Süddeutsche Zeitung

Hamburg:Fahrverbot? Eher eine kleine Diesel-Intoleranz

  • Hamburg wird Ende April als erste deutsche Stadt Fahrverbote für Dieselautos umsetzen.
  • Sie sollen für die Max-Brauer-Allee und die Stresemannstraße gelten - auf 580 beziehungsweise 1600 Metern Länge.
  • Hamburg wird dadurch nicht plötzlich unbefahrbar für alte Dieselautos. Der Vorstoß zeigt zudem die Grenzen der Verbotspolitik.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Der Hamburger Umweltsenator Jens Kerstan müsste schwanken wie ein angeschlagener Preisboxer, wenn es stimmt, was er sagt. "Wir kriegen Prügel von beiden Seiten." Aber Kerstan sitzt ganz fest auf seinem Stuhl, er lächelt sogar über diese Kritik, die scheinbar nichts Gutes lässt an seinem Vorhaben, Fahrverbote für Dieselautos zu verhängen. Umweltfreunde finden die Verbote zu lasch, Industrie-Versteher sehen in ihnen einen Eingriff in die Selbstbestimmung der Autofahrer. Und der Grüne Kerstan sitzt vergnügt zwischen den Fronten.

Den Ärger deutet er als Bestätigung dafür, dass seine Behörde das Richtige tut im Bemühen, die von der EU geforderten Grenzwerte für Stickstoffdioxid in der Stadt einzuhalten und trotzdem nicht ganze Fahrzeugkolonnen unbrauchbar zu machen. Hamburg wird die erste Dieselsperre Deutschlands einführen und kann Berechnungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme vorlegen. Kerstan sagt: "Wir sind im Moment bundesweit der Maßstab."

Ein Sturm aus Jubel und Entrüstung fegte über die Autofahrernation, als das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig vor gut zwei Wochen erklärte, Dieselfahrverbote seien rechtens im Kampf um eine reinere Luft. Auch die Reaktionen der Politik fielen unterschiedlich aus. Manche Städte bereiten sich darauf vor, dass Umweltverbände und Bürger ihr Recht auf bessere Luft einklagen, und suchen nach Lösungen. Andere haben Zeichen für die Autoindustrie gesetzt: Armin Laschet etwa, CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, hat der Bezirksregierung Düsseldorf angekündigt, er werde ihr bei Bedarf ein Fahrverbots-Verbot erteilen.

Und Hamburg? Hat wenige Tage nach dem Leipziger Urteil die Schilder in Auftrag gegeben, die anzeigen sollen, dass Dieselfahrzeuge ohne die Abgasnorm EU 6 Abschnitte der Max-Brauer-Allee und Stresemannstraße in Altona nicht passieren dürfen. Kerstans Behörde wartet nur noch auf die endgültige Urteilsbegründung, um sicher zu sein, dass schon Dieselautos der EU-Norm 5 unter das Verbot fallen können. Ab Ende April soll es gelten.

Hamburg wird nicht plötzlich unbefahrbar für alte Dieselautos

Verbot ist allerdings ein großes Wort für diese kleine Diesel-Intoleranz, die sich die Hansestadt leistet. "Wir nennen das Diesel-Durchfahrtsbeschränkung", sagt Kerstan. Denn erstens handelt es sich bei besagten Abschnitten nicht um großflächige Verbotszonen, sondern um zwei Strecken von 580 (Max-Brauer-Allee) und 1600 Metern Länge (Stresemannstraße). Zweitens sind Anlieger beziehungsweise deren Besucher sowie Müllwagen, Krankenwagen, Handwerker oder Lieferverkehr ausgenommen. Drittens wird auch eine Umleitung ausgeschildert.

Hamburg wird nicht plötzlich unbefahrbar für alte Dieselautos. Die Stadt setzt die Beschränkungen nur dort ein, wo sich die Werte nach ihren Berechnungen nicht anders unterhalb des Stickstoffdioxid-Grenzwertes von 40 Mikrogramm/Kubikmeter bringen lassen. Diesen Wert wiederum muss Hamburg einhalten, weil das örtliche Verwaltungsgericht die Stadt nach diversen Klagen dazu verpflichtet hat.

Allerdings zeigt Hamburgs Vorstoß auch die Grenzen der Verbotspolitik. Kerstan erläutert: "Wir leiten den Verkehr aus Straßen, an denen der Grenzwert deutlich gerissen wird, in andere Straßen um, in denen der Grenzwert deutlich unterschritten wird." Die Belastungen werden also nur gleichmäßiger verteilt. Die Umweltbehörde hat teilweise sogar auf Durchfahrtsbeschränkungen verzichtet, obwohl sie wegen hoher Stickstoffdioxid-Werte angezeigt gewesen wären. Mancherorts würden Umleitungen zu Überbelastungen an anderen Stellen führen. Und in Hafennähe haben die schlechten Werte vor allem mit dem Schiffsverkehr zu tun. "Wir konnten nicht an allen Orten die Gesundheit zum alleinigen Maßstab machen", räumt Kerstan ein, "Die Gerichte verlangen Abwägung und Verhältnismäßigkeit, das haben wir gemacht."

"Mini-Durchfahrtsverbote" nennt Heike Sudmann, die verkehrspolitische Sprecherin der Hamburger Linke-Fraktion, deshalb die Beschränkungen und findet sie "völlig unzureichend". In der Tat sieht nachhaltige Luftreinhaltung anders aus als diese kleinteilige Jagd nach den richtigen Werten an ausgewählten Messstationen. Fast entschuldigend sagt Kerstan: "Wir können nur die Instrumente nutzen, die uns zur Verfügung stehen, auch wenn sie die Probleme nicht wirklich lösen."

Muss Hamburg auf E-Busse ausländischer Anbieter zurückgreifen?

Fahrverbote hält er für kein gutes Instrument, weil sie eine teure Zumutung für unschuldige Autobesitzer sind. "Ich kann die Bundesregierung eigentlich nur dazu aufrufen, die Härten für die Autobesitzer dadurch abzumildern, dass man die Autoindustrie dazu verpflichtet, die alten Fahrzeuge nachzurüsten", sagt Kerstan. Was die Stadtluft wirklich verbessern würde? Der Senator antwortet schnell: "Saubere Antriebe und weniger individualisierter Autoverkehr." Letzteres kann eine Stadt wie Hamburg regeln, indem sie das Rad- und Fußgängerwegenetz ausbaut sowie den öffentlichen Nahverkehr erweitert. Für saubere Antriebe braucht sie die Industrie. Vor allem die Autoindustrie.

Aber die in Deutschland überzeugt Kerstan gerade nicht. Ab 2020 soll die gesamte Hamburger Busflotte auf emissionsfreie Fahrzeuge umgestellt werden. Hamburg setzt dabei auf deutsche Busse - sofern das Angebot stimmt. Noch stimmt es nicht. "Im Moment sieht es so aus, als ob nur chinesische Anbieter Elektrobusse in Serie herstellen können", sagt Kerstan. "Wenn sich die deutsche Autoindustrie nicht ein bisschen anstrengt, werden wir ab 2020 auf ausländische Anbieter ausweichen müssen. Auch wenn wir das gar nicht wollen."

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SZ vom 17.03.2018/harl
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