Vor der IAA:Autoindustrie zwischen Macht und Ohnmacht

IAA 2017

Alles so schön grün hier: Auf der Automesse IAA feiern sich vor allem die deutschen Hersteller.

(Foto: Internationale Automobil-Ausstellung)

Nächste Woche beginnt die Autoschau IAA in Frankfurt. Die selbst ernannte Zukunftsmesse verliert an Bedeutung, stattdessen entwickelt sich China zum Leitmarkt.

Von Joachim Becker

Manche Dinge ändern sich nie, die IAA-Rituale etwa. Routiniert wird die Kanzlerin die Autoschau eröffnen. Obligatorisch sind auch der Standrundgang und die Proteste der Umweltverbände. Mit der Zuverlässigkeit einer Standuhr wird Angela Merkel von Umweltschutz sprechen. Dass die deutschen Autohersteller weit davon entfernt sind, ihre Emissionsziele in den Jahren 2020 oder 2021 in Europa zu erreichen, wird sie in Frankfurt eher nicht erwähnen.

Klimaschutz oder Riesen-SUVs, nationale Verkaufsausstellung oder internationales Technologie-Schaufenster? Wofür die Hausmesse 2019 eigentlich steht, ist ebenso unklar wie das Profil und die Zukunft der deutschen Marken selbst. Fragen in diese Richtung bügelt der IAA-Hausherr selbstbewusst ab: "Als innovativste Automobilindustrie mit den weltweit höchsten Forschungsinvestitionen stehen wir auf der Pole-Position", sagt Bernhard Mattes, Chef des Autoverbands VDA: "Wir sind gerüstet für die Mobilität der Zukunft." Wo IAA draufsteht, ist vorne. Basta. Dabei wäre es an der Zeit, die schwarz-rot-goldenen Sichtblenden ein wenig zu öffnen.

Nicht nur der Leitmarkt für neue Antriebe liegt längst woanders. In China wurden 2018 über eine Million Elektroautos verkauft, künftig wird die weltweite Führungsrolle noch größer. Davon geht jedenfalls Chinas größter Autohersteller aus: "Die Zukunft von Volkswagen entscheidet sich hier. China ist unser wichtigster Markt - und wird es bleiben", erklärt Volkswagen-Chef Herbert Diess. Wer weiß schon, dass die Autoproduktion in China von jährlich 87 000 Fahrzeugen im Jahr 1970 auf 28 Millionen im vergangenen Jahr gestiegen ist? Und dass der Marktführer VW dort 2018 ähnlich viele Fahrzeuge verkauft hat (4,2 Millionen) wie in West- und Osteuropa zusammen?

IAA 2017

Herzlich willkommen: Auch in diesem Jahr wird Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Autobossen vorbeischauen.

(Foto: Internationale Automobil-Ausstellung)

Der Superzyklus in Fernost hat in dieser Dekade viele Strukturprobleme der deutschen Autohersteller und Zulieferer überdeckt. 2018 kamen diese zusammen auf 5,3 Millionen Fahrzeuge in China - mehr als in ihrer Ursprungsregion Europa. Kriegt der Absatz im weltgrößten Automarkt eine Delle, ist die Krise hierzulande groß. Mittelfristig wird die Wachstumsstory aber weitergehen, schätzen viele Experten. Entscheidend ist, dass die "deutschen" Autos nicht importiert, sondern fast ausnahmslos in China gefertigt und zunehmend auch dort entwickelt werden. Fragt sich nur, wann und in welchem Umfang chinesische Autos nach Deutschland kommen - so ähnlich wie es Japaner und Koreaner vorgemacht haben.

China ist auf dem Weg zur Technologieführerschaft: "Für unseren Konzern setzt China inzwischen Standards bei Produktivität und Qualität. Als Innovationstreiber gibt das Land das Tempo vor: bei E-Mobilität, Digitalisierung und neuen Mobilitätskonzepten", sagt Diess. Beharrt die IAA weiter auf dem Primat von Maschinenbau, Lack und Leder, ist ihr Bedeutungsverlust (wie bei den Shows in Genf, Paris, Tokio) programmiert. Diess: "Der Wandel, den die Autoindustrie durchlaufen wird, ist gravierend." Im Vergleich zur Software-Explosion im Auto sei die Elektrifizierung des Antriebs einfach gewesen. "Die nächste Transformation wird härter für uns, weil es komplett neue Fähigkeiten verlangt, die wir heute noch gar nicht haben."

Auch Wolf Faecks, Autoanalyst bei der Beratungsfirma Publicis Sapient, warnt vor dem Wandel: "Wir werden die Disruption in den nächsten fünf Jahren sehen - mit einer massiven Konsolidierung unter den Autoherstellern: China hat wiederholt erklärt, dass es sich in Schlüsseltechnologien keine Vorherrschaft durch andere Länder vorstellen kann. Das gilt etwa fürs autonome Fahren, das die Chinesen selbst entwickeln. Was sie jetzt brauchen, sind Marken, die weltweit etabliert sind." Was liegt da näher, als etwa Anteile von Daimler zu kaufen? Deutsche Hersteller sind an der Börse günstig zu haben. "Das chinesische Engagement bei Daimler ist als strategisches Investment zu betrachten, um Verbindungen zu Mercedes zu knüpfen", ist sich Faecks sicher. "Es wird keine fünf Jahre dauern, bis diese Beteiligungsstrategie ausgebaut wird. Und es könnte auch eine für die Kunden sichtbare Allianz über die Marke Smart hinaus geben."

Der staatsnahe chinesische Konzern Geely hält zusammen mit dem chinesischen Autobauer BAIC 15 Prozent an den Stuttgartern. Viele Marktforscher gehen davon aus, dass dieses Investment auf eine Sperrminorität von 30 Prozent ausgebaut wird, mindestens. "Die Chinesen brauchen die Traditionsmarken und ihren Zugang zu den westlichen Luxus-Märkten und -Kunden für ihre weltweite Expansionsstrategie", so Faecks. Der Aufbau eigener Luxusmarken würde zu lange dauern.

Noch verständlicher wird das Marken-Monopoly vor dem Hintergrund der nächsten Digitalisierungswelle. Absehbar werden deutsche Hersteller bei neuen Mobilitäts- und Vernetzungsdiensten auf Partner aus der IT-Branche angewiesen sein. Allein schon deshalb, weil selbst VW unter Internet-Riesen wie Alibaba, Google und Tencent wie ein Zwerg wirkt. In der digitalen Welt geht das Zählen erst bei Kundenzahlen im zweistelligen Millionenbereich richtig los. Das könnte auch über den Erfolg beim autonomen Fahren entscheiden. Der Software-Umfang im Auto wird auf bis zu eine Milliarde Code-Zeilen verzehn- bis verhundertfacht. Zum Vergleich: Ein Smartphone bringt es auf knapp zehn Millionen Zeilen. Die extrem komplizierte Entwicklung von Roboterautos wird sich daher nur für einige Anbieter rechnen.

"Nur wenige große Unternehmen werden global dazu in der Lage sein, sämtliche Investitionen in die neuen Technologiefelder allein zu stemmen", prophezeit Faecks. Statt als Vollsortimenter aufzutreten, werden sich viele Marken spezialisieren müssen. Bis zur IAA 2021 werden die deutschen Hersteller beispielsweise Autobahnpiloten auf der Straße haben, die den Menschen hinterm Lenkrad zum (übernahmebereiten) Beifahrer machen. Ob sie auch noch den nächsten, weit schwierigeren Schritt zu fahrerlosen Autos in der Stadt (allein) beherrschen? Und wird die Frankfurter "Zukunftsmesse" dann noch die richtige Plattform für solche bahnbrechenden Innovationen sein?

Die Unternehmensberatung McKinsey erwartet goldene Zeiten für smarte Mobilitätsanbieter. 2030 sollen mehr als 80 Prozent des Profits aus neuen Geschäftsbereichen wie dem autonomen Fahren sowie Mobilitäts- und Vernetzungsdiensten stammen. Den deutschen Herstellern fehlen letztlich die Ressourcen, um diese Transformation allein zu gestalten. Es wird in Zukunft also wesentlich tiefer integrierte Technologiekooperationen geben, bei denen die Blechbieger nicht mehr notwendig die Spielregeln bestimmen.

Wie es gehen kann, zeigt die beinahe gescheiterte Marke Volvo. Ihre Abhängigkeit von China ist heute - unter anderen Vorzeichen - genauso schicksalhaft wie die der deutschen Hersteller. "Die Chinesen haben Volvo nach der Übernahme nicht ausgehöhlt, sondern technologisch gestärkt und eine Erfolgsstory hingelegt, die ihresgleichen sucht", betont Faecks. Wahr ist aber auch, dass die Schwedenmarke die luxuriöse Schauseite des Mehrmarkenkonzerns Geely ist, der eng mit dem chinesischen Staatsapparat verbandelt ist.

Die Angst deutscher Hersteller vor dieser chinesischen Lösung ist groß. Größer als die traditionelle Rivalität untereinander. Schon gibt es Gerüchte, Audi könnte sich auf der Frankfurter Leistungsschau mit BMW und Mercedes beim Autobahnpiloten der nächsten Generation zusammentun. Mehr als ein Etappensieg für "Made in Germany" wäre das nicht.

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