Süddeutsche Zeitung

Hubschrauberabsturz:Kontrollierte Katastrophe

Europaweit arbeiten Experten an neuen Sicherheitssystemen, die Piloten und Passagiere bei Hubschrauberabstürzen besser schützen sollen.

Klaus C. Koch

Die Situation war dramatisch: Während eines Fluges zum Kalken von Waldflächen setzte plötzlich der Hauptantrieb des Hubschraubers vom Typ Hughes 369 D aus. Sekunden später schlug der Helikopter samt Kalkbehälter, der noch unter der Maschine hing, auf einer Wiese auf - der Heckausleger brach ab, die Kufen knickten ein, der Pilot konnte sich unverletzt retten. Unfallursache war Spritmangel; die Warnleuchte der Tankanzeige war ausgefallen.

Ob der Zusammenstoß eines Eurocopters mit einer Verkehrsampel bei einem Rettungseinsatz in Dresden, der Absturz eines Flugschülers auf eine Betonpiste oder die Baumberührung nach dem Absetzen eines Feuerlöschteams im Wald - Abstürze von Hubschraubern sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Obwohl Helikopter statistisch genauso sicher sind wie andere Fluggeräte, erhöht der Umstand, dass die Maschinen meist in Extremsituationen wie Berg- oder Seenotrettung sowie im Polizeieinsatz unterwegs sind, das Unfallrisiko deutlich.

Trotzdem enden Hubschrauberunfälle meist weniger dramatisch, als es der an wilde Filmstunts gewöhnte Laie annimmt. Denn selbst bei einem Totalausfall des Triebwerks fällt die Maschine nicht zwangsläufig wie ein Stein zu Boden - durch die Luftströmung drehen sich die Rotorblätter in einer sogenannten Autorotation weiter; eine Freilauf-Automatik entkoppelt den Antrieb, damit ein defekter Motor die Rotorblätter nicht bremst. Dadurch wird eine kontrollierte Notlandung möglich.

Die Frage ist, wie gut die Insassen geschützt sind. Im Gegensatz zum umfassenden Schutz in Autos verfügt die Mehrzahl der zivil genutzten Fluggeräte zwar über Gurte zum Anschnallen, sonst aber kaum über zusätzliche Rückhaltesysteme oder gar Airbags. Das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) arbeitet deshalb bereits seit 2004 gemeinsam mit Experten aus Großbritannien, den Niederlanden, Italien und Partnern aus der Industrie an einem ehrgeizigen EU-Programm: Bis zum Jahr 2016 soll durch ein sogenanntes International Helicopter Safety Team die Unfallrate um 80 Prozent gesenkt werden und ein Projekt namens HeliSafe dient dazu, die Sicherheit der Insassen zu verbessern.

Eine der Schwierigkeiten bestand darin, Hubschrauber für die notwendigen Crashtests zu finden. Schrottreife Autos sind überall zu haben, aber: "Wer gibt uns einen intakten Helikopter, um ihn hinterher in Trümmern zu sehen", meint Marius Lützenburger, Projektingenieur am DLR-Institut für Bauweisen und Konstruktionsforschung in Stuttgart. Die Lösung waren schließlich ausgemusterte Militärmaschinen. Dennoch wurden zusätzliche Investitionen notwendig. Zur Messung von vertikalen Beschleunigungskräften, die die Wirbelsäule schädigen können, mussten beispielsweise Dummys, die normalerweise für Auto-Crashtests herhalten, für rund 80.000 Euro pro Stück nachgerüstet werden.

Im Centro Italiano Ricerche Aerospaziali (CIRA) mit Sitz im italienischen Capua rasen die Helikopter vom Typ Bell UH 1D nun in einem schrägen Portalkran zu Boden. Kurz vor dem Aufprall wird das Fluggerät ausgeklinkt und schlägt mit 54 km/h auf. In der Zeitlupe zu sehen: Erst brechen die Kufen, dann bersten die Cockpitscheiben, die Dummies werden durchgeschüttelt. Die DLR-Forscher ermitteln aus den Sensordaten Eckwerte für Tests, die mit Beschleunigungsschlitten am Boden fortgeführt werden. So lassen sich die im Ernstfall nötigen Rückhaltekräfte oder der optimale Zündzeitpunkt für Airbags ermitteln.

Gute Sitze, das steht nach den Tests fest, federn durch Führungsschienen mit Knautschzone auch hartes Aufsetzen gut ab. Aber: Statistisch gesehen, so DLR-Vize Christof Kindervater, halte die Wirbelsäule nicht mehr als eine Belastung von 6,67 Kilonewton aus - dies entspricht etwa dem Zehnfachen des Körpergewichts. Inzwischen konnte mit einem Cockpitairbag, dreimal so groß wie im Auto, und einem Kreuzgurtsystem das Verletzungsrisiko des Piloten um 22 Prozent, das der Passagiere um 13 bis 20 Prozent gesenkt werden.

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SZ vom 16.3.2009/gf
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