Hochgeschwindigkeitszüge:Auftrieb unerwünscht

DLR und Bombardier versuchen gemeinsam, aerodynamische Probleme bei Schnellzügen in den Griff zu bekommen - ohne Spoiler wächst das Risiko, aus dem Gleis zu fliegen.

Klaus C. Koch

Aus dem Rennwagenbau ist bekannt, dass aerodynamische Hilfen, vulgo: Spoiler, für bessere Bodenhaftung sorgen. Auch bei künftigen Schnellzügen könnten die Bauteile schon bald dafür sorgen, dass die Züge bei hohem Tempo nicht aus dem Gleis fliegen.

Hochgeschwindigkeitszug von Bombardier

Abtrieb nötig: Modell eines Hochgeschwindigkeitszugs von Bombardier

(Foto: Foto: oh)

Allerdings werden die Stummelflügel vermutlich nicht am Heck angebracht, sondern nur auf der Seite und an der Spitze des Zuges. Noch ist nicht raus, wie die Strömungselemente letztendlich aussehen werden. Aber die teilweise nur handtellergroßen und allenfalls einen halben Meter langen Bauteile sind ja nicht dazu gedacht, Triebkopf und Reisewaggons schnittiger aussehen zu lassen. Ihr einziger Sinn ist es, mehr Stabilität zu verleihen.

Inzwischen sind neun Institute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), mit Fahrzeugbau und Verkehrstechnik befasst, daran beteiligt, durch Anleihen bei der Flugzeugtechnik den Boden für Durchschnittsgeschwindigkeiten zwischen 300 km/h und 400 km/h zu bereiten. Dazu wurde mit dem Schienenfahrzeughersteller Bombardier dieser Tage ein Kooperationsvertrag unterzeichnet.

Mit herkömmlicher Schienenverkehrstechnik sind die Ingenieure mittlerweile an physikalische Grenzen gestoßen, wie Sigfried Loose vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen erläutert. Zwar liegen die Rekorde auf dem Gleis heute bei weit über 500 km/h, in Frankreich jagte ein speziell ausgerüsteter TGV von Alstom sogar schon mit 574,8 km/h dahin.

Zugspitzen heben sich bei hohem Tempo aus der Schiene

"Aber diese Züge", so Bombardier-Chefentwickler Tjark Siefkes, "wurden von Lokomotiven gezogen." Weil die Loks durch ihr Eigengewicht den Zug auf dem Gleis halten, gibt es in Frankreich auch schon seit den neunziger Jahren den TGV Duplex mit Doppelstockwagen, der etwa auf der Strecke Paris-Marseille/Montpellier bis zu 320 km/h schnell fährt.

Obwohl inzwischen große Anstrengungen unternommen wurden, Gewicht einzusparen, sind die Zugkombinationen immer noch relativ schwer und verbrauchen entsprechend viel Energie. Wird der Antrieb - wie beim ICE3 - durch Unterflurmotoren auf die gesamte Länge des Zuges verteilt, wird der Zug leichter. Er beschleunigt schneller und verbraucht weniger Energie.

Gleichzeitig jedoch wird er auch anfälliger für Seitenwind, wie DLR-Forscher bei einem seit einiger Zeit laufenden Projekt namens "Next Generation Train" festgestellt haben. Versuche im Windkanal ergaben, dass die Zugspitze bei hohen Geschwindigkeiten dazu tendiert, sich aus der Schiene zu heben. Zusätzliche Gewichte, Spoiler und andere strömungstechnische Elemente, sagt Loose, sollen den Auftrieb kompensieren.

Die Kräfte, die bei hohem Tempo an den Zügen zerren, sind nicht zu unterschätzen. Begegnen sich zwei Superschnellzüge mit jeweils Tempo 400, beträgt die Differenzgeschwindigkeit bereits 800 km/h. Die Schienenkolosse schieben Luftmassen vor sich her, die im Moment der Begegnung enorme Druckunterschiede aufbauen. Zudem wechseln sich in den deutschen Mittelgebirgen, exemplarisch an der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Frankfurt und Köln gut zu erkennen, Tunnelröhren rasant mit Brückenabschnitten ab, auf denen extremer Seitenwind herrscht.

Erkenntnisse aus dem Flugzeugbau für den Schienenverkehr

Besonders wichtig sind die Versuche im Windkanal, wenn es um Doppelstockwagen geht, die ebenfalls auf höhere Geschwindigkeit ausgelegt werden sollen. Unter ungünstigen Umständen, sagt Andreas Dillmann, Leiter des DLR-Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen, könnte hier ein Triebkopf schon bei Tempo 300 und starkem Seitenwind kippen.

Am DLR-Standort in Göttingen haben Neugierige schon mal Gelegenheit, an einem Drehtisch im Windkanal aerodynamische Effekte zu studieren, die an Zügen durch Seitenwinde bei Geschwindigkeiten bis zu 400 km/h auftreten. Die Werte werden im Modellbaumaßstab ermittelt und anschließend auf reale Größe hochgerechnet - skaliert, wie die Forscher sagen.

Über einen Drehschalter lassen sich verschiedene Konstruktionsmerkmale anwählen und sogar Wettrennen gegen den Zefiro-Hochgeschwindigkeitszug fahren, den Bombardier ab Ende 2012 nach China ausliefern will. Da die Zuggeschwindigkeiten mittlerweile oft höher seien, als die Landegeschwindigkeit von Düsenjets, sagt Loose, sei es nur folgerichtig, Erkenntnisse aus ursprünglich für Flugzeuge gebauten Versuchseinrichtungen auf den Schienenverkehr zu übertragen.

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