Geschwindigkeitskontrolle mit Poliscan:Abgeblitzt

Wirklich zu schnell gefahren? Ein Richter sprach eine Autofahrerin frei, weil ihm niemand beweisen konnte, dass das neue Gerät namens Poliscan richtig gemessen hatte.

Susanne Klaiber

"Vertrauen in das neue Geschwindigkeitsmessgerät Poliscan und seine Beweisfotos ist gut", dachten sich wohl viele Richter und verurteilten die damit geblitzten Raser. "Zusätzliche Kontrolle muss trotzdem sein", dachte offenbarsich der Dillenburger Richter Matthias Gampe und sprach eine Autofahrerin frei, die mit 96 statt 40 Kilometern pro Stunde über eine hessische Autobahn geflitzt sein soll.

Geschwindigkeitskontrolle mit Poliscan: Diese schlanke Säule heißt Poliscan: Sie misst und fotografiert zu schnell fahrende Verkehrsteilnehmer.

Diese schlanke Säule heißt Poliscan: Sie misst und fotografiert zu schnell fahrende Verkehrsteilnehmer.

(Foto: Foto: oh)

Poliscan ist ein seit 2007 von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassenes Blitzgerät, das bei dichtem Verkehr auf mehreren Spuren effektiver arbeiten soll als andere Apparate. Normalerweise ist bei stationären Blitzern festgelegt, an welchem Punkt der Straße die Geschwindigkeitsmessung endet, wie der Sachverständige Ulrich Löhle erklärt. Eine feste Zeit nach der Messung löse dann die Kamera aus.

Wenn Gutachter so ein Foto ansehen, können sie einschätzen, ob das Auto tatsächlich so schnell war wie das Gerät anzeigt. Denn je weiter der Wagen auf dem Bild von dem Messpunkt entfernt ist, desto schneller muss er unterwegs gewesen sein. Bei Poliscan funktioniert dieser Rückschluss nicht: Die Kamera löst dann aus, wenn der Fahrer am besten zu sehen sei, der Messpunkt sei dann in aller Regel aus dem Blickfeld der Kamera verschwunden, sagt Löhle.

Das heißt nicht, dass das Gerät falsche Geschwindigkeits-Daten liefert. Das glaubt auch Löhle nicht. Nur dass es im konkreten Fall richtig gemessen hat, konnten anhand der Fotos in dem Dillenburger Fall weder er noch drei weitere Sachverständige bestätigen.

Als Ersatz für die herkömmliche Prüfmöglichkeit rechnet Poliscan allerdings aus, wo der Raser zum Zeitpunkt des Fotos sein müsste. Diese Stelle kennzeichnet das Gerät auf dem Foto mit einem Rahmen, in dem dann das Auto zu sehen sein muss, wenn alle Messungen gestimmt haben und der Fahrer inzwischen nicht gebremst hat. Mit diesem Hilfsmittel hätten Gutachter in ihren Verfahren die Plausibilität der Vorwürfe überprüft, sagt Richterin Eva Lösche aus Mannheim.

Das Gerät hat gemessen, aber auch richtig?

Aber der Sachverständige Löhle hat Material gesammelt hat, das seiner Ansicht nach beweist, dass dieser Rahmen nicht mit Sicherheit dem Auto zugeordnet wird, dessen Geschwindigkeit gemessen wurde. Das würde bedeuten, dass der Rahmen nicht zur Prüfung ausreicht.

Lucas Goebel vom Poliscan-Hersteller Vitronic sagt dagegen, "bislang hat noch keiner einen Fall vorgelegt, in dem falsch gemessen oder falsch zugeordnet wurde". Seine Argumentation wird von Gutachten gestützt, die darlegen, dass das Gerät korrekt funktioniert.

Richter Gampe aus Dillenburg aber ist diese Lage zu unsicher. Er verweist in seiner Begründung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März dieses Jahres. Es hatte verboten hat, bei der Bundestagswahl Wahlcomputer einzusetzen, weil man nicht überprüfen könne, ob die Geräte richtig zählten.

Die Staatsanwaltschaft Dillenburg hat Beschwerde gegen Gampes Urteil beim hessischen Oberlandesgericht eingelegt. "Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass das Gericht die Beschwerde annimmt" freut sich der auf Tempodelikte spezialisierte Anwalt der Autofahrerin, Oliver Knapp. Denn dann könnte nicht mehr jeder hessische Richter anders entscheiden. Sollten das oberste Gericht in Hessen und seine ebenfalls mit Beschwerden befassten Pendants in anderen Bundesländern zu verschiedenen Schlüssen kommen, müsste schließlich der Bundesgerichtshof darüber entscheiden.

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