Großglockner-Hochalpenstraße:Den Kehren zu Ehren

Vor 75 Jahren wurde die Großglockner-Hochalpenstraße eröffnet. Mehr als 50 Millionen Menschen wurden seither auf Österreichs schönster Alpenpanorama-Straße gezählt.

Sebastian Herrmann

Die größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in der Geschichte Österreichs fand einst am Großglockner statt. Im Schnitt wühlten sich dort in den Jahren zwischen 1930 und 1935 an jedem Tag 3200 Arbeiter in die Hänge des mächtigen Gebirges. Die meisten von ihnen waren Hilfsarbeiter, die als Friseure, Bäcker oder Buchhalter in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise arbeitslos geworden waren.

Unter der Leitung des Ingenieurs Franz Wallack bauten die Männer die Großglockner-Hochalpenstraße. Sie sprengten eine halbe Million Kubikmeter Fels aus den Flanken der Hohen Tauern, schaufelten und baggerten noch einmal so viel Erdreich aus dem Weg und befestigten die Straße mit 115.00 Kubikmeter Mauerwerk. Wie stets bei einem Bauprojekt dieser Größenordnung explodierten prompt die Kosten - diese machten 14 Prozent der Summe aus, die Österreich zwischen 1930 und 1935 insgesamt für den Straßenbau ausgab.

Dann, bei der Eröffnung am 3. August 1935, feierte sich das Land. Redner priesen die Kühnheit des Bauwerks und schwärmten von einem "Akkord von Kunst und Natur". Der Bau der Straße war von hohem symbolischen Wert für die nach dem Ersten Weltkrieg zum Kleinstaat degradierte Nation. Und der damalige Bundespräsident Wilhelm Miklas ernannte die Trasse dann auch zum "Symbol unseres Lebensmutes".

Tatsächlich ist die Großglockner-Hochalpenstraße eher ein Ausdruck europäischer Lebensmuße. Denn von Beginn an war klar, dass die Straße nur geringe wirtschaftliche Bedeutung als Transitroute über den Alpenhauptkamm haben würde. Und so zielte das Projekt bereits in der Planungsphase in den frühen zwanziger Jahren darauf hin, die Alpen für Touristen zu erschließen.

Heute fahren jährlich etwa 270.000 Busse, Autos und Motorräder über die Glockner-Straße. Knapp eine Million Menschen rollen so im Jahr übern Berg - seit der Eröffnung der Straße vor 75 Jahren sind rund 50 Millionen gezählt worden. Und für die meisten von ihnen sind die 47,8 Kilometer zwischen Bruck im Salzachtal und Heiligenblut in Kärnten purer Selbstzweck.

27 Kehren, 60 Brücken, 600 Rohrdurchlässe

Sie fahren 27 Kehren, um sich mit dem Motorrad in 27 enge Kurven zu legen; sie fahren mit dem Auto über 60 Brücken, vorbei an 600 Rohrdurchlässen und durch zwei Tunnels, um die Gebirgslandschaft rund um Österreichs höchsten Berg zu erleben und von der Franz-Joseph-Höhe aus auf die Pasterze zu blicken, Österreichs größten Gletscher. Oder sie fahren so wie wir - zwei Radler auf dem Weg von München über die Alpen - mit dem Rennrad über die Großglockner-Hochalpenstraße, um anschließend zu Hause dann mit den knapp 2000 überwundenen Höhenmetern zu prahlen.

Schon einen Tag nach der offiziellen Eröffnung der Straße im August 1935 offenbarte sich symbolhaft, dass die Straße vor allem dem Freizeitspektakel dienen sollte - man organisierte den Großen Bergpreis, ein Rennen für Automobile und Krafträder. Seitdem findet täglich ein inoffizielles Rennen auf der Straße statt. Es organisiert sich selbst. Die Teilnehmer reisen oder rasen auf eigene Faust, zahlen die fällige Maut und lenken ihre Fahrzeuge vorbei an der Hexenküche, dem Fuscher Törl und dem mit 2506 Meter über dem Meeresspiegel höchsten Punkt der Straße, dem Hochtor.

Schon die Römer quälten sich vor Jahrtausenden in den Hohen Tauern am Hochtor vorbei über den Alpenhauptkamm; oben an der Passhöhe fanden Archäologen sogar Gegenstände aus der vorkeltischen Zeit. Neben dem Brenner und dem Radstädter Tauern war der Weg viele Jahrhunderte lang die wichtigste Verbindung über die Alpen. Die Reisenden von einst mussten sich noch über eine Passhöhe von 2576 Meter quälen - heute führt ein Tunnel durch das Hochtor.

In der Frühphase der massenhaften Motorisierung war eine Reise mit dem Auto über die Großglockner-Hochalpenstraße noch ein Abenteuer - bei einer Steigung von bis zu zwölf Prozent hielt da nicht jedes Auto durch. Doch in der Zeit des Wirtschaftswunders stellten immer mehr Autobesitzer sich und ihren Wagen dieser Prüfung. Und wer seinen Opel Kapitän oder den VW Käfer am Großglockner vorbeigefahren hatte, ohne dass Schwaden aus dem Kühler quollen oder der Motor ganz aufgegeben hatte, der klebte stolz die Glockner-Plakette auf das Autoheck.

Den ovalen Aufkleber, auf dem ein großes, grünes G einen Wagen und den Großglocknergipfel umrahmt, hatte der Ingenieur Franz Wallack selbst entworfen. Es wurde zum Leistungsabzeichen stolzer Autofahrer, deren Automobile das Abenteuer Großglockner heil überstanden hatten. 75 Jahre nach Eröffnung der Straße bleibt hier kaum noch jemand mit seinem Wagen liegen, und auf dem Heck der vielen Autos klebt eher die Silhouette der Nordseeinsel Sylt als die schöne alte Glockner-Plakette.

Einst schaufelten 350 Mann den Schnee weg

Mit dem Rennrad ist die Glockner- Straße aber heute noch ein kleines Abenteuer. Warum, das verrät das Rennrad- Internetportal www.quaeldich.de. "Wer eine Phobie gegen motorisierte Fahrzeuge hat, sollte die Großglocknerstraße meiden", steht dort. An dem Morgen, an dem wir über den Pass radeln, ist es zwar regnerisch und sehr kühl, trotzdem stauen sich an der Mautstation Ferleiten schon Busse, Wohnmobile und Autos; auf einem eigenen Parkplatz sammeln sich die Motorradfahrer. Unter Anhängern dieses Hobbys haben, so scheint es, Schnauzbärte offensichtlich ein Reservat gefunden. Und auch die Dichte derer, die ironiefrei Harley-Davidson-T-Shirts tragen, ist erstaunlich hoch.

Kurz nach der Mautstation ist die Straße mit je zwei Fahrstreifen noch breit ausgebaut. Trotzdem schmeißt es uns mehrmals fast vor Schreck vom Rennrad, wenn ein Rudel Biker von hinten vorbeiballert. Viele der Maschinen sind unfassbar laut, und manche Fahrer rasen so knapp vorbei, dass uns der Luftzug zur Seite drückt.

Die Bauarbeiter, die zwischen 1930 und 1935 die Straße in die Berghänge rund um den Großglockner legten, wurden Glockner-Baraber genannt - heute sind hier eher Glockner-Barbaren unterwegs. Baraber ist ein Begriff aus dem süddeutschen Raum und bezeichnet einen Hilfsarbeiter; was ein Barbar ist, muss nicht erklärt werden. Bald aber fühlt man sich den motorisierten Luschen überlegen, weil man aus eigener Kraft den Berg bezwingt. Und gleichzeitig hasst man sich selbst dabei, weil es doch so mühsam und schmerzhaft ist. Ein Rennradler mit beeindruckend faserigen Waden, der uns überholt, fasst es stöhnend zusammen: "Warum tue ich mir den Unsinn schon wieder an?"

Zwischen dem Fuscher Törl und dem Hochtor liegt während unserer Tour noch meterhoher Schnee. 350 Mann schaufelten die Straße einst frei, wenn der Pass im Mai nach der Wintersperre wieder freigegeben wurde. In den fünfziger Jahren setzten die Betreiber dann erste Schneefräsen ein, die ebenfalls Franz Wallack konstruiert hatte. Auf der Straße durch die noch eingeschneiten Hänge der Hohen Tauern wird es uns bergab empfindlich kalt. Aber immerhin überholen wir beim Rausch ins Tal nun die Autos und Busse.

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