Helmpflicht:Lieber oben ohne

Radfahrer mit Helm

Helme können Verletzungen verhindern. Trotzdem raten Experten von einer Helmpflicht ab.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Andere Länder haben Radfahrern längst vorgeschrieben, wie sie sich zu schützen haben. Warum geht das in Deutschland nicht?

Von Felix Reek

Eigentlich ist so ein Fahrradhelm ein schnödes Stück Kunststoff. Ein paar Gurte zum Festziehen, eine Schale aus Hartschaumstoff, eine grellbunte Plastikschale. Sein Nutzen ist klar: Er schützt gegen Verletzungen am Kopf. Doch wenn es darum geht, ob genau dieser Helm Pflicht für alle Radler sein sollte, ist ein ganzer Schutzanzug nötig, um sich gegen Anfeindungen wehren zu können. Der Helm sei unpraktisch. Er zerstört die Frisur. Er macht das Radfahren als Verkehrsmittel unattraktiv. Er verleitet Radler zu aggressiverem Fahren, weil sie sich sicherer fühlen. Ganz schön viele Einwände gegen ein Stück Kunststoff.

Dabei ist die Wirkung eines Helmes unbestritten. Eine der häufigsten Verletzungen von Radfahrern im Straßenverkehr sind Schädel-Hirn-Traumata. Deren Folgen kann ein Helm mindern. Seit 1980 wurden dazu immer wieder Studien in Auftrag gegeben. Zwar variieren sie in ihren Ergebnissen, doch Übereinstimmung besteht darin, dass das Verletzungsrisiko um 50 bis 70 Prozent sinkt. Ebenso unstrittig ist: Je schwerer das Schädel-Hirn-Trauma, umso mehr hätte ein Helm die Verletzung verringern können. Hinzu kommt: Seit Jahren steigt die Zahl von verunglückten Radfahrern. Das liegt zum einen daran, dass immer mehr Menschen das Fahrrad als Fortbewegungsmittel nutzen und es nicht mehr nur in der Freizeit verwenden. Zum anderen gibt es immer mehr Pedelecs auf deutschen Straßen, die oft wesentlich schneller unterwegs sind als ein Fahrrad ohne Elektromotor. Helm tragen wollen trotzdem die wenigsten Fahrer.

Eltern zwingen ihre Kinder, einen Helm aufzusetzen. Und verzichten selbst darauf

Denn laut Statistik gibt es nur eine Bevölkerungsgruppe, die fast immer einen Helm trägt: Kinder zwischen sechs und zehn Jahren. 76 Prozent von ihnen schützen sich damit vor Stürzen. Beziehungsweise ihre Eltern zwingen sie vermutlich dazu. Das heißt also: Den Erwachsenen ist durchaus bewusst, dass ein Helm sinnvoll ist, sonst würden sie ihn nicht ihren Kindern aufsetzen. Selbst wollen sie ihn allerdings nicht tragen. Die Helmquote bei Erwachsenen pendelt zwischen sieben und 21 Prozent, je nach Altersgruppe. Vor allem Senioren setzen einen Helm auf. Viele Menschen verzichten allerdings auf den Schutz, weil schwere Unfälle mit dem Fahrrad generell eher selten sind. "Die positive Wirkung eines Helmes ist deswegen nicht spürbar", sagt Mark Vollrath von der TU Braunschweig. "Aber natürlich kann man so schwere Kopfverletzungen vermeiden", so der Verkehrspsychologe. Die Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis könnte also sein: Wer sich nicht selbst schützen will, den muss man dazu zwingen.

Blickt man auf andere Länder, die eine Fahrradhelmpflicht eingeführt haben, scheint sich das zu bestätigen. In Australien stieg die Quote von Radlern mit Helm nach der Einführung 1991 innerhalb von nur zwei Jahren von 25 Prozent auf 85 Prozent. Eine Beobachtung, die sich in allen Ländern machen ließ. Und: Sie blieb dort hoch, wo das Nichtbeachten der Helmpflicht mit Bußgeldern sanktioniert wird.

Aber ist Zwang der richtige Weg? Auf unbeliebte Anordnungen im Straßenverkehr reagieren die Deutschen bekanntermaßen empfindlich. Wer ein generelles Tempolimit auf Autobahnen fordert, erntet schnell massives Unverständnis. Das gleiche gilt für die Helmpflicht. Im Internet finden sich seitenlange hitzige Diskussionen zu diesem Thema. Das könnte auch erklären, warum es kaum eine Institution wagt, ein entsprechendes Gesetz zu fordern: der ADAC, die Polizei, sie alle "empfehlen" nur, einen Helm zu tragen. Ein Gesetz sei der falsche Weg, so die einhellige Meinung. Dieser Ansicht ist auch Verkehrspsychologe Wolfgang Fastenmeier: "Jede Regelung gesetzlicher Natur ist auch eine Freiheitseinschränkung. Wo bleibt da die Eigenverantwortung?", fragt er. Sein Kollege Mark Vollrath ergänzt: "Eine Helmpflicht zieht eine ganze Reihe an Konsequenzen nach sich. Man muss sie unter anderem kontrollieren. Wenn sie nur ein Gesetz einführen, hat das keine Wirkung."

Stattdessen müsse man die Leute dazu bringen, den Helm freiwillig aufzusetzen, "positive Motivationen" schaffen, so Vollrath. "Es gibt gute Beispiele, dass Länder zwar keine Helmpflicht einführen, aber sie stark propagieren und so eine gute Quote von Helmtragenden erreichen", erklärt er.

Ein Beispiel dafür ist Kanada. Hier gibt es Provinzen mit Helmpflicht und solche ohne. Zwar verringerte sich die Zahl der Kopfverletzungen dort stärker, wo die Nutzung des Helms verordnet wurde, doch der Rückgang lässt sich nicht eindeutig zuordnen. Einen genauso großen Effekt hatten laut einer Studie aus dem Jahr 2013 Sicherheitskampagnen und verbesserte Bedingungen für Radfahrer. Dieser Ansicht ist auch Wolfgang Fastenmeier: Verkehrssicherheit werde nicht nur durch das Tragen eines Helmes erreicht. "Es geht um das Verkehrssystem." Veränderung sei nur möglich, wenn sich in vielen Bereichen etwas verbessern würde: Städte, die allen Verkehrsteilnehmern gerecht werden, Autos, deren Technik nicht nur ihre Insassen schützt, sondern auch Fußgänger und Radfahrer. Mehr Verständnis der Verkehrsteilnehmer füreinander und die Fähigkeit, sich in die Position des anderen zu versetzen.

Vor allem aber sollte jeder selbst für seine Sicherheit sorgen. Durch einen Helm - oder durch eine sichere Fahrweise, die Verkehrspsychologe Vollrath so auf den Punkt bringt: "Lieber langsamer radeln, nachgeben und nicht auf sein Recht pochen. Bevor man umgefahren wird."

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