60 Jahre Fiat 500:Familienauto von liebenswerter Bescheidenheit

Fiat 500 Nuova Cinquecento

Wie klein der Fiat 500 tatsächlich ist, erkennt man erst, sobald man neben ihm steht.

(Foto: Stephen Reuss/oh)

Als der Fiat 500 vor genau 60 Jahren auf den Markt kam, war er ein Symbol für Aufbruch und Hoffnung. Sentimentale Erinnerungen an eine Zeit, in der 13 PS noch völlig reichten.

Von Jörg Reichle

Es gibt da dieses wundervolle Foto in Schwarz-Weiß. Turin in den späten 1950ern, ein Platz gesäumt von majestätischer Architektur, zur Rechten ein übergroßes bronzenes Reiterstandbild. Und mittendurch rollt unbekümmert eine schier endlose Karawane von winzigen Fiats auf den Fotografen zu, in Marschordnung wie auf einer Parade der Kommunistischen Partei. In jedem der vielen Wägelchen hat eine modisch gekleidete junge Dame Platz genommen, sie sitzt im geöffneten Rolldach, hält mit einer Hand den wagenradgroßen Hut, mit der anderen sucht sie Halt im offenen Gefährt. Sie lächelt. Es ist ein Bild vollkommener Grazie.

Und mittendrin das Auto, ein Symbol für Aufbruch und Hoffnung. Auch wenn der 500er, zugegeben, nur ein klitzekleines Auto war, als er am 4. Juli 1957 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Aber ein großes konnte sich damals ja kaum einer leisten, schon gar nicht südlich der Alpen. Noch beherrschten Zweiräder das Straßenbild in Europa, auch wenn sich von Jahr zu Jahr mehr Kleinwagen daruntermischten. In Deutschland hießen die Goggo oder Heinkel, Isetta oder Lloyd. In Italien war es der Fiat 500, Cinquecento, was - ausgesprochen - so elegant über die Zunge floß wie der Grappa nach dem Mittagsmahl.

Billig sollte er sein, hatten die Fiat-Oberen geplant, ein Auto fürs Volk, problemlos und praktisch. Dass er auch witzig werden würde und ein bisschen cool, wie das heute heißt, merkte man bald. Schon der Vorgänger war so, der 500 Topolino, das Mäuschen. Und er war erfolgreich damit. Zwischen 1936 und 1955 wurden mehr als 500 000 Exemplare gebaut. Nicht leicht, für einen solchen Liebling der Massen einen Nachfolger zu finden. Vielleicht wurden es deshalb gleich zwei, erst der Fiat 600 und dann der 500, der jetzt den Beinamen Nuova trug, der Neue.

Verwechseln hätte man beide aber ohnehin nicht können, dazu waren sie zu verschieden. Hatte der zweisitzige 500 Topolino mit seinen freistehenden Kotflügeln und ebensolchen Scheinwerfern den Motor vorn und den Antrieb hinten, profitierte man beim viersitzigen 500 Nuova von den guten Erfahrungen, die man zuvor schon beim etwas größeren 600 mit dem Heckmotor machen konnte. Seine Vorteile: gute Traktion, optimale Raumausnutzung, niedriges Gewicht, geringe Kosten, wozu auch die neuartige Luftkühlung ihren Teil beisteuerte. Dass durch das ungewohnte Bauprinzip der Kofferraum kleiner wurde und der Neue in Kurven kräftig übersteuerte, nahm man in Kauf.

13 PS reichten für Tempo 85

Auch optisch lehnte sich der 500 an den 600 an - ein Charmeur sondergleichen als fast eiförmiges, selbsttragendes Autochen, das Konstrukteur Dante Giacosa da auf die Rädchen gestellt hatte. Nicht mal drei Meter lang und mit 1,32 Meter so breit wie hoch, mit einem serienmäßigen Faltdach, das sich bis zur Motorhaube hinten zusammenrollen ließ und zwei relativ großen, von vorn öffnenden Türen. Das machte das Einsteigen einfach, zumindest für Menschen mit Normalmaß.

Angetrieben wurde der 500 Nuova von einem luftgekühlten Zweizylinder mit 479 Kubikzentimeter Hubraum. Damit ließen sich 13 PS bei 4000 Umdrehungen erzeugen und über ein unsynchronisiertes Getriebe an die Hinterräder übertragen. Das reichte, um zwei Erwachsene mit ihren Bambini mit Tempo 85 zu transportieren und was, wie Zeitzeugen beschwören, sogar genug war für eine zwar gemächliche, aber erfolgreiche Alpenüberquerung.

Doch genug war nicht genug, auch nicht für Italiens schuftende Arbeiterschaft. Weil Fiat mit den Verkäufen der ersten Monate nicht zufrieden war, legte man schon im Herbst auf dem Turiner Autosalon nach, bot jetzt 15 PS und senkte den Preis. In Deutschland wurde der Cinquecento Nuova jetzt für 2990 Mark angeboten statt vorher für 3390 Mark, plus 180 Mark für die Heizung, wie das Internetportal Zwischengas recherchiert hat. Wohlgemerkt: das Durchschnittsjahreseinkommen in Deutschland betrug 1957 nicht viel mehr als 5000 Mark.

Der Nuova Cinquecento hat sich weiterentwickelt

Wie immer, wenn ein Auto zum echten Volks-Wagen wird, füllen Fotos Familienalben, ranken sich endlos Geschichten darum von Freud und Leid, erster Liebe und Trennungsschmerz, Studentenleben und den ersten Fernreisen. "Scatoletto", das Schächtelchen, nannte man den Cinquecento bald, ein Familienauto von liebenswerter Bescheidenheit. Aber weil auch Legenden ein Verfallsdatum haben, wurde der Nuova Cinquecento weiterentwickelt über die Jahre. Es gab gepolsterte Rücksitze, Kurbelfenster kamen hinzu, Raddeckel und seitliche Zierstäbe, irgendwann waren die Türen vorn angeschlagen, das Rolldach bekam ein festes Rückfenster, die Leuchten wurden größer. Und natürlich nahm auch die Leistung zu, wenngleich sehr überschaubar. Mehr als 18 PS fürs Normalmodell bei einem Verbrauch von fünfeinhalb bis neun Liter auf 100 Kilometer wurden es nicht.

Das reicht sogar heute noch, um im Stadtverkehr mitzuschwimmen, nur, dass man sich halt vorkommt wie ein Sandfloh im Jurassic Park. Vom Fahrersitz aus kann man jedenfalls so gut wie jeden Punkt erreichen, ohne sich zu strecken, vor sich das Bakelit-Lenkrad, dünn wie ein kleiner Finger, und ein Armaturenbrett, auf dem sich neben einem Rundinstrument nur zwei Kontrolllichtchen, zwei Kippschalter und ein kleiner Aschenbecher verlieren. Mehr ist nicht. Gestartet wird der Cinquecento übrigens nicht per Zündschlüssel-Drehung, sondern mit einem Hebel, der auf dem Kardantunnel sitzt, also da, wo man beim alten VW Käfer die Heizung eingeschaltet hat.

Kalkulierte Nostalgie zur Gewinnmaximierung

Bald wuchs eine ganze Familie von Zwergen heran. Der 500 Sport mit knallroten Streifen an den Flanken kam im Spätsommer 1958 mit immerhin 21,5 PS, zwei Jahre später folgte ein Kombi, gute 20 Zentimeter länger, mit einer brauchbaren Ladefläche über dem Antrieb. Und weil Motorsport in dieser Zeit oft auch eine Art Flohzirkus war, trieb bald der geniale Motorenschinder Carlo Abarth seine Späße mit dem Schächtelchen. Mit höherer Verdichtung, größeren Vergasern und später deutlich mehr Hubraum verhexte er den Cinquecento zum bösen Pistenschreck, bis zu 140 Kilometer pro Stunde schnell.

Natürlich hat sich das moderne Fiat-Marketing längst der Legende bemächtigt und sie in kalkulierter Nostalgie zur Gewinnmaximierung genutzt. Der moderne 500, seit 2007 auf dem Markt, setzt auf die Drolligkeit des Vorbilds aus den Fünfzigern, eine Design-Reminiszenz, gewürzt freilich mit fast allem, was der zeitgenössische Autobau so drauf hat.

"Schlimm ist die Sache mit der Sicherheit"

Und auch um ihn hat man inzwischen eine fein verästelte Modellfamilie aufgezogen. Jüngster Spross ist der gerade präsentierte, überarbeitete 500 L, ein Crossover, das sich Familienlimousine nennt. Mit einer Länge von 4,24 Metern, bis zu sieben Sitzen und einem Riesenkofferraum hat er mit dem Nuova von einst natürlich nichts mehr gemein. Dafür bekommt man jetzt Motoren von 95 bis 120 PS, allerlei Assistenten, Entertainment statt Papas Kofferradio.

Und der Cinquecento Nuova? Er verschwand 1976 vom Markt. Den Garaus hatte ihm letztendlich die immer ambitioniertere Konkurrenz gemacht, aber auch die gestiegenen Ansprüche an die Sicherheit. So konnte man 1974 in der ADAC Motorwelt unter anderem lesen: "Schlimm ist die Sache mit der Sicherheit. Vor dem Kopf sitzt der stahlharte Faltdachhebel, die Füße hat man ungefähr dort, wo das Auto anfängt, von einer ordentlichen Knautschzone kann keine Rede sein - diese Aufgabe übernimmt der Benzintank." Das finale Urteil der deutschen Tester lautete folgerichtig unbarmherzig: "Solch ein Mobil, auch wenn es noch so putzig sein mag, ist heute eigentlich nicht mehr tragbar."

Die Nostalgiker und Sammler aller Länder sind da anderer Meinung. Noch heute sind von den insgesamt gebauten 3,9 Millionen seriösen Schätzungen zufolge allein in Italien noch etwa 600 000 Cinquecento Nuova unterwegs und gut erhaltene Exemplare werden für niedrige fünfstellige Eurobeträge gehandelt. Dass der Kleine auch mit Sechzig noch schöne Erinnerungen weckt, hat unter anderen auch jener Reiseveranstalter entdeckt, der in Rom dreistündige Nostalgie-Touren im alten 500er anbietet - für 180 Euro pro Person, Chauffeur und einen Cappuccino inklusive.

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