IAA-Vorschau:Fegefeuer der Eitelkeiten

Mehr als 200 neue Automodelle sind auf der 66. IAA zu sehen, die in der kommenden Woche beginnt. Die wichtigsten Premieren im Überblick.

Von Jörg Reichle

Wenn das keine rosigen Aussichten sind: "Wir stehen vor der Neuerfindung des Automobils", sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche, und der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) und ehemalige Bundesverkehrsminister, Matthias Wissmann, sekundiert, wenn auch in etwas gemäßigteren Worten: "Das Auto befindet sich mitten in einer beschleunigten digitalen Evolution." Am Vorabend der 66. Automobilausstellung IAA in Frankfurt/Main bekommen Einschätzungen wie diese natürlich besonderes Gewicht.

Zumal sich der geneigte Konsument, der am Ende des Tages viel Geld ausgeben soll für ein neues Auto, kaum noch zurechtfindet im Spagat zwischen wohlfeilen, von Medien angeheizten Zukunftsvisionen von Elektromobilen, die sich vollautomatisch und datenvernetzt über Land bewegen und der Notwendigkeit, sich hier und jetzt im real existierenden Leben für ein neues, erschwingliches Modell entscheiden zu müssen. Auf der 66. IAA dürfte es, einerseits, um diese Zukunft gehen - auf den Ständen zahlreicher Hersteller, aber auch auf einem eigens geschaffenen Bereich der insgesamt 230 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche unter dem Titel New Mobility World.

Ungeachtet der wohlfeilen Visionen sucht der Konsument das Auto, das er sich leisten kann

Die 210 Weltpremieren neuer Modelle auf der Messe spiegelt andererseits diese Fixierung auf die Mobilität von morgen nur bedingt wider. Noch immer wird deren überwiegender Teil von konventionellen, wenn auch vielfach optimierten Verbrennungsmotoren angetrieben. Und die viel beschworene Digitalisierung ist noch in durchaus überschaubarem Umfang zu bewundern, auch wenn VDA-Mann Wissmann prophezeit: "Schon heute ist jedes vierte Auto ,connected', in wenigen Jahren werden es drei von vier sein."

An neuen Autos, so oder so, herrscht kein Mangel in Frankfurt. Die meisten davon sind freilich keine wirklichen Weltpremieren, sondern sind bereits durch die Medien gegangen. Die echten Weltpremieren, Ausnahmen bestätigen die Regel, sind eher selten. Zum Beispiel Volkswagen. Der neue Tiguan ist tatsächlich erst in Frankfurt zu sehen. So viel weiß man aber schon: Preise ab etwa 25 000 Euro, größer mit besserer Raumausnutzung, mehr Komfort. Zunächst soll es fünf Benziner und vier Diesel geben mit einem Leistungsspektrum zwischen 125 und 240 PS. Eine siebensitzige Variante und ein Coupé folgen später.

Auch Audi hält seine - neben dem neuen A4 - wichtigste Messeneuheit noch bis zuletzt unter Verschluss, auch wenn bereits eine Designskizze gezeigt wird. Der neue e-tron Quattro ist als reines Elektromodell konzipiert, soll 2018 vermutlich als Q6 in Serie gehen und dann dem erfolgreichen Tesla Paroli bieten. Vor allem in Sachen Reichweite: 500 Kilometer sind im Gespräch, der Preis allerdings noch nicht. Auch bei Porsche tut sich was in Sachen Zukunft. Weniger, dass der modellgepflegte 911 künftig generell von Turbomotoren angetrieben wird, die zwischen 370 und 420 PS leisten und dennoch weniger verbrauchen sollen. Wichtiger ist ein Ausblick auf den kleinen Bruder des Panamera, der bislang unter dem Namen Pajun läuft und 2019 ebenfalls als reines E-Mobil auf den Markt kommen soll.

Auch ein Außenseiter tut kurz vor der Messe noch geheimnisvoll. Die Marke Borgward, Autofans noch immer in lebendiger Erinnerung und mit chinesischem Kapital gerade wieder auferstanden, hat einen SUV angekündigt - mit Allradantrieb und mehr als 200 PS Leistung.

Ganz im Hier und Jetzt rangieren dagegen die beiden Premieren bei Mercedes. Das S-Klasse Cabrio folgt optisch und technisch weitgehend dem großen Coupé, das zweitürige C-Coupé wiederum mit Motoren zwischen 156 bis 510 PS (als 63 AMG S) nimmt ebenfalls Design-Anleihen bei der zweitürigen S-Klasse. Wer das verwirrend findet, liegt gar nicht mal schlecht, die einzelnen Modelle sind immer schwerer auseinanderzuhalten. Auf Anhieb klar erkennbar ist dagegen der Kleinste im Bunde: Smart zeigt auf der IAA das neue Fortwo Cabrio. Das Konzept mit Stoffdach und herausnehmbaren Dachstreben blieb unverändert, Fahrwerk und Getriebe wurden verbessert. 14 000 Euro muss man für den Winzling mindestens anlegen.

Ein anderer Mini heißt zwar Mini ist es aber nicht (mehr): Der neue Clubman, inzwischen stolze 4,25 Meter lang und mindestens 23 900 Euro teuer, steht auf der IAA sozusagen als Premium-Kontrastprogramm zum neuen BMW Siebener, dem derzeitigen Flaggschiff der digitalen Autowelt (die SZ berichtete). Autonom fahren kann er aber trotzdem noch nicht.

Diesseits der Premium-Marken tut sich auf dieser IAA auch bei den Volumenherstellern viel

Mit zu den interessantesten Premium-Marken gehört in Frankfurt diesmal Jaguar. Hier sind nicht nur die neuen Limousinen XE und XF erstmals zu sehen. Ähnlich verheißungsvoll scheint die Premiere des SUV namens F-Pace. Dank reichlich Aluminium wird er ein rechtes Leichtgewicht, angetrieben von neu entwickelten Vier- und Sechszylindern mit bis zu 380 PS. Im Frühsommer 2016 soll der attraktive F-Pace auf den Markt kommen.

Während sich die Premium-Marken in den lichten Höhen des Fortschritts sonnen und mit Hochdruck auch noch die kleinsten Lücken in ihrem Modellprogramm schließen, tut sich auf dieser IAA auch bei den Volumenmarken Bemerkenswertes. Allen voran bei Opel. Der neue Astra genießt dabei traditionell vergleichbar großes Interesse wie ein neuer VW Golf. Und spürbar ist der Ehrgeiz der in Bedrängnis geratenen Marke, gerade mit diesem Modell das Blatt zu wenden. Es ist also zu berichten von: mehr Platz bei kompakteren Außenmaßen, flottem Design innen und außen; außerdem wurde das Motorenprogramm entstaubt. Licht- und Assistenzsysteme darf man als vorbildlich loben. Außerdem ist in Frankfurt schon der Astra Kombi namens Sports Tourer zu sehen.

Ein traditionell starker Mitbewerber bei den Kompaktautos ist der Renault Mégane, inzwischen in der vierten Generation angelangt. Er trägt rein äußerlich wie auch der gleichzeitig präsentierte Nachfolger des Laguna namens Talisman die Handschrift des Chefdesigners Laurens van den Acker und lohnt sicher mehr als nur einen schnellen Blick im Vorübergehen. Auch der Talisman feiert seine Premiere gleichzeitig als Limousine und in der Kombiversion. Die hat durchaus das Zeug, dem Škoda Superb seine Rolle als Platz-Hirsch im Wortsinne streitig zu machen. Bis zu 1700 Liter Kofferraumvolumen sind eine echte Ansage.

Die IAA für Besucher

66. Internationale Automobilausstellung 2015 in Frankfurt/Main. 17.-27. September 2015, Fachbesuchertage: 17. und 18. September. Messegelände, Ludwig-Erhard-Anlage 1; Parkplätze: Messeparkhaus Rebstock. Öffnungszeiten: 9.00 bis 19.00 Uhr. Eintrittspreise: Tagesticket Wochenende: 16 Euro; Tagesticket Werktag: 14 Euro; Tagesticket ermäßigt: 7,50 Euro; Nachmittagsticket 10 Euro. Günstigere Eintrittskarten sind über www.iaa.de zu beziehen. Unter dieser Web-Adresse wird auch über die zahlreichen Sonderausstellungen und Kongresse informiert, die die Messe begleiten. In diesem Jahr werden auf 23 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche 1103 Aussteller aus 39 Nationen ihre Produkte und Dienstleistungen zeigen.

SZ

Bleiben noch die Randerscheinungen auf der Messe. Alfa Romeo gibt nach langer Durststrecke mit der neuen Giulia ein starkes Lebenszeichen, was durchaus wörtlich zu nehmen ist: Motoren bis 510 PS, Heckantrieb und Preise ab etwa 35 000 Euro künden von starkem Selbstbewusstsein. Was man auch vom Design des neuen Toyota Prius behaupten möchte, dessen Technik sich allerdings wenig ändert. Vielleicht hätten die Japaner es lieber umgekehrt gehalten. Damit dürfte der Prius hierzulande jedenfalls seine exotische Rolle weiterspielen.

Eher dem europäischen Geschmack entspricht das Design von Kia. Hier feiert die neueste Generation des SUV Sportage Premiere, bei Citroën der überarbeitete DS4 und bei Fiat der verfeinerte 500.

Und natürlich ist die IAA auch in diesem Jahr das Schaufenster für Autos, die niemand braucht, aber viele toll finden: den neuen Bentley-SUV Bentayga, Ferrari 488 Spider, Audi R8, Ford GT, Lamborghini Huracán Spider - für alle, die Träume lieben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: