Leitplanken auf - und schon ein Jahr später kehrte der große Motorsport in die Eifel zurück.

Unfall des Rennfahrer Niki Lauda, 1976

Quelle: dpa

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Die Autos wurden schneller und schneller, der Nürburgring blieb trotz der Umbauten gefährlich - zu gefährlich. Bevor das Rennen 1976 startete, stand bereits fest, dass die Formel 1 die Strecke verlassen und nach Hockenheim wechseln würde. Niki Lauda, der amtierende Weltmeister, wollte aus Sicherheitsgründen aber auch im letzten Nürburgring-Grand-Prix einen Fahrerboykott durchsetzen. Er erhielt allerdings keinen Rückhalt bei seinen Kollegen, das Rennen fand statt. Und die Fans, blind vor Liebe und Loyalität ihrem Ring gegenüber, sahen in Lauda, dem Nürburgring-Kritiker, ein neues Feindbild.

Was dann passierte, wissen nicht nur Motorsportfans. Im Rennen verunglückte Lauda schwer, als er kurz vor dem Abschnitt Bergwerk in einer Linkskurve die Kontrolle über seinen Ferrari verlor. Andere Fahrer mussten ihn aus dem brennenden Wrack befreien, weil die Rettungskräfte wegen der weiten Wege am Nürburgring sehr lange brauchten, um an der Unfallstelle einzutreffen. Der Österreicher erlitt nicht nur schwere Verbrennungen, sondern atmete auch giftige Dämpfe ein. Nicht nur Mediziner waren erstaunt, als Lauda nur 42 Tage nach seinem Unfall beim Italien-GP in Monza wieder im Formel-1-Ferrari saß.

Ayrton Senna da Silva

Quelle: Daimler AG

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Als die Formel 1 weg war, begann eine betrübliche Zeit am Ring. Der Glanz der Königsklasse fehlte spürbar. Bald zeigte sich, dass die Rennwagen der meisten anderen Motorsportserien ebenfalls zu schnell für die anspruchsvolle Berg-und-Tal-Piste wurden. Eine Alternative musste her. Sie entstand in den frühen Achtzigerjahren in Form des angrenzenden Grand-Prix-Kurses mit breiter Strecke, großen Auslaufzonen und modernen Sicherheitsstandards.

Dessen Dasein begann 1984 mit einem Showrennen. Ehemalige und aktuelle Formel-1-Prominenz startete mit identischen Mercedes-Limousinen. Doch die Stars, darunter etliche Weltmeister, hatten keine Chance gegen einen unbekannten Piloten, der gerade seine erste F1-Saison absolvierte und später dreifacher Weltmeister werden sollte: Ayrton Senna. 1984 und 1985 fanden die ersten Formel-1-Rennen auf der 4,5 Kilometer langen Grand-Prix-Strecke statt. Es waren trostlose, vom Publikum weitgehend ignorierte Veranstaltungen. In Hockenheim war die Begeisterung größer, die Formel 1 fand dort für viele Jahre ein Zuhause.

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Quelle: AFP

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Es dauerte zehn Jahre, bis die Formel 1 in die Eifel zurückkehrte. Inzwischen hatte Michael Schumacher in Deutschland eine Motorsport-Euphorie ausgelöst. Im Herbst 1995 war er auf dem besten Weg, seinen im Jahr zuvor errungenen WM-Titel zu verteidigen. Dann ereignete sich dieses dramatische Rennen, in dem Schumi der Hauptakteur war. Bei typischem Eifelwetter - mal regnete es, mal nicht - duellierte sich Schumacher erst mit seinem WM-Rivalen Damon Hill, während Jean Alesi an der Spitze enteilte. Der französische Ferrari-Pilot sparte durch eine bessere Reifenstrategie so viel Zeit, dass er zwischenzeitlich mit 45 Sekunden Vorsprung führte. Doch Schumacher holte auf und schaffte es kurz vor Schluss, Alesi zu überholen. Damit versetzte Schumi erst die Fans auf den Tribünen in Ekstase und dann sich selbst bei der Siegerehrung.

Nicht nur für Schumacher, auch für die Formel 1 in Deutschland folgten goldene Jahre. Bis 2006 fanden hierzulande jährlich zwei Rennen statt. Nachdem Schumi im selben Jahr erstmals abtrat, wechselten sich der Nürburg- und der Hockenheimring im Jahresrhythmus mit den Grands Prix ab.

24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring

Quelle: dpa

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Die Nordschleife war für die Formel-1-Rennwagen weiterhin tabu. Hier tobten sich die Autohersteller aus und testeten montags bis freitags ihre Prototypen im Intensivmodus. Abends und an den Wochenenden kamen immer mehr Hobbypiloten, um ihre Privatautos während der sogenannten Touristenfahrten durch die 73 Kurven zu scheuchen. Gleichzeitig konnten sich Millionen Videospieler virtuell auf der Strecke probieren, was den Kultstatus der Nordschleife festigte - weit über Deutschlands Grenzen hinaus.

Autorennen fanden auf ihr nur noch an wenigen Wochenenden im Jahr statt, im Rahmen der immer beliebteren Langstreckenmeisterschaft. Deren Starterfeld wuchs und wuchs, hier begegnete der mühsam von Hobby-Racern hergerichtete Kleinwagen den professionell aufgebauten Rennern von Audi bis Porsche. Der Saisonhöhepunkt war das 24-Stunden-Rennen, bei dem sich zwischen 600 und 800 Fahrer auf fast 200 Autos verteilten. Das Manthey-Team mit seinem gelb-grünen Porsche prägte das Rennen mit fünf Gesamtsiegen bei sechs Rennen zwischen 2006 und 2011.

Musikfestival Rock am Ring

Quelle: dpa

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Parallel schwand die Formel-1-Begeisterung im Land. Nicht einmal die ersten Erfolge des aufstrebenden Sebastian Vettel konnten verhindern, dass die Zuschauerzahlen an den Strecken und die TV-Quoten der übertragenden Sender sanken. Für den Nürburgring wurde die Formel 1 zum Zuschussgeschäft: Das Geld, dass die verbliebenen Fans in der Eifel ließen, konnte die immer höheren Forderungen von Bernie Ecclestone nicht mehr ausgleichen.

Das Land Rheinland-Pfalz musste als Besitzer der Strecke die Verluste immer wieder ausgleichen. Noch mehr Geld kostete den Steuerzahler das Projekt "Nürburgring 2009", eine Erlebniswelt mit Geschäften, Museum, Casino, Kartbahn, Hotel und Gastronomie. Damit sollte das saisonale Geschäft rund um die Strecke auf das ganze Jahr ausgedehnt werden. Das Projekt wurde zum Desaster: Die private Finanzierung scheiterte, Untreuevorwürfe kosteten hochrangige Akteure der Landesregierung und der Nürburgring-Spitze ihre Posten. Zudem ignorierten die Besucher das Angebot weitgehend. Nur noch wenige Veranstaltungen lockten die Massen in die Eifel: der Truck- und der Oldtimer-Grand-Prix, vor allem aber das 24-Stunden-Rennen und Rock am Ring. Das Musikfestival fand bis 2014 am Nürburgring statt und hatte in seinen besten Jahren fast 100 000 Besucher. Nach einem zweijährigen Intermezzo im nahegelegenen Mendig kehrte es in diesem Jahr an den Nürburgring zurück.

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Quelle: Alexander Klein/AFP

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2013 gewann Sebastian Vettel sein einziges Rennen auf dem Nürburgring. Es war das vorerst letzte Mal, dass die Formel 1 in der Eifel gastierte - die Betreiber konnten sich das Gastspiel danach nicht mehr leisten. Mittlerweile hat nicht mehr Ecclestone das Sagen in der Formel 1, sondern das US-Medienunternehmen Liberty Media. Das will den Sport wieder zu seinen Wurzeln führen, zurückbringen auf die traditionsreichen Strecken mit dem großen Fanpotenzial. Ob der Grand-Prix-Kurs des Nürburgrings ein solcher Ort ist, muss sich noch zeigen - die Rückkehr der Formel 1 ist weiterhin höchst ungewiss.

Die Nordschleife und ihre Fans scheint das nicht zu kümmern. Die Autohersteller und die Hobbyfahrer machen dort einfach weiter und sind so aktiv, dass der Nürburgring auch das Jubiläum zum Hundertsten als Kultstätte erleben dürfte. Es dürfte eine ausgelassene Feier werden am Freitag und Samstag, den 18. und 19. Juni 2027.

© SZ.de/harl/mkoh/sks
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