Innenraum der Zukunft:Ein bisschen Raumschiff Enterprise

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Im Innenraum der Zukunft werden sich die meisten Funktionen per Fingergesten steuern lassen. (Foto: Daimler AG)

Das Innenraumdesign aktueller Autos ist von vorgestern. Doch bald werden die Cockpits zu Touchpads im XXL-Format, die Bedienlogik von Smartphones setzt sich durch. Und sobald autonomes Fahren funktioniert, kommt die Lounge ins Auto.

Von Joachim Becker

Schlechte Autos gibt es kaum noch - schlechte Bedien- und Infotainmentsysteme dagegen schon. Mehr als hundert Jahre nach Erfindung des Automobils steckt der Fahrerarbeitsplatz noch immer voller Geheimnisse. Ein buntes Blingbling rund um das Cockpit hat die Hebelbatterien der einstigen Motorkutschen ersetzt. Doch das Ergebnis ist dasselbe: Der Mensch muss sich der Technik anpassen statt umgekehrt.

Nur wer mit einer Marke vertraut ist, findet sich in dem Salat aus Knöpfen, Schaltern und Displays auf Anhieb zurecht. Carsharer, die zwischen verschiedenen Autos wechseln, erleben den Dialog von Mensch und Maschine dagegen als mühsames Geschäft. Studien zeigen, dass viele Nutzer nur einen Bruchteil der Funktionen kennen und selbst die Warnleuchten nicht verstehen. Je höher die Dichte von Fahrerassistenzsystemen wird, desto schwieriger lässt sich das Heer der elektronischen Helferlein dirigieren.

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An der Display-Technik liegt es nicht. Immer größere, lichtstärkere und kontrastreichere Kombiinstrumente bündeln sämtliche Anzeigen direkt im Blickfeld des Fahrers. Was im digitalen Zeitalter fehlt, ist eine durchgängige Bedienlogik, wie wir sie von der Unterhaltungselektronik kennen. Apples erstes iPhone hat das Ende der fummeligen Telefontasten eingeläutet: Schnelle Fingergesten und Sprachbefehle genügen, um mühelos durch die Tiefen eines Streichelbrettchens zu surfen. "Die Generation Y will es einfach haben. Das Smartphone soll die Schaltzentrale des Lebens sein, nicht das Auto", sagt Franziska von Lewinski, Geschäftsführerin der Agentur Fischer Appelt. Auch für Menschen, die nicht zur Generation der 25- bis 37-Jährigen gehören, sind die elektronischen Altlasten im Autocockpit nur schwer zu akzeptieren. Keine Frage: Fahrzeuge sollen intuitiv und sicher zu bedienen sein. Gerade darum muss die Bordelektronik ihren Entwicklungsrückstand aufholen.

Audi versucht etwas anderes

Wohin die Reise gehen könnte, zeigt eine Audi-Studie auf der Los Angeles Auto Show (noch bis 30. November). Die frohe Botschaft aus dem technikverliebten Kalifornien: Das Auto-Interieur wird zum Touchpad, das Fahrer und Beifahrer wie ein großer Bogen umfasst. Audi gibt mit dem Gran Turismo nicht nur die Formensprache des neuen Chefdesigners Marc Lichte vor (SZ berichtete). Mit dem Prologue geben die Ingolstädter auch einen konkreten Ausblick auf ein neuartiges Innenraumkonzept.

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Bereits im nächsten Jahr wird der MMI-Drehdrücksteller in den Hintergrund rücken. Die dominante Rolle auf der Mittelkonsole spielt stattdessen ein integriertes Touchpad. Mit Fingergesten lassen sich nicht nur einzelne Buchstaben eingeben, sondern alle Funktionen des Infotainments steuern. Das Problem bei der Rückkehr des Fingerabdrucks: Anders als beim Smartphone sind Bedienfeld und Anzeige im Auto getrennt. Weil die Hand außerhalb des primären Sichtfelds agiert, ist auch beim integrierten Touchpad der neuen Mercedes C-Klasse Fingerspitzengefühl gefragt.

In der Audi-Studie rücken die Touchscreens in der Armaturentafel deshalb weiter nach oben: Mit dem Display links vom Lenkrad lassen sich Fahrlicht und Assistenzsysteme steuern, während die rechte fahrerorientierte Bedieneinheit den Unterhaltungsmedien gewidmet ist. Der Beifahrer kann mit einem Breitwand-Display vor Augen nicht nur Videos anschauen, sondern mit dem Fahrer auch digital interagieren. Eine Wischbewegung genügt, um ihm eine vorkonfigurierte Route in sein "virtual cockpit future" zu schicken.

In bisherigen Automodellen steht diesem Dialog jedoch der Beifahrerairbag im Weg: Das versteckte Luftkissen muss groß genug sein, um auch nicht angeschnallte Menschen außerhalb der idealen Position sicher abfangen zu können. Weil der Platz schon heute knapp ist, bietet das Audi-Konzeptfahrzeug ein viertes Touchdisplay auf dem Getriebetunnel: Eine flexible Bedienfläche soll sich bei der Steuerung von Klima, Schrifteingabe und weiteren Fahrzeugeinstellungen ergonomisch anpassen lassen.

Hintergrund des digitalen Overkills ist nicht nur der Siegeszug der vernetzen Unterhaltungselektronik im Auto, sondern auch die Vorbereitung des automatisierten Fahrens. Schon heute können Staufolgeassistenten die Fahraufgabe zumindest im Kolonnenverkehr übernehmen. Bis zum Ende des Jahrzehnts versprechen die Hersteller eine neue Generation von Oberklassefahrzeugen, die zumindest auf der Autobahn weitgehend selbständig beschleunigen, lenken und bremsen werden. "Die Zeit, die man im Auto verbringt, bekommt eine völlig neue Qualität", verspricht Herbert Kohler, "autonomes Fahren bietet Entlastung in meist lästig empfundenen Fahrsituationen - beispielsweise im Stau, in der Innenstadt oder auf langen Fahrten", so der Leiter der Daimler-Konzernforschung.

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Was die Kultserie "Knight Rider" vorgemacht hat, dürfte bald Wirklichkeit werden: In Zukunft wird der Fahrer intensiver mit seinem Auto kommunizieren. Das ist die Voraussetzung dafür, dass autonomes Fahren reibungslos funktioniert.

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Heute sind die Bildschirme im Auto separiert, künftig wird jede Interieurfläche bespielbar sein

Die Welt wird enger, der Platz auf den Straßen knapper. Notgedrungen verbringen Fahrer und Passagiere einen guten Teil ihrer Freizeit im Stau. Längst sprechen Autoexperten nicht mehr nur von Transportmitteln, sondern vom dritten Lebensraum neben dem Zuhause und dem Arbeitsplatz. Wenn es schon kein körperliches Entrinnen aus dem hektischen urbanen Umfeld gibt, dann sollen die Passagiere wenigstens mit Highspeed durch einen "digitalen Erlebnisraum" reisen.

Folgerichtig könnte die Fahrgastzelle im Jahr 2030 zum rollenden Wohnzimmer mit drehbaren Lounge-Sesseln werden: Sobald der Fahrer die Hände vom Lenkrad nimmt und das Rund zurück in die Armaturentafel sinkt, kann er sich den anderen Passagieren vis à vis zuwenden. Mercedes-Ingenieure im kalifornischen Forschungszentrum Sunnyivale arbeiten an dem passenden ästhetischen Gesamtkonzept:.

Weil sich das pilotierte Autofahren nicht mehr primär über aktiven Fahrspaß definiert, lassen die Hersteller ihre Kunden in hoch emotionale Markenwelten eintauchen. "Wir wollen die Barriere zwischen der analogen und der digitalen Welt überbrücken. Heute sind die Bildschirme im Auto separiert, in Zukunft wird jeder Teil der Interieurfläche bespielbar sein", erwartet Hartmut Sinkwitz, Leiter des Mercedes Interieur-Designs. Kleine Kameras und kapazitative Bewegungssensoren erkennen die Augen-, Hand- und Fingerbewegungen und setzen die Wünsche der Passagiere in möglichst wenigen Bedienschritten um. Mercedes wird ein solch futuristisches Konzeptfahrzeug in wenigen Wochen auf der Elektronikmesse CES zeigen.

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Bremsen, beschleunigen, lenken, all das können Autos heute schon ohne Zutun des Fahrers. Die Hände müssen dabei aber auf dem Lenkrad bleiben. Bis zum Ende dieses Jahrzehnt sollen deutsche Automobile aber ganz autonom sein - und von ihrem Fahrer lernen.

Von Joachim Becker

Anzeigen in 3D-Qualität

So einfach wie bei der Kleinelektronik wird es im Fahrzeuginnenraum nicht gehen. Viele Fragen des digitalen Nutzererlebnisses sind sicherheitsrelevant: "Kein Kunde wird uns Systemfehler verzeihen, nach denen die ganze Fahrzeugelektronik neu hochgefahren werden muss. Deshalb wird es immer einen gewissen Zeitversatz zur Unterhaltungselektronik geben", erklärt Herbert Kohler.

Solange diese Wellness-Oase noch auf einen Fahrer angewiesen ist, muss auch der Informationsfluss weiter verbessert werden: Ab 2017 sollen Anzeigen in 3D-Qualität genau dort im Sichtfeld des Fahrzeuglenkers erscheinen, wo er sie situativ zuordnen kann. Navigationspfeile sollen beispielsweise so illuminiert werden, als würden sie auf der Abbiegespur 50 Meter voraus liegen. BMW hat mit der Vision Future Luxury in Shanghai eine Studie gezeigt, die drei Displays im Cockpit mit einem größeren Head-up-Display als Hauptanzeige kombiniert. Im Zusammenspiel erzeugen die bildgebenden Systeme eine dreidimensionale Illusion. Ein bisschen Raumschiff Enterprise wird schon im nächsten BMW Siebener auf der IAA 2015 zu bewundern sein.

© SZ vom 22.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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