Güterverkehr:Gigaliner haben messbare Vorteile

Ein Lang-Lkw, auch Gigaliner genannt

Bisher dürfen Lastwagen maximal 18,75 Meter lang sein. Ein Lang-Lkw misst dagegen bis zu 25,25 Meter.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

Seit über sie diskutiert wird, werden die Lang-Lkw als Bedrohung wahrgenommen. Wer jedoch nachrechnet, dürfte vor allem das Positive sehen.

Kommentar von Michael Kuntz

Mit dem Meterstab betrachtet ist das Problem eher keins: Werden drei normale Lastwagen durch zwei größere ersetzt, dann entfällt schon mal eine Zugmaschine, also das Teil, aus dem die Abgase kommen. Zwei große Gefäße statt drei kleine, das bedeutet nicht nur einen Motor weniger, sondern es wird auch sparsamer mit der Straßenfläche umgegangen. Denn zwei überlange Lastzüge brauchen fünfzig Meter weniger Fahrspur als drei der üblichen Modelle, immer unter Berücksichtigung von Sicherheitsabständen, in die ein überholender Pkw noch gefahrlos einscheren kann.

Diese Logik überzeugt allerdings kaum jemanden - zu Unrecht. Und das, obwohl es zwei Jahrzehnte her ist, dass die Europäische Union die Möglichkeit für Lastkraftwagen mit mehr als 18,75 Meter Länge geschaffen hat. Spätestens seit der ersten Testfahrt eines dieser 25,25 Meter langen Großgefäße im Jahr 2005 erregt das Thema ziemlich viele Verkehrsteilnehmer aller Art, also nahezu jeden, der laufen oder fahren kann. Und es sieht ganz danach aus, als würde das eine Weile noch so bleiben. Nun kritisiert sogar der Bundesrechnungshof einen zu schnellen Übergang aus der jahrelangen Testphase in den Regelbetrieb.

Lange Lkw und Linienbusse symbolisieren das soziale Miteinander

Der überlange Lkw besitzt trotz der überlangen Diskussion offenbar immer noch genügend Bedrohungspotenzial für eine veritable politische Auseinandersetzung im Jahr der Bundestagswahl. Da es bislang nur ein paar Hundert Lang-Lkw gibt, dürften etliche Verkehrsteilnehmer statistisch gesehen noch keine persönliche Begegnung mit den vermeintlichen Ungetümen gehabt haben. Die standen von Anfang an in der Kritik.

Denn es war ausgerechnet ein Hersteller von Lkw-Anhängern, der einen ersten Großlaster auf eine deutsche Straße brachte. Na, was führte er wohl im Sinn? Das große Geldverdienen mit großen Anhängern, davon waren viele überzeugt. Hinzu kam eine gewisse Skrupellosigkeit, denn dem Mann war es offensichtlich egal, ob Nutzfahrzeughersteller weniger Zugmaschinen verkaufen können und Speditionen weniger Fahrer beschäftigen müssen.

Wie es begann, so ging es jahrelang weiter: Wer Gigaliner sagt, der wird Widerspruch ernten. Und soll einfache Antworten auf schwierige Fragen haben: Passen die wirklich durch jeden Kreisverkehr? Kann man die denn noch überholen? Sind die Parkplätze an Raststätten nicht zu kurz? Oder gar die Nothaltebuchten in Tunneln?

Die Lobbyisten der Bahn befürchten einen weiteren Bedeutungsverlust. Züge benötigen im übrigen 48 Stunden, um Güter von der Küste nach Nordrhein-Westfalen zu bringen, kritisierten kürzlich wieder mehrere Länderminister. Unerhört findet es ausgerechnet die Bahn-Allianz, wenn die Groß-Lkw eines Tage wie in Schweden bis zu 90 Tonnen Fracht transportieren könnten, mehr, als in einen Güterwaggon passt.

Eine wesentliche Rolle für die öffentliche Akzeptanz spielt, wie man etwas benennt. Der Ausdruck Hochtemperaturreaktor führte die Kernkraft-Industrie schnurstracks ins argumentative Aus, bereits bevor sich tatsächlich die befürchteten Störfälle ereigneten. Auch beim Begriff Dampfdrucktopf schwebt ein Rest Unbehagen über dem Herd. Beunruhigend wirkt auch der Lang-Lkw, wie die Industrie ihn nennt, der Gigaliner, den die Menschen als einen "Monstertruck" auf sich zurollen sehen, als eine Art Wand, unüberwindlich, schwer durchschaubar. Einen Fortschritt vermutet man eher nicht, wenn Riesenlaster, auch das Wort klingt ja eher unanständig, unterwegs sind.

Im Stadtverkehr gibt es andere Probleme

Dabei rollen durch städtische Straßen in Hamburg und München längst Linienbusse mit Anhängern, was erstaunlich gut funktioniert, obwohl sie 23 Meter lang sind. Für die Stadtbusse mussten die Haltestellen etwas umdekoriert werden, Ähnliches dürfte für die Gigaliner letztlich auch kein Problem sein, wenn nicht nur ihre Nachteile, sondern auch die messbaren Vorteile gesehen werden, was nicht jeder Politiker, aber immerhin der Bundesverkehrsminister macht.

Hängen bleiben die langen Teile in der Stadt vor allem, wenn manche ihre Autos in zweiter Reihe abstellen, ohne die Folgen zu bedenken. Das sind Menschen, die offenbar noch nicht begriffen haben, dass die großen Wagen insgesamt weniger Straßenverkehr zur Folge haben. Mit ihnen gibt es eine Art Sharing Economy auf Deutschlands Straßen. Sie symbolisieren die soziale Form des Miteinanders in einem dicht besiedelten Land mit einem noch stark ausgeprägten Hang zum Individualverkehr. Ein Mensch pro Auto, das ist vielleicht nicht mehr so ganz zeitgemäß - die Ära der gemeinschaftlich genutzten Großtransporter hat begonnen.

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