Sie hießen Sonata, XG 350 oder Grandeur - und kaum einer erinnert sich an sie. Es ist nicht so, dass Hyundai in der Vergangenheit nicht versucht hätte, sich in der oberen Mittelklasse zu etablieren. Gelungen ist das - zumindest auf dem deutschen Markt - nie, obwohl die Autos billig und trotzdem gut ausgestattet waren. Zu schwach waren deren Motoren, zu groß der Qualitätsunterschied zu den deutschen Vertretern in diesem Segment und zu bieder Hyundais Image. Die großen koreanischen Limousinen verschwanden geräuschlos vom Markt - zuletzt 2010 der Grandeur.
Seitdem hat sich viel getan bei Hyundai. Die Autos sind besser und die Preise nicht mehr billig, aber noch immer vernünftig. Davon profitiert das Image, der Autodiscounter von einst gilt inzwischen als fast gleichwertige Alternative zu manchem deutschen Hersteller. Auch deshalb hält Hyundai die Zeit für reif, mit dem Genesis den nächsten Versuch in der oberen Mittelklasse zu starten.
Luxuriöser Innenraum
Mit einer Länge von fast fünf Metern trifft der Genesis ziemlich genau die Mitte zwischen dem Segment, in dem sich A6, 5er oder E-Klasse tummeln, und der Oberklasse. Dass die Limousine auch eine Alternative zu A8, 7er oder S-Klasse sein kann, wird direkt nach dem Einsteigen deutlich. Das Raumgefühl ist so opulent wie bei den deutschen Vertretern der Luxusklasse, mit deren Sitzen die weich gepolsterten und auch auf langen Touren sehr bequemen Genesis-Sessel mithalten können. Das Leder und das Echtholz sehen gut aus, fassen sich auch so an und riechen angenehm. Das klar strukturierte Design des Armaturenbrettes hilft, sich auf Anhieb im Innenraum zurechtzufinden.
Das Luxusliner-Gefühl verstärkt sich, je mehr der zahlreichen Funktionen man entdeckt. Alle Sitze lassen sich elektrisch verstellen, beheizen und kühlen - ein echtes Alleinstellungsmerkmal unterhalb der Oberklasse. Ein zentraler und optional per Dreh-Rückstellknopf bedienbarer 9,2-Zoll-Touchscreen fungiert als Kommandozentrale für die Multimediaeinheit, das (leider nicht gerade hochwertig visualisierte) Navi sowie die vielen Bordsysteme und Fahrassistenten. Zu denen gehört auch ein Frischluftgenerator. Droht der Fahrer zu ermüden, weil der CO2-Gehalt der Innenraumluft steigt, strömt automatisch Sauerstoff ins Interieur. Das scheint ganz gut zu funktionieren, denn während der ausgedehnten Testfahrten blieb der Fahrer auch in öder Umgebung immer munter.
Motor mit Licht und Schatten
Dafür mag auch der Antrieb gesorgt haben. Ein 3,8-Liter-V6-Benziner mit 315 PS ist der einzige Motor, der für den Genesis zur Verfügung steht. Das Triebwerk leitet seine Kraft über eine Achtgang-Automatik an alle Räder weiter. Das geschieht meist unaufgeregt und souverän, ohne jedes Drama. Am besten funktioniert die Antriebseinheit, wenn die Besatzung des Flaggschiffs auf der Fernstraße in konstantem Tempo durch die Lande schippert. Die Automatik wechselt die Gänge fast unmerklich, der Motor ist leiser als die dezent im Hintergrund säuselnden Windgeräusche und der variable Allradantrieb liefert auch bei winterlichen Verhältnissen genug Traktion.
VW Passat Variant versus Hyundai i40cw:"Da scheppert nichts!"
Dank Youtube weiß die ganze Welt, dass sogar VW-Konzernchef Martin Winterkorn der Qualitätssprung von Hyundai aufgefallen ist. Der Kombi i40 cw ist Stellvertreter dieser neuen Generation. Kann er auch dem Platzhirsch Passat Variant gefährlich werden?
Starkes Beschleunigen mag der Genesis dagegen nicht. Es geht zwar flott voran, bei Bedarf in 6,8 Sekunden von Null auf Hundert und auf ein abgeregeltes Höchsttempo von 240 km/h. Aber fordert der Fahrer den V6-Motor, reagiert er mürrisch, wird laut und brummig. Und wird zum Trinker, der im Schnitt über 13 Liter Sprit verbraucht. Offiziell sollen es 11,6 Liter sein, was selbst in dieser Leistungsklasse inzwischen unzeitgemäß ist. Denn bei gemütlicher Gangart lassen sich die meisten Konkurrenten unter die Zehn-Liter-Marke drücken. Beim großen Hyundai hat man in dieser Hinsicht keine Chance.
Das liegt auch am Gewicht des Genesis. Mindestens 2150 Kilogramm wiegt der Autokoloss, und die hindern ihn nicht nur an guten Verbrauchswerten, sondern limitieren auch seine Fahrdynamik. In Kurven will die Masse lieber geradeaus fahren, und weder die immerhin einigermaßen exakte Lenkung noch das Fahrwerk sind bei flotter Gangart dazu in der Lage, der Physik ihren Willen aufzuzwingen. Also untersteuert der Genesis fleißig vor sich hin - und zwar unabhängig davon, ob die elektronische Fahrwerksregelung im Normal-, Eco- oder Sportmodus arbeitet. Zwischen den drei Abstimmungen lässt sich kaum ein Unterschied feststellen.
Es dauert nicht lange, bis der Genesis seinen Fahrer zu einer gemütlicheren Herangehensweise erzogen hat. Die beherrscht er viel besser als aggressives Surfen durch Kurven. Sobald der große Hyundai sanft gleiten darf, verwöhnt er mit tollem Federungskomfort und einer angenehmen Geräuschkulisse. So lässt sich entspannt auf die Umgebung blicken, von der die Insassen im Genesis weitgehend akustisch abgeschottet sind - ein weiteres Oberklassemerkmal.
Assistenten en masse
Ein logischer nächster Schritt wäre, einen Autopiloten einzubauen. Ganz so weit ist der Hyundai Genesis noch nicht, aber mit seinen vielen elektronischen Fahrhilfen nicht mehr weit davon entfernt. Er überwacht den toten Winkel, schaltet selbständig das Fernlicht ein und aus, lenkt ohne Zutun des Fahrers in Parklücken, hält die Spur und den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, was vor allem im Stop-and-Go-Verkehr ein echter Komfortgewinn ist.
Wenn nötig, bremst er sowohl im Kolonnenverkehr als auch in Notsituationen eigenständig bis zum Stillstand ab. Zahlreiche Kameras überwachen die Umgebung des Autos, was angesichts der Größe und der geringen Übersichtlichkeit sehr hilfreich ist. Allerdings verdreckt die wichtigste Kamera, die den Bereich hinter dem Heck filmt, bei schlechtem Wetter sehr schnell und ist so bei Regen oder Schnee keine große Hilfe.
Ein Technologie- und Imageträger
Die allerletzte Liebe zum Detail fehlt dem Hyundai Genesis also. Doch davon abgesehen steckt in ihm alles, wozu Hyundai derzeit in der Lage ist. Und das ist eine ganze Menge. Er verfügt über Technologien, die irgendwann in kleineren Hyundai-Modellen zum Einsatz kommen werden - und zeigt, dass sie wunderbar funktionieren. Er ist ein Demonstrationsfahrzeug, das beim Publikum "Das-hätte-ich-ihnen-nicht-zugetraut"-Momente hervorrufen soll. Vielleicht wagt ja sogar manch ein Hyundai-Fahrer den Aufstieg in den 65 000 Euro teuren und voll ausgestatteten Genesis.
Die Koreaner kennen das geringe Absatzpotenzial und rechnen in Deutschland lediglich mit Verkaufszahlen im niedrigen dreistelligen Bereich. Eine Karriere als Ladenhüter ist also vorgezeichnet - wie einst beim Sonata, XG oder Grandeur. Doch anders als seine Vorgänger wird der Genesis nicht in Vergessenheit geraten - denn dafür ist er tatsächlich viel zu gut.
Technische Daten Hyundai Genesis 3.8 V6 GDI:
V6-Benzinmotor mit 3,8 Litern Hubraum; Leistung 232 kW (315 PS); max. Drehmoment: 397 Nm bei 5000/min; Leergewicht: 2150 kg; Kofferraum: 493 l; 0 - 100 km/h: 6,8 s; Vmax: 240 km/h; Testverbrauch: 13,1 l / 100 km (lt. Werk: 11,6; CO2-Ausstoß: 270 g/km); Euro 5; Grundpreis: 65 000 Euro
Das Testfahrzeug wurde vom Hersteller zur Verfügung gestellt.