Süddeutsche Zeitung

Hochautomatisierter Lkw im Testbetrieb:"Der macht das ganz fein"

  • Auf der A8 bei Stuttgart hat Daimler heute den ersten autonom fahrenden Serien-Lkw auf öffentlichen Straßen in den Testbetrieb genommen.
  • Neben Daimler-Truck-Chef Wolfgang Bernhard war Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann dabei.
  • Der hochautomatisierte Mercedes Actros darf nun bundesweit mit einer Geschwindigkeit von bis zu 80 km/h auf Autobahnen teil-autonom fahren.

Von Max Hägler

Panini gibt es an der Raststätte Denkendorf, außerdem Kaffee, Cola und natürlich ein Klo. Draußen braust der Verkehr der A8, die Stuttgart und München verbindet. Autobahnalltag ist das hier, auf den Filderhöhen, ein paar Kilometer westlich vom Stuttgarter Kessel. Ein ungewöhnlicher, weil so beliebiger Ort für eine Premiere.

Aber letztlich ist wohl doch mit Bedacht gewählt vom Autokonzern Daimler, genau hier seinen weltweit ersten Roboter-Serienlastwagen losfahren zu lassen: Denn dieser, mit besonderer Technik getunte Truck der Modellreihe Mercedes Actros soll sich ja gerade nicht mehr nur auf Testrondellen bewegen - sondern genau hier, im so langweiligen wie anspruchsvollen Straßenalltag in Baden-Württemberg. Technik auf die Straße bringen, zur Serienreife, so nennen das die Automenschen. Also: Abfahrt Raststätte Denkendorf.

Der autonom fahrende Lastwagen ist als Versuchsfahrzeug zugelassen, hat eine Prüfung durch den TÜV durchlaufen und eine Ausnahmegenehmigung bekommen durch das Land Baden-Württemberg. Mit dieser Genehmigung darf so ein Truck nun bundesweit mit einer Geschwindigkeit von bis zu 80 km/h auf Autobahnen teil-autonom fahren. "Von dieser Möglichkeit, unseren Highway Pilot im realen Verkehrsgeschehen zu erproben, werden wir ausgiebig Gebrauch machen", sagte Daimler-Truck-Chef Wolfgang Bernhard.

Der Fahrer behält die Hoheit

Aber wie auch bei selbstfahrenden Pkw muss sicherheitshalber immer noch ein Fahrer auf dem Sitz Platz nehmen. Etwa dann, wenn das Wetter so schlecht ist, dass der Computer nicht mehr erkennen kann, wo der Weg entlang führt. Oder bei kniffligen Baustellenfahrten. Deshalb der Begriff "teil-autonom": In diesen Situationen übergibt der "Highway Pilot", wie sie bei Daimler den Roboter nennen, an den Menschen. Reagiert der Fahrer nicht auf die entsprechenden akustischen und optischen Signale, bringt sich der Truck selbstständig zum Stehen. Er bremst dann langsam ab und schaltet dabei die Warnblinkanlage ein. Vergleichbar mit einem Autopiloten sei das, wie er in Flugzeugen üblich ist.

An diesem Freitag ist der oberste Daimler-Truckmanager selbst der Mensch am Steuer: Jetzt zahlt sich aus, dass Wirtschaftsingenieur Bernhard, passend zu seinem Job, passend zu dieser Premiere, auch einen Lkw-Führerschein gemacht hat. Wenn er auf den blauen Knopf am Lenkrad drückt, dann fährt der Lastwagen selbst, "anfangs ungewohnt", gesteht Bernhard, aber: "Der macht das ganz, ganz fein."

Das Lenkrad bewegt sich - trotz verschränkter Arme

Bei so viel intelligenter Technik scheint sich bereits so etwas wie Zuneigung zu entwickeln zu den Fahrzeugen - und Vertrauen: Bernhard verschränkt die Arme, das Lenkrad bewegt sich selbstständig. Auf dem Beifahrersitz des schwarz lackierten 430-PS-Lastwagens: Winfried Kretschmann, Ministerpräsident im Autoland, aber auch: ein Grüner. "Find' ich ja toll, dass sie da selber fahren", lobt der Politiker. Er stehe "voll hinter" diesen Entwicklungen.

Es gibt Leute in der Branche, wie auch in der Partei, die das ungewohnt finden. Die sagen: Das passt doch nicht, ein Grüner und Straßenverkehr. Was natürlich in der Überhöhung immer schon Humbug war, alle wollen ja herumfahren.

Die gemeinsame Fahrt zeigt indes zeigt, was in der Branche geredet wird: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt unterstützt bei diesen neuen Fahrzeug-Technologien vor allem die bayerische Heimat, etwa indem er ein Stück der A9 für Testfahrten für Roboterfahrzeuge freigegeben hat. Die beiden anderen Hochburgen der Fahrzeug-Industrie, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit ihren Herstellern und Zulieferern, ließ der CSU-Politiker bislang eher links liegen. So wird eine Hightech-Premiere auch ein wenig zum Politikum.

Und Kretschmann, der im Landtags-Wahlkampf steckt, lässt sich diese Gelegenheit natürlich nicht entgehen, um zu zeigen, dass er auch als Grüner gut kann mit der wichtigsten Industrie Deutschlands, die in Baden-Württemberg nochmals einen höheren Stellenwert hat. "Für die heutige ,Jungfernfahrt' kann es wohl keinen besseren Ort geben als diesen Teil der Autobahn", sagt Kretschmann. "Nicht nur, weil Baden-Württemberg das Geburtsland des Automobils ist - sondern auch, weil Daimler nur einen Steinwurf von hier entfernt Autos entwickelt und produziert, die weltweit Maßstäbe setzen".

Daimler habe weiterhin "Pioniergeist", so wie der Gründer. Die Gesellschaft gehe damit einen wichtigen Schritt in Richtung einer intelligenteren und vor allem effizienteren Nutzung der vorhandenen Infrastruktur. Der Verkehrsfluss würde sich verbessern, Staus vermieden, Fahrerinnen und Fahrer entlastet - wie langweilig ist das monotone Hinterherfahren in der Kolonne, und damit auch anstrengend. Zudem erhöhe sich mithilfe der Roboter die Verkehrssicherheit.

Großer Schritt für Roboter-Fahrzeuge

Und nachdem Dobrindt sich vor allem für Bayern interessiert, plant Baden-Württemberg nun ein eigenes "Testfeld" für autonomes und teilautonomes Fahren: und zwar nicht nur auf Autobahnen und Bundesstraßen, sondern auch innerorts. Industriemanager Bernhard retourniert daraufhin ebenso freundlich: "Mein Dank gilt der Landesregierung Baden-Württemberg, die uns bei diesem Vorhaben sehr unterstützt hat." Für die Entwicklung dieser Technologie bis zur Marktreife sei die sichere Erprobung im echten Verkehrsgeschehen ganz entscheidend. Das könne Daimler jetzt angehen. Ein großer Schritt für Roboter-Fahrzeuge ist dieser Tag. Und ein großer, weiterer Schritt bei der Annäherung der vermeintlich technologiefeindlichen Grünen und der Industrie.

Bereits vor gut einem Jahr hatte Daimler in Magdeburg einen Roboter-Lastwagen vorgestellt, "Future Truck 2025" genannt. Im Mai dieses Jahres fuhr dann in Nevada, USA, der "Freightliner Inspiration Truck", ebenfalls aus dem Hause Daimler, seine ersten Runden. Doch das waren Konzeptfahrzeuge. An diesem Tag, an dieser Raststätte, fährt nun erstmals ein Serien-Lkw offiziell los. Wenn auch erst einmal im Testbetrieb und mit einigen Extras an Bord, einer Stereokamera etwa, einem Abstandsradar und Technik, wie man sie etwa schon aus der Mercedes-S-Klasse kennt.

"Wir müssen uns beeilen!"

Damit die Highway-Pilot-Technologie in den nächsten Jahren auf den Markt kommen könne, müsste die Politik vor allem die Gesetze anpassen, sagt Bernhard, und hat damit abermals Bundesverkehrsminister Dobrindt im Blick. Das Ministerium müsse "tätig werden" werden, sagt er da: Bei der Übertragung der neugefassten Wiener Konvention in deutsches Recht, bei der schnelleren Zertifizierung autonomer Serien-Lkw. Auch in der EU und auf internationaler Ebene müssen noch die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.

Und Kretschmann? Der grüne Politiker drückt an diesem Tag auch auf das Tempo: Die Politik müsse mithelfen, Ängste in der Bevölkerung zu nehmen, müsse sich an Diskussionen zu kritischen Fragen beteiligen, etwa wer welche Verantwortung bei Unfällen hat. Da gelte für die Politik: "Wir müssen uns beeilen!"

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