Süddeutsche Zeitung

E-Bikes und Pedelecs:"Viele Senioren sind der Geschwindigkeit nicht gewachsen"

Mit Pedelecs sind Radler bei kleinem Kraftaufwand schnell unterwegs. Unfallexperte Siegfried Brockmann erklärt, warum das gefährlich sein kann.

Interview von Frederik Eikmanns

Pedelecs unterstützen ihre Fahrer beim Treten mit einem Elektromotor. Sie ermöglichen so insbesondere älteren Menschen, länger mobil zu sein. Auch unter jungen Radlern werden die Fahrräder mit Hilfsantrieb beliebter. Gefahren werden aber oft unterschätzt. Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), sieht Pedelecs und ihre Fahrer deshalb kritisch.

SZ: Ist es gefährlicher, auf einem Pedelec unterwegs zu sein als mit einem normalen Fahrrad?

Siegfried Brockmann: Die Unfallentwicklung mit Pedelecs ist in den letzten Jahren zumindest anders als die bei gewöhnlichen Fahrrädern. Bei den getöteten Radfahrern gibt es von 2016 auf 2015 einen Rückgang um fünf Prozent. Bei den Pedelec-Fahrern sieht das anders aus: 2015 wurden 36 von ihnen im Straßenverkehr tödlich verletzt, 2016 waren es 61. Eine Steigerung um 69 Prozent. Bei den Schwerverletzten bietet sich ein ähnliches Bild.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Warum ist das so?

Es gibt mehrere Gründe. Vor allem natürlich die Nutzergruppe von Pedelecs, die immer noch überwiegend aus Senioren besteht. Ihr Anteil wird auf etwa 80 Prozent geschätzt. Das hat mehrere Konsequenzen. Wenn ein 20-Jähriger einen Unfall erleidet, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er aufsteht und weiterfährt. Ein 80-Jähriger wäre bei einem ähnlichen Unfall dagegen eher schwer verletzt oder getötet worden. Senioren haben eben eine sehr viel höhere Verletzlichkeit. Meist sind Arme und Beine in Mitleidenschaft gezogen, bei schwereren Unfällen überwiegend Brustkorb oder Kopf betroffen. Außerdem reagieren ältere Menschen langsamer. Sie haben durch Pedelecs plötzlich die Möglichkeit, wieder mobil zu sein, obwohl sie auf einem normalen Fahrrad möglicherweise gar nicht hätten fahren können, weil sie dafür nicht fit genug sind. Viele Senioren sind der Geschwindigkeit aber nicht mehr gewachsen.

Das Problem ist also das Alter der Fahrer?

Jein. Wir haben zu dem Thema eine Studie durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass Pedelecfahrer in jeder Altersgruppe schneller unterwegs sind als Fahrradfahrer. Das Fahrrad setzt muskuläre Grenzen, beim Pedelec ist eher die Frage, wie viel ich mir zutraue. Die 25 km/h Spitzengeschwindigkeit kann wirklich jeder auf gerader Strecke erreichen, ohne dass er besonders viel Muskelkraft braucht. Aber je größer die Geschwindigkeit, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines schweren Unfalls.

Wie muss man sich den typischen Pedelec-Unfall vorstellen?

Im Vergleich zum Unfallgeschehen mit normalen Fahrrädern fällt auf, dass es mit Pedelecs zu viel mehr sogenannten Alleinunfällen kommt, bei denen außer dem Fahrer niemand beteiligt ist. Dazu kommen noch deutlich mehr Fahrunfälle und ein deutlich erhöhter Anteil von Stürzen bei Steigung, Gefälle und Kurven. Das bedeutet meist: Der Nutzer hatte ein Problem damit, das Fahrzeug zu bedienen. Entweder hat der Fahrer das Fahrzeug unter- oder sich selbst überschätzt.

Was würden Sie Menschen raten, um sicher auf Pedelecs unterwegs zu sein?

Sie sollten sich - oder noch besser: andere - zunächst kritisch fragen: Kann ich ein Zweirad noch sicher bedienen? Für die Gruppe hochbetagter Senioren sind die 25 km/h Höchstgeschwindigkeit der Pedelecs in vielen Fällen zu schnell. Man muss ja nicht unbedingt so schnell fahren, wie es das Rad zulässt. Der Vorteil eines Pedelecs bleibt ja erhalten, auch wenn ich langsamer fahre: Man kann trotzdem längere Strecken fahren, ohne müde zu werden, und Steigungen bewältigen, ohne absteigen und schieben zu müssen. 25 km/h sind dafür nicht nötig.

Klar: Je schneller das Rad, desto länger der Bremsweg.

Nicht der reine Bremsweg ist das Entscheidende, sondern vielmehr die Reaktionszeit. Also der Weg, den ich zurücklege, ohne irgendwas zu tun. Der ist von der Geschwindigkeit abhängig und bei Senioren oft länger, weil sie die Situation später erfassen als Jüngere. Zwischen 15 und 25 km/h liegen dabei Welten. Auch ein Helm ist gerade bei Senioren wichtig. Sie tragen leider statistisch nicht öfter einen Helm als jüngere Fahrer. Sollten sie aber. Sie unterschätzen die Fallhöhe auf den Asphalt, die auch bei geringer Geschwindigkeit beträchtlich ist. Beim Kauf des Pedelecs sollte man sich außerdem von Fachleuten beraten lassen. Idealerweise macht man Probefahrten mit verschiedenen Rädern.

Sind Pedelec-Fahrer eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer?

Ein Fahrrad ist natürlich auch eine Gefahr für Fußgänger. Die Gefahr nimmt dann zu, wenn es relativ schnell unterwegs ist. Es kommt gerade außerdem ein neues Problem hinzu, zu dem wir bisher aber keine verlässlichen Zahlen haben: Es wird berichtet, dass vor allem jüngere Fahrer ihre Pedelecs tunen. Sie sind oft mit den 25 km/h nicht zufrieden. Würden sie sich ein schnelleres sogenanntes Speed-Pedelec kaufen, bräuchten sie eine Versicherung, müssten einen Helm tragen und dürften Fahrradwege nicht mehr benutzen. Das wollen viele nicht und gehen dann den illegalen Weg des Tunings.

Sind sich die Fahrer der Risiken bewusst?

Ich glaube eher nicht. Man gewöhnt sich relativ schnell an Geschwindigkeit. Das weiß jeder, der mit dem Auto schon einmal auf der Autobahn unterwegs war. Wenn man eine Zeitlang 150 km/h fährt, nimmt man nicht mehr war, wie schnell das eigentlich ist. Erst wenn man in die Ausfahrt fährt, ohne vorher auf den Tacho geschaut zu haben, bemerkt man die Geschwindigkeit. Beim Pedelec ist das ähnlich.

Sind sie denn selbst auf einem Pedelec unterwegs?

Ich habe mehrfach Gelegenheit gehabt, eins zu fahren. Ich muss aber sagen: Mir macht das nicht so viel Spaß. Auf dem Weg zur Arbeit hätte ich gerne so ein Rad, in Berlin ist mir das aber zu gefährlich. Und in der Freizeit fahre ich ja gerade deswegen, um Sport zu treiben und mich anzustrengen.

Genaue Informationen, welche Daten für den Messenger-Dienst genutzt und gespeichert werden, finden Sie in der Datenschutzerklärung.

Linktipp: Der Verkehrsclub Deutschland gibt auf seiner Website Tipps, um mit dem Pedelec sicher unterwegs zu sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3943336
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/eik/harl/liv
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.