Graffiti an Zügen:Im Namen der Dose

Entfernen von Graffiti.

Um Graffiti zu entfernen, ist mühsame Kleinarbeit nötig.

(Foto: EBE)

Kunst oder Vandalismus? Mit großem Aufwand verfolgen Bahn und Polizei Graffiti-Sprayer, die ihre Spuren an Zügen und Bahnhöfen hinterlassen. Und das geht ins Geld.

Von Steve Przybilla

Den Adrenalinkick spürt Stefan Strumbel noch heute. Er erinnert sich, wie er nachts übers Gleisbett schlich, immer im Dunkeln, immer auf der Hut vor der Polizei. Und dann diese Freude, wenn das Ziel in greifbare Nähe rückte: "Eine Leinwand, die bis nach Berlin rollt!"

Strumbel war 15, als er zum ersten Mal einen Zug besprühte. Er wollte "die Heimat markieren", sagt er heute, "und den grauen Alltag bunt machen." Nur durch Graffiti könne man Menschen erreichen, die sonst nie mit Kunst in Berührung kämen. Ernsthaft interessiert zeigte sich aber vor allem die Polizei an den rollenden Leinwänden. Strumbel wurde observiert, verfolgt und letztlich auf frischer Tat ertappt. "Für mich war es immer wichtig, malen zu können", sagt der Künstler, der nach wie vor gerne zur Sprühdose greift.

"Eine sehr authentische Kunstform"

Der große Unterschied zu damals: Wenn Strumbel heute die Heimat markiert, applaudiert das Publikum. Der 34-Jährige ist einer der wenigen Sprayer, die den Sprung in die Legalität geschafft haben. Im Schwarzwald besprühte der gebürtige Offenburger sogar eine Kirche, ganz legal, und vom Pfarrer als "Geschenk des Himmels" gepriesen. Dass er sich früher Züge vornahm, verleugnet der Künstler nicht - irgendwie gehört es sogar zum Image. "Man tut es für sich, nicht für den Kunstmarkt", sagt Strumbel. Graffiti seien "eine sehr authentische Kunstform."

Bahn-Graffiti in Magdeburg.

Manchmal enthalten Graffiti auch Botschaften, die Bahnangestellten zugute kommen könnten.

(Foto: dpa)

Die Deutsche Bahn sieht das anders. Sicherheitschef Gerd Neubeck spricht von "eigensüchtigen Motiven der Täter" - und von Geld, das die Bahn lieber zum Nutzen ihrer Kunden einsetzen würde. 33 Millionen Euro müssten jährlich für die Beseitigung von Vandalismusschäden aufgebracht werden, zu denen auch Graffiti (7,6 Millionen Euro) zählen. Es wird gesprüht, gekratzt, gemalt und geritzt, was das Zeug hält. Die Bahn dokumentiert jeden Vorfall, führt sogar eine eigene Foto-Datenbank. Besonders beliebt sind Nordrhein-Westfalen, Sachsen und der Großraum Berlin. Allein in der Hauptstadt gibt es mehr als hundert Stationen, an denen Züge nachts abgestellt werden.

Sogar Drohnen sollten eingesetzt werden

Die Zahl der Graffiti-Vorfälle ist in den letzten Jahren ungefähr gleich geblieben. 2012 registrierte die Bahn rund 14 000 "Farbanschläge", ein Rückgang um zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Neu ist die Entschlossenheit, mit der das Unternehmen gegen ein Phänomen vorgeht, das in Deutschland schon seit den Achtzigerjahren existiert. So setzt die Bahn seit 2013 spezielle Überwachungsteams ein, die sich nachts auf die Lauer legen. Auch Drohnen mit Wärmebildkameras würde die Bahn gerne im großen Stil nutzen. Am Ende der Testphase mussten die Planer aber die Notbremse ziehen, weil die Luftsicherheitsbehörden der Länder die Nachtflugerlaubnis verweigerten. Seither kommen die Mini-Roboter (Stückpreis: 50 000 Euro) nicht mehr zum Einsatz.

Reibungsloser als die Graffiti-Verhinderung läuft ihre Entfernung. Beispiel Essen-Kupferdreh, ein Bahnhalt mit unverkennbarem Ruhrpott-Charme: Direkt gegenüber verläuft die A 44, vom Bahnsteig sind bunt bemalte Lärmschutzwände zu sehen. 3400 Reisende steigen hier täglich ein und aus. Und Sprayer. Ihre Hinterlassenschaften: mehrere großflächige Werke am Treppenaufgang und am Brückenpfeiler. Obwohl der "Anschlag" erst drei Tage zuvor entdeckt wurde, ist ein Anti-Graffiti-Team der Bahn schon da. Am Brückenpfeiler pustet ein Sandstrahler die Kritzelei ins Jenseits, während am Treppenaufgang Handarbeit gefragt ist. Mit Schwamm, Mikrofasertuch und Reinigungsgel rubbelt ein Facharbeiter die Klinkerfassade sauber.

Sündhaft teure Graffiti-Waschanlage

Eine knappe Zugstunde entfernt durchläuft ein Steuerwagen der Baureihe 796 die gleiche Prozedur. Er steht auf einem speziellen Abstellgleis in Düsseldorf, der sogenannten Graffiti-Waschanlage, die im Sommer 2013 eröffnet wurde. Über automatische Bürsten verfügt sie zwar nicht, dafür über eine Auffangwanne unter dem Gleis und eine Kläranlage, die Farbbestandteile herausfiltert. Das hat seinen Preis: 1,4 Millionen Euro hat die Bahn in ihre neueste Errungenschaft investiert.

Diesmal haben es die Mitarbeiter nur mit einem kleinen "Tag" (Namensmarkierung eines Sprayers) zu tun. Mit einem verlängerten Besen tragen sie zunächst ein Lösemittel auf. Fünf Minuten einwirken lassen, nachwischen - fertig. "So ein Glück haben wir nicht immer", erzählt ein Mitarbeiter. Denn auch die Gegenseite schläft nicht. Besonders in Berlin lässt sich beobachten, zu welchen Tricks die Sprayer im Wettrüsten mit ihren Haschern greifen: So benutzt die Gruppe "Pure Hate" schwarze Teerfarbe, die sie hinterher anzündet. Andere setzen umgebaute Feuerlöscher ein, um möglichst hoch - und für die Graffiti-Jäger unerreichbar - zu sprühen.

Züge mit Anti-Graffiti-Schutzschicht

Die Bahn reagiert mit einer rigorosen Reinigungskampagne. Allein in Nordrhein-Westfalen werden jedes Jahr knapp 100 000 Quadratmeter Graffiti entfernt. An den Hotspots im Ruhrgebiet hat der Konzern 223 Züge und 100 Bahnhöfe mit dem Spezialmittel Tutoprom überzogen: eine Schutzschicht, auf der sich Lacke erst gar nicht einbrennen können. Deutschlandweit sollen Graffiti spätestens 72 Stunden nach ihrer Entdeckung beseitigt werden. "In der Praxis beobachten wir, dass es schon mal länger dauert", moniert Gerd Aschoff vom Fahrgastverband ProBahn, der das Engagement ansonsten begrüßt.

In der Sprayer-Szene hält man solche Forderungen aber für überzogen. "Was an Aufwand betrieben wird, steht in keinem Verhältnis zum Erfolg", schimpft der auf Graffiti-Delikte spezialisierte Anwalt Alfred Satur. Selbst zentimetergroße Kritzeleien würden verfolgt, Künstler zu Unrecht kriminalisiert. "Wenn jemand ein Gramm Marihuana dabeihat, gilt das Opportunitätsprinzip. Steht aber jemand mit dem Filzstift in der Hand da, wird ihm sofort die Bude auf den Kopf gestellt." Und: "Die Gefahr, erwischt zu werden, ist enorm gestiegen."

Graffiti-Soko in Berlin

Doch reicht eine bereitgestellte Wand wirklich aus, um einen Sprayer in die Legalität zurückzuholen? "Das würde nichts nützen", glaubt Sicherheitschef Neubeck. Den Tätern gehe es schließlich darum, etwas Verbotenes zu tun. Und so werden sie meist auch behandelt: Das Berliner Landeskriminalamt unterhält eine 30-köpfige Sonderkommission, die sich ausschließlich mit Graffiti befasst. Sie kann eine Aufklärungsquote von 73 Prozent vorweisen, schießt aber manchmal über das Ziel hinaus. In einem Elternratgeber listen die Ermittler "Anhaltspunkte für Graffiti bei Ihrem Kind" auf. Schon ein Filzstift in der Hosentasche oder Kritzeleien auf dem Schulheft gelten demnach als verdächtig.

Noch absurder geht es bei der Münchner Polizei zu. Sie empfiehlt besorgten Eltern, auf bestimmte Kleidung ("weite Hosen, Homeboy-Look") und Hip-Hop-Musik zu achten. Neue Wege schlägt dagegen das "Projekt Graffiti München" ein, bei dem Bahn, Behörden und kommunale Einrichtungen auf Wiedergutmachung setzen. Die Idee dahinter: Wenn ertappte Täter die von ihnen besprühten Wände reinigen - und die Geschädigten mitziehen -, bleibt ihnen ein Zivilverfahren erspart.

Projekt Graffiti München

Projekt Graffiti München: Überführte Täter reinigen eine Bahnhofswand.

(Foto: CATH)

Vorbild New York

Kriminelle Sprayer, verschandelte Züge: Ganz so einfach ist es offenbar doch nicht. Selbst Verkehrsunternehmen messen manchmal mit zweierlei Maß. Beispiel Frankfurt: Zur Ausstellung "Street-Art Brasil" durften brasilianische Straßenkünstler im vergangenen Herbst einen kompletten U-Bahn-Zug besprühen. "Wholetrain" nennt man das in der Szene - die Königsdisziplin unter Sprayern.

So weit soll es bei der Bahn nicht kommen. "Die überwiegende Zahl unserer Kunden hat ein anderes Kunstempfinden", betont Gerd Neubeck. Außerdem verringere sich durch Unsauberkeit das Sicherheitsempfinden - eine Behauptung, der die sogenannte "Broken-Windows-Theorie" zugrunde liegt. Sie besagt, dass selbst geringe Vandalismusschäden zu einer Kettenreaktion führen: Ist einmal ein Waggon besprüht, oder ein Fenster zerkratzt, sinkt die Hemmschwelle, im Nachbarabteil weiterzumachen. Besonders in den USA ist die Theorie beliebt; in New York dient sie als Grundlage des Null-Toleranz-Prinzips, nach dem selbst Bagatelldelikte rigoros verfolgt werden.

Der New Yorker U-Bahn - bis in die Achtzigerjahre ein Gangsterverschlag auf Schienen - hat das jedenfalls gutgetan: Seit Betriebshöfe mit Stacheldraht und Bewegungsmeldern abgesichert wurden, sind "Wholetrains" kaum noch zu sehen.

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