IAA Nutzfahrzeuge Hannover:Die Lieferdrohne fährt mit

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Fährt die Lieferdrohne, die die letzten Meter bis zum Kunden zurücklegt, künftig auf dem Transporter mit? Mercedes denkt jedenfalls in diese Richtung. (Foto: Bloomberg)

Der Onlinehandel boomt, aber die Lieferautos verstopfen die Städte. Ein paar innovative Ideen haben Hersteller und Logistiker dazu schon - von der Drohnenstaffel bis zum rollenden Warenverteilzentrum.

Analyse von Joachim Becker

Schrei vor Glück! Der Lieferwagen im Stau vor dir könnte dein nächstes Paar Schuhe bringen. Der Onlinehandel boomt, 2015 lag dessen Warenumsatz in Deutschland bei 46,9 Milliarden Euro, 9,5 Prozent höher als im Vorjahr. Im Jahr 2020 werden Experten zufolge 20 Prozent des Einzelhandelsumsatzes online abgewickelt. "Wir sind auf dem Weg in die Zalando-Gesellschaft", sagt ein Sprecher des Verbands der deutschen Automobilindustrie.

Die Flut von Zustellfahrzeugen macht vielen Wachstumsregionen zu schaffen, die ohnehin schon im Verkehr ersticken. "Die Mobilität in vielen Metropolen steht vor dem Zusammenbruch", warnt die Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL), "die wenigsten Städte haben ein kohärentes Verkehrskonzept, das auch die Logistik mit einschließt - geschweige denn einen ausgereiften Entwicklungsplan für die nächsten zehn bis 15 Jahre", sagt Ralf Baron, Leiter des ADL-Teams Transportation.

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Die Digitalisierung endet an den Firewalls

Mehr als 60 Prozent der Menschheit lebt bereits in urbanen Zentren. Mit deren pilzartiger Wucherung kann die Verkehrsinfrastruktur kaum mithalten. "Experten gehen weltweit von einer exponentiellen Steigerung des Transportaufkommens in den nächsten Jahren aus. Für 2018 erwarten sie einen weltweiten Warenumsatz von mehr als 3000 Milliarden US-Dollar, also knapp eine Verdopplung der aktuellen Zahlen", erklärt Stefan Maurer, Leiter der Abteilung Future Transportation Systems bei Mercedes-Benz Vans. Lange lässt sich die Versorgung vieler Großstädte auf den bisherigen Wegen nicht mehr leisten. Um die wachsenden Bedürfnisse zu befriedigen, müssen Transportprozesse in Zukunft anders organisiert werden.

Die Internationale Automobil-Ausstellung IAA Nutzfahrzeuge, die nächste Woche in Hannover beginnt, will Antworten auf die drängendsten Fragen geben. Fahrerassistenz, Vernetzung und E-Mobilität werden dort als Innovationen gefeiert. Lieferdrohnen dürfen als Trend-Accessoires nicht fehlen. Doch das Tagesgeschäft der Hersteller ist weniger glamourös: E-Transporter sind wegen ihres hohen Preises nahezu unverkäuflich, Fahrerassistenzsysteme verbreiten sich nur mithilfe gesetzlicher Zwänge, und die Digitalisierung endet an den Firewalls konkurrierender Hardware-Hersteller und Mobilitätsanbieter. Eine intelligente Form der City-Maut wäre eine Datenabfrage an den Stadtgrenzen, um den Verkehr über eine zentrale Plattform zu steuern.

Mercedes stellt den mitdenkenden Transporter vor

Lediglich ein paar Leuchtturmprojekte kommen auf die Idee, die Lieferketten mit den Infrastrukturangeboten der vermeintlich smarten Citys zu vernetzen. "Was fehlt, ist die Bereitschaft, unternehmensübergreifend mit den Städten Daten auszutauschen", kritisiert Unternehmensberater Baron: "Den Städten fehlt der politische Wille, die rechtliche Handhabe und das IT-Know-how, um die Daten aller Transportmittel einzusammeln. Der Datenschutz dient dann oft als Ausrede für Ahnungslosigkeit." Sprich: Die allermeisten Städte wüssten mit den Daten noch gar nichts anzufangen.

Futuristische Ideen, wie der Transport auf der letzten Meile im City-Bereich optimiert werden kann, gibt es viele. Sie reichen vom autonom fahrenden Transporter, der seinem vorauseilenden Zusteller wie ein Hündchen hinterherdackelt, über die Drohnenstaffel auf dem Dach des Wagens, die gleichzeitig mehrere Pakete im Flug ausliefern kann, bis zum rollenden Warenverteilzentrum.

Mercedes hat gerade die Studie "Vision Van" mit speziellen Regalsystemen vorgestellt, die im Logistikzentrum automatisch bestückt und wie ein großer Apotheker-Schrank in einem Schub auf den Lieferwagen verladen werden. Vollautomatisiert liegt passend zur GPS-Position dann immer genau das richtige Päckchen im Ausgabeschacht: Der Zusteller wird so zum Sprinter, der die ausgespuckte Sendung nur noch im Eiltempo die Treppe hochtragen muss. Das aufwendige Umsortieren im Lieferwagen entfällt. "Mit diesem Fahrzeug ließe sich nach unseren Schätzungen die Produktivität in der Zustellung auf der letzten Meile um bis zu 50 Prozent steigern", betont Volker Mornhinweg, Leiter Mercedes-Benz Vans.

Doch am Ende hilft es alles nichts: Auch der intelligenteste Transporter steckt gnadenlos im Stau, wenn er künftig nicht auf späte Abend- oder frühe Morgenstunden ausweichen kann. In Mailand, Rom oder Barcelona ist es längst üblich, dass die Stadt-Reinigung und -versorgung nachts geschieht. Doch im lärmempfindlichen Deutschland scheuen Politiker, die wiedergewählt werden wollen, vor der Logistik in den sogenannten Tagesrandzeiten zurück. Schließlich wollen sich selbst die härtesten Fashion-Fanatiker nicht für ein neues Paar Schuhe aus dem Bett klingeln lassen. Die Nachtanlieferung braucht also nicht nur leise E-Mobile, sondern auch alternative Zustellorte: Mit der totalen Vernetzung im Internet der Dinge lassen sich künftig auch die Ladeluken von Autos zu persönlichen Paketfächern machen.

"Es gibt keine Einheitslösungen für alle Städte", mahnt Uwe Clausen, Leiter des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik in Dortmund, "klar ist aber auch, dass integrierte Konzepte für den Personen- und Güterverkehr viel Potenzial haben." Technisch ist die Paketzustellung im Kofferraum kein Problem, entsprechende Pilotprojekte laufen schon bei Smart und Volvo: Der Bote bekommt einen einmaligen Zugangscode, und die Sendung quittiert ihre Abgabe mit Uhrzeit und GPS-Position selbst.

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Das Internet als Vorbild für den Gütertransport

Aber das Auto als smarter Zustellort kann noch mehr: nämlich fahren. Warum nicht all die Pendler in ihren kaum besetzten Autos nutzen, um Waren punktgenau in die Innenstädte zu liefern? Daimler-Zukunftsforscher sprechen von einem "synchromodalen Transportkonzept": Das bedeutet zeitlich abgestimmt (= synchro) und verschiedene Transportwege umfassend (intermodal).

Vorbild für eine solche Mitfahrzentrale der Waren und Güter ist das Internet. Auch dort werden Informationen in kleinste Einheiten zerlegt und am Ende für den Empfänger wieder zusammengesetzt. "Eine ähnliche Lösung ist auch für den Transport physischer Waren und Güter denkbar - deshalb sprechen wir in der Verkehrswelt vom Physical Internet", erklärt Steffen Kaup, Leiter des Teams Zukunftsforschung Transport und Logistik in der Daimler-Konzernforschung.

Die Grenze zwischen Hersteller und Logistiker verschwimmt

Voraussetzung für ein solches Logistikkonzept ist eine Internetplattform, die den Transportbedarf und das Angebot an freien Transportmitteln synchronisiert. Je nach Budget und Zeitrahmen wird die ideale Route ermittelt, wobei auch Teilstrecken in unterschiedlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden können. Entscheidend für den Erfolg eines solchen dezentralen Logistikkonzepts ist allerdings ein System von zentralen Verladestationen. Diese Knoten im Verkehrsnetz (sogenannte Hubs) können auch Tankstellen oder mobile Packstationen auf Parkplätzen sein.

Momentan arbeiten viele Start-ups an Plattformen, mit denen sich freie Transportkapazitäten automatisch die entsprechende Nachfrage suchen. Im Wettlauf mit IT-Giganten wie Google und Uber, die sich in allen Bereichen des Transportwesens tummeln, haben auf Dauer wohl nur größere Spieler eine Chance. Mercedes-Benz Vans arbeitet deshalb mit einer neuen Organisationsstruktur stärker im Umfeld der Start-up-Szene. Das klassische Produktgeschäft soll mit innovativen Logistikkonzepten weiterentwickelt werden. Dabei profitiert die Transporter-Truppe von den Vorleistungen des Bereichs Business Innovation, der 2007 mit Car2go das erste flexible Carsharing startete.

Auch VW Nutzfahrzeuge will die Grenzen zwischen Herstellern und Logistikern verschwimmen lassen. Denn am Ende steht das autonome Fahren: Den nimmermüden Robotern ist es egal, ob sie Menschen oder Schuhpakete herumfahren.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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