Honda Civic Type R im Test:Ein Krawallauto, das es auch sanft kann

Missglücktes Billigtuning? Nein, der Honda Civic Type R sieht ab Werk fragwürdig aus. Doch wer ihm eine Chance gibt, entdeckt nicht nur seine überragende Fahrdynamik, sondern auch praktische Qualitäten.

Von Thomas Harloff

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Quelle: Honda Motor Corp.

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Es heißt, der erste Eindruck sei der entscheidende. Und den formt, das ist bei Menschen nicht anders als bei Autos, in erster Linie das Aussehen. Demnach müsste der Honda Civic Type R ein ganz wilder Typ sein. Ein Halbstarker, der in den Mittelpunkt drängt, sich nicht zu benehmen weiß. Zumindest suggerieren das viele Designelemente, etwa die Kotflügelverbreiterungen, die drei mittig positionierten Auspuffrohre und, natürlich, der monströs dimensionierte Heckflügel. Das erste Urteil, nein, Vorurteil, ist schnell gefällt: So ein Auto, das nach nicht ganz geschmackssicherem Billigtuning aussieht, passt nicht mehr in die Zeit. Einige Menschen würden den Japaner sogar als Prollkiste schmähen.

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Sie würden der Sportversion des braven Honda Civic mit dieser Einschätzung furchtbar Unrecht tun. Der so extrovertiert anmutende Type R entpuppt sich gar als eher schüchternes Autos, das einige seiner vielen Qualitäten erst nach Aufforderung präsentiert. Das fängt mit dem ersten Druck auf jenen Knopf an, der den Motor startet. Man erwartet einen wild losfauchenden Vierzylinder-Turbo, ein akustisches Auf-die-Brust-trommeln. Tatsächlich klingt das 320-PS-Triebwerk verhalten, nicht lauter als die meisten Ottomotoren der 100-PS-plus-x-Klasse. Etwas dumpfer vielleicht, aber keineswegs laut oder gar peinlich. Nein, der Civic Type R ist in dieser Hinsicht absolut kompatibel mit familiär geprägten Eigenheimsiedlungen in der Vorstadt.

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Auch im Stadtverkehr zeigt der Honda gute Umgangsformen. Kompaktsportler dieses Kalibers ärgern auf diesem Terrain gerne mit bockigen Kupplungen, hohen Bedienkräften und ausgeprägter Zappeligkeit. Der Civic strahlt Ruhe aus, ist überhaupt nicht nervös, mahnt mit seinen Schalthinweisen dazu, früh einen höheren Gang einzulegen und damit entspannter und spritsparender zu fahren. 45 km/h im fünften oder 60 km/h im sechsten Gang funktionieren tatsächlich problemlos. Gleiches gilt für die Assistenzsysteme: Die (aufpreispflichtige) Totwinkelüberwachung oder der Warner vor Auffahrunfällen piepsen zwar etwas zu oft, tun aber zuverlässig das, wofür sie eingebaut wurden. Auch die Verkehrszeichenerkennung und der Tempomat mit Abstandsradar überzeugen, genau wie der Spurhalteassistent mit Lenkeingriff: Er hält den Honda geradeaus und in leichten Kurven souverän mittig in der Fahrbahn, bis er den Fahrer nach einigen Sekunden mahnt, die Hände wieder ans Lenkrad zu nehmen.

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Trotzdem schnell raus aus der Stadt, rauf auf die Landstraße. Bei aller Entspanntheit sind kurvenreiche Asphaltbänder das Terrain, für das der Type R gebaut wird. Hier gewinnt man einen - wenn auch ziemlich oberflächlichen - Eindruck der begeisternden Fahrdynamik dieses Kompaktsportlers. Bereits im Komfortmodus lenkt dieses Auto exakt ein und haftet selbst dann fest an der gewählten Ideallinie, wenn der Fahrer in der Kurve das Tempo erhöht. Untersteuern, also ärgerliches Schieben der Vorderräder zum Kurvenaußenrand, eine normale Reaktion vieler frontgetriebenen Autos bei solchen Spielchen, ist dem Type R völlig fremd. Im Gegenteil: In der Sporteinstellung ist er noch exakter, noch direkter, bietet mit seiner Lenkung, die ihre Übersetzung in Kurven variabel anpasst, jederzeit die Möglichkeit, die Linie zu korrigieren und das Auto regelrecht in die Kurve hineinzuziehen. Dass man damit auf öffentlichen Straßen nur allzu leicht in illegale Tempobereiche gerät, ist dabei der einzige Fehler im System. Der Civic Type R ist schlicht zu gut für die StVO. Wer sein fahrdynamisches Limit ausloten möchte, muss dies auf der Rennstrecke tun. Am besten im R-Modus, der für nicht immer topfebene Landstraßen dann doch zu hart und nervös ist, aber das fahrdynamische Können dieses Geschosses vollends zur Schau stellt.

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Quelle: Honda Motor Corp.

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Die Sportabstimmung, die sich einen Großteil ihres Federungskomforts bewahrt, passt bei flotten Fahrten ins Grüne also am besten. Auch weil der Antrieb in diesem Fahrmodus seine Kraft nachhaltig, aber ohne großes Drama, bereitstellt. Während mancher hochgezüchtete Vierzylinder mit Aufladung im Turboloch erst gar nichts und darüber hinaus alles anbieten, entfaltet der Zweiliter-Benziner des Type R seine Kraft früh und sehr homogen. Bereits im niedertourigen Bereich ist davon genug vorhanden, und ab 2500 Umdrehungen geht es derart vehement voran, dass der Digitaltacho kaum mit dem Zählen hinterherkommt. Ein wenig Sensibilität im Gasfuß gehört freilich dazu, sonst zerren die Vorderräder an der Lenkung. Es ist der einzige Punkt, in dem sich ein konzeptbedingter Nachteil zeigt: Während ein moderner Allradler die Antriebskraft variabel zwischen allen Rädern verteilen kann, müssen beim Type R die vorderen Reifen sowohl die Motor- als auch die Lenkkräfte übertragen. Die mechanische Differenzialsperre gibt zwar alles, damit die maximal 400 Newtonmeter auch wirklich auf den Asphalt wirken, und fast immer gelingt ihr das auch. Es ist aber immer mal wieder zu spüren, dass das System hart arbeiten muss, um diese Aufgabe zu erfüllen.

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Bei den meisten Autos eher ein Randaspekt, hat sich das Getriebe hier ein eigenes Kapitel verdient. Der kurze, perfekt erreichbare Schalt-Joystick ist genau das: Ein Spaßstab, der etwas Kraftaufwand erfordert, aber sehr genau geführt durch die ultrakurzen Gassen tanzt. Dass die Fahrzeugelektronik beim Herunterschalten mit einem kurzen Zwischengasstoß die Drehzahl angleicht, macht diese manuelle Sechs-Gang-Box endgültig zu einem Traum von einem Getriebe! Es ist nur konsequent, dass Honda keine Automatik für den Type R anbietet. Man vermisst sie nicht.

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Fahrerisch weiß der Honda also in allen Belangen zu überzeugen. Und es kommt ein gewichtiges Argument noch hinzu: Der Type R ist absolut praxis- und familientauglich. Im Normalzustand gehört der Civic zu den Kompaktautos mit den geräumigsten Innenräumen - eine Qualität, die sich das Topmodell trotz stämmig aussehender und Seitenhalt-optimierter Schalensitze bewahrt. Im Fond stimmen sowohl die Knie- als auch die Kopffreiheit. Der Kofferraum fasst 420 Liter und damit 40 mehr als der VW Golf. Zwar ist die Materialgüte nicht bis ins Detail perfekt, wie zum Beispiel die billigen Lenkradtasten zeigen. Auch der mittig im Armaturenbrett platzierte Sieben-Zoll-Touchscreen könnte eine entschlackte Menüstruktur, etwas größere Tastfelder und eine schönere Grafik vertragen. Vor allem könnte das langsame, immer wieder verwirrte Navigationssystem besser sein. Aber diese Probleme teilt der Civic mit vielen asiatischen Autos, und es schmälert den guten Gesamteindruck nicht wesentlich.

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36 050 Euro kostet der schon in der Basis reichhaltig ausgestattete Honda Civic Type R, die 38 950 Euro teure GT-Version kommt gar mit Vollausstattung. Viel Geld für einen Kompaktwagen, aber ziemlich günstig für einen Sportwagen. Wie günstig, zeigt ein Blick auf die mehr als 300 PS starke, jedoch mehrheitlich vierradgetriebene Konkurrenz. Der ebenfalls üppig bestückte Ford Focus RS kostet mindestens 40 675 Euro - genau der Preis des bei der Ausstattung knausernden VW Golf R. Der Audi S3 Sportback, der BMW M140i mit Hinterradantrieb und der Mercedes-AMG A 45 rücken deutlich näher an die 50 000-Euro-Marke oder klettern sogar darüber. Dass die Versicherungs- und Spritkosten - der Testverbrauch beträgt zehn Liter auf 100 Kilometer - sich vom Schnitt der Kompaktklasse entfernen, dürfte keine große Überraschung sein. Aber auch das bleibt im Rahmen. Und so ist das einzig echte Manko des Honda Civic Type R, natürlich, die Krawalloptik.

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Quelle: Honda Motor Corp.

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Wer die trotzdem gut findet und den Mix aus Praxisnutzen und purer Fahrfreude sucht, wird mit dem Civic Type R sowieso glücklich. Wer sich angewidert abwendet, braucht nicht lange zu überlegen, um sich gegen ihn zu entscheiden. Alle anderen sollten dem Honda eine Chance geben und ihn genauer kennenlernen. Es lohnt sich, und er hat es verdient.

Technische Daten Honda Civic Type R:

R4-Benzinmotor mit 2,0 Litern Hubraum und Turboaufladung; Leistung 235 kW (320 PS); max. Drehmoment: 400 Nm bei 2500 - 4500/min; Leergewicht: 1380 - 1420 kg; Kofferraum: 420 - 1209 l; 0 - 100 km/h: 5,8 s; Vmax: 272 km/h; Testverbrauch: 10,0 l / 100 km (lt. Werk: 7,7; CO₂-Ausstoß: 176 g/km); Euro 6; Grundpreis: 36 050 Euro

© SZ.de/harl/mike
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