Süddeutsche Zeitung

Jaguar i-Pace im Fahrbericht:Die erste echte Tesla-Alternative

Das E-Auto leistet sich kaum Schwächen und ist dem Model X in fast allen Belangen überlegen. Aber die hohen Preise tragen wenig zur Demokratisierung der Elektromobilität bei.

Von Georg Kacher

Ein kurzer Druck auf den Startknopf - still ruht der See. Es regt sich zwar buntes Leben in den diversen Displays, doch nicht einmal ein leises Klicken quittiert den Stand-by-Modus. Vor oder zurück? Zur Auswahl stehen zwei Tasten, die einen einzigen Gang steuern, aber selbst nachdem sich der Fahrer für Drive entschieden hat, rührt sich kein Phon.

Also Handbremse lösen und möglichst piano die Drehmomentschleuse öffnen, denn sonst schreckt der 2,2-Tonner hoch wie ein Tiefschläfer beim Läuten des Weckers. Kein Wunder: Im Extremfall schnappen aus dem Stand fast 700 Newtonmeter nach den vier Rädern, um sogleich von den Regelsystemen wieder eingefangen zu werden. Man will schließlich keine Zöpfe in die Antriebswellen flechten oder schon auf den ersten Metern die Reifen skalpieren. Unter Volllast hätte auf den ersten 25 Metern nämlich sogar ein Rennwagen das Nachsehen. Brutaler Vortrieb auf leisen Sohlen, auch das ist Elektro.

Die Liste der Vorbehalte war lang, aber am Ende des Tages hatten sich nach fast 280 Kilometern Fahrt bei einer Restreichweite von 90 Kilometer die meisten Bedenken verflüchtigt - abgesehen von der nicht nur bei uns, sondern auch in England ziemlich miesen Ladeinfrastruktur. Theoretisch dauert es nur 40 Minuten, um die Lithium-Ionen-Akkus von fast leer auf 80 Prozent aufzupäppeln. Praktisch braucht man dafür aber durchsatzstarke 100-Kilowatt-Ladesäulen. Doch die gibt es so gut wie nicht, und wann sie in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen werden, weiß kein Mensch. Tank & Rast installiert an deutschen Autobahnen derzeit ein zu schwaches 50-Kilowatt-Netz. Deshalb ist auch für den i-Pace schlimmstenfalls nach spätestens 480 Kilometern erst mal Schluss mit der Stromerei, beziehungsweise eine längere Pause angesagt.

Reichweitenangst ist im i-Pace trotzdem kein Thema. Die tendenziell tiefstapelnde Anzeige reagiert nicht schon auf das erstbeste ambitionierte Überholmanöver mit einem Kurssturz, das Navi führt uns zeitgerecht und in mehreren Warnstufen zur bestmöglichen Steckdose, fleißiges Rekuperieren wird prompt gutgeschrieben und stachelt schon bald den Ehrgeiz an. Selbst bei Reichweitenanzeige null sind noch mindestens 20 Kilometer möglich, wobei die Leistung immer stärker abfällt. Wenn alle Reserven verbraucht sind, rollt der Wagen aus - da unterscheidet sich das E-Auto um keinen Deut vom Verbrenner. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich aus dem Nachladen auf freier Wildbahn ein Geschäftsmodell entwickelt.

Die enorme Schubkraft lauert im Off

Der weitgehend maßgeschneiderte i-Pace ist jeweils zehn Zentimeter kürzer und flacher als der F-Pace, von dem er entgegen des ursprünglichen Plans nur die Achsen übernimmt. Trotzdem hat er mehr Platz im Fond und einen größeren Kofferraum, die im Bauch untergebrachten Batterien senken den Schwerpunkt deutlich ab, und mit drei Meter Achsabstand bringt das Alu-Auto gute Voraussetzungen mit für ordentlichen Komfort und mit dem Lineal gezogene Richtungsstabilität. Das Antriebskonzept prädestiniert diesen Jaguar zum leisen Gleiter, doch der kantige Crossover mit dem markentypischen Gesicht kann auch anders. Zum Beispiel in nur 4,8 Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer beschleunigen, 200 Kilometer pro Stunde schnell fahren und durch Kurven carven wie der Neureuther Christian.

Selbst wenn der Weg das Ziel ist und kein Zündfunke die Gelassenheit trübt, baut die im Off lauernde enorme Schubkraft eine jederzeit abrufbare dynamische Souveränität auf, die für so manchen doppelt aufgeladenen Hochdrehzahl-Verbrenner unerreichbar wäre. Dieser Antrieb verdient es, mit der aufpreispflichtigen Luftfederung samt adaptiver Fahrprogrammwahl kombiniert zu werden, weil das Spaß und Stabilität, Geschmeidigkeit und Grip auf einen bemerkenswerten gemeinsamen Nenner bringt. Das 50 Millimeter nach oben und 40 Millimeter nach unten verstellbare Chassis harmoniert bestens mit der zielgenauen Lenkung und dem superflinken Antrieb. Die 22-Zoll-Räder sind dagegen genauso entbehrlich wie das Kohlefaser-Gedöns.

"One pedal feel" nennt man die für E-Autos typische Verzögerung durch genau getimtes Lupfen des Fahrpedals. Der Jaguar kann stark oder weniger rekuperieren, also beim Bremsen oder bei Gefällefahrten Energie zurückgewinnen. Doch für jeden Rhythmuswechsel muss man in die Tiefen eines Untermenüs hinabsteigen - das wäre eigentlich der ideale Job für die beiden nicht mehr vorhandenen Schaltpaddel, die im Ein-Gang-i-Pace eine zweite Karriere starten könnten. Erst wenn die maximale elektrische Verzögerung nicht reicht, muss mechanisch dazu gebremst werden. Es gibt Spezialisten, die sogar den Kriechmodus ausschalten, um nicht einmal an der Ampel auf das linke Pedal treten zu müssen. Wer mag, kann den Wechsel der Energie-Gezeiten auf dem großen Farbbildschirm nachverfolgen.

Der i-Pace leistet sich kaum gravierende Schwächen. Gestört haben allerdings die lästigen Spiegelungen in der Windschutzscheibe, die schlechte Sicht nach hinten und schräg hinten, das unnötig weit in den Innenraum hineinragende Armaturenbrett, das in vielen Details zu komplexe Bediensystem und die ungleich verteilte Beinfreiheit, die den Gas- und Bremsfuß klar benachteiligt.

Die Preise tragen wenig zur Demokratisierung der Elektromobilität bei. Schon das Grundmodell des i-Pacekostet etwa 78 000 Euro, die komplett ausgestattete Edition One steht mit 108 000 Euro in der Liste. Ein F-Pace V6 ist mit allen Extras freilich kaum günstiger. Außerdem wird beim i-Pace unabhängig von den vier unterschiedlichen Ausstattungspaketen stets die gleiche Antriebseinheit verbaut.

Tesla ist und bleibt der Beschleunigungs-Champion, aber in fast allen anderen Disziplinen fällt das Model X hinter den i-Pace zurück. Das Jaguar-Interieur hat mehr Stil und wirkt hochwertiger, das Komfortprogramm ist kein leeres Versprechen, in den Handling-Qualitäten steckt ein kleines Stück Formel E, die drei Kühlkreisläufe sorgen selbst unter extremen Bedingungen für thermisches Wohlbefinden.

600 PS wären bei vertretbarem Aufwand möglich

Mit 400 PS haben die Briten ihren Elektro-Erstling relativ konservativ motorisiert. Das merkt man allerdings erst ab 120 Stundenkilometer, wenn sich die Leistungs- und Drehmomentkurven kreuzen und die Fahrwiderstände zunehmen. Mit einem zweiten Motor an der Hinterachse wären bei vertretbarem Aufwand ohne Änderungen am 90-Kilowattstunden-Akku stramme 600 PS machbar. Das liest sich verwegen, passt aber zum künftigen Wettbewerbs-Umfeld.

Erst vor vier Jahren hatte der Vorstand grünes Licht gegeben für den ersten Jaguar mit Elektro-Antrieb. Dem Designer Ian Callum blieb nur Zeit für ein einziges Modell, der Entwicklungschef Wolfgang Ziebart war mit einem fertigen Konzept angetreten, der vom ersten Tag an in das Projekt eingebundene Jaguar-Landrover-Eigner Ratan Tata bewilligte die nötigen Investitionen und mahnte zur Eile. Entwickelt wurde der Wagen in enger Zusammenarbeit mit Magna-Steyr, die in Graz neben dem E-Pace nun auch den i-Pace im Lohnauftrag fertigen.

Der Vertrieb kam aber schon früh ins Schleudern. Zuerst waren nur 5000 Autos pro Jahr geplant, dann hat man verdoppelt und noch einmal verdoppelt, inzwischen liegt die Zielmarke bei etwa 25 000 Einheiten jährlich. Aber auch das wird kaum reichen, denn bis Ende des Jahres 2019 soll allein Waymo 20 000 Autos übernehmen und einigen davon das autonome Fahren beibringen.

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Quelle:
SZ vom 09.06.2018/harl
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