Umstrittenes Motorenkonzept:Der Diesel hat Perspektive

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Kräftiger Durchzug bei geringem Verbrauch und somit hoher Reichweite: So VWs Versprechen bei seiner TDI-Technologie. (Foto: Volkswagen)

So sauber und kräftig wie ein Benziner - aber viel sparsamer: Alles zusammen gelingt dem Diesel nicht. Deshalb wird er künftig wohl wieder zu dem, der er früher war: ein phlegmatischer Dauerläufer.

Von Joachim Becker

Benzin in einen Dieselmotor zu kippen, ist keine gute Idee. Das musste selbst Rudolf Diesel einst schmerzhaft erfahren. Dabei war die Ausgangsidee seiner "neuen rationellen Wärmekraftmaschine" durchaus charmant: Statt Sprit mit bescheidenem Wirkungsgrad durch ein "Feuerzeug" fremdzuzünden, wäre es doch viel effizienter, dem Brennstoff gehörig Druck zu machen: ". . . dass in einem Cylinder vom Arbeitskolben Luft so stark verdichtet wird, dass die hierdurch entstandene Temperatur weit über der Entzündungstemperatur des zu benutzenden Brennstoffs liegt", hieß es in Diesels Patenschrift von 1892. Nur: Sobald der Erfinder Benzin gehörig unter Druck setzte, flog ihm der gesamte Versuchsaufbau um die Ohren.

Rund lief es bei der Erfindung des Selbstzünders wirklich nicht. Aus der geplanten Entwicklungszeit von sechs Monaten wurden vier lange Jahre mit zahlreichen Rückschlägen. "Wenn es endlich gelungen sein wird, werde ich erlöst sein wie von langjähriger Gefangenschaft", schrieb Diesel.

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Auch ein Arbeitsessen mit Robert Bosch brachte keine Besserung. 1894 trafen sich die beiden Motorenpioniere, weil Diesel reges Interesse an Boschs neuem Magnetzünder zeigte. Der war damals noch genauso unbekannt wie der Selbstzünder. Entsprechend knapp waren Bosch und Diesel bei Kasse. Man einigte sich also auf ein billiges Lokal in Augsburg als Treffpunkt. Dann machte der Benziner das Rennen. Bosch baute mit Zündkerze und Bordelektrik ein Weltunternehmen auf. Rudolf Diesel brauchte ein bisschen länger, um seinen Selbstzünder mit Lampenöl auf Touren zu bringen.

26 Prozent Wirkungsgrad - Weltrekord

Nach seinem Stotterstart verlangte der Ölbrenner vor allem eines: mehr Druck. Je mehr Kraftstoff-Luftgemisch in den Zylinder passte, desto mehr Leistung entwickelte der Diesel. Wegen seines hohen Gewichts von 150 Kilogramm pro PS taugte er zunächst nur als Stationärmotor. Erst als das Leistungsgewicht mit dem leichteren Stahlguss statt Gusseisen auf 33 Kilogramm pro PS sank, wurde der Selbstzünder mobil - im Lastwagen.

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Doch das reichte noch nicht für die kleineren Autos. 1922 begannen bei Bosch die Versuche mit einer Dieseleinspritzung, schließlich war der Motor ohne Zündkerze ein nicht zu unterschätzender Herausforderer der weltweit erfolgreichen Magnetzündung. Der Diesel-Wirkungsgrad von mehr als 26 Prozent war von Anfang an Weltrekord - und ein Versprechen für die erschwingliche Massenmobilität.

Die Geschichte hat gezeigt, welche Fortschritte druckvolle Diesel erzielen können. Während er im Mercedes 260-D von 1936 noch mit knapp über 100 bar Einspritzdruck hämmerte, kam der erste VW Golf D vierzig Jahre später auf 300 bar - ein Zehntel dessen, was moderne Selbstzünder in naher Zukunft erreichen werden.

Während der erste Selbstzünder im Golf beim Kaltstart noch die Nachbarschaft aus dem Bett rüttelte, läuft die Verbrennung im modernen Hochdruck-Diesel auch dank einer Folge von Voreinspritzungen leiser ab. Die Wolfsburger Ingenieure störten sich aber wenig an dem harten Diesel-"Nageln". Stattdessen setzten VW und Audi mit der Pumpe-Düse-Einspritzung früh auf maximalen Einspritzdruck: Mit Turboaufladung und 2000 bar wurde TDI zum Markenzeichen für Spritsparer mit durchzugsstarkem Fahrspaß.

Der Aufstieg von VW zur Weltmarke ist eng mit dem Selbstzünder verknüpft. Audi katapultierte sich von 1989 an dank des direkteinspritzenden Fünfzylinder-Turbodiesels mit vollelektronischem Motormanagement in die Oberliga. Vorsprung durch Technik meinte eben immer auch das führende Verbrennungssystem. Neben feinen Manieren musste der sparsame Antrieb für Ackerschlepper allerdings Sauberkeit lernen.

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Ohne Partikelfilter ging nichts mehr

Der Audi 1.2 TDI kam 2001 mit 2050 bar Einspritzdruck auf eine Minimalemission von 81 Gramm CO₂ pro Kilometer. Drei Jahre später erfüllte der Lupo 3L TDI sogar die strenge Euro-4-Norm ohne teure Abgasnachbehandlung. Mit den Weltrekordlern an der Zapfsäule wähnte sich der VW-Konzern endgültig im vollkommenen Diesel-Triumph. Zumal Peugeot mit seinen FAP-Partikelfiltern damals nur die Euro-3-Norm erreichte.

Doch die Umweltverbände machten beim Rußsieb Druck: "Kein Diesel ohne Filter", lautete die Parole. Vor den Toren der IAA in Frankfurt stand 2003 ein rosa C-Klasse-Kombi mit Schweinsohren und einem Saurüssel vor der Haube. Die Diskussion wirbelte schließlich so viel Staub auf, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder eingreifen musste. Er forderte die Europäische Kommission auf, die Werte für die künftige Abgasnorm Euro 5 bis Ende 2004 festzulegen. Die zukunftsweisende Antwort aus Brüssel: Mit der nächsten Abgasstufe sollten nicht nur der Partikelausstoß, sondern auch die Stickoxid-Werte (NOx) sinken. Weniger NOx bedeutet aber fast zwangsläufig mehr Partikelausstoß - ohne Filter ging schon bald nichts mehr.

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Die Common-Rail-Einspritzung setzt sich durch

VW und Audi hatten damit nicht nur die Schlacht um den Nichtraucher-Diesel verloren, sondern auch ein Problem mit ihrer Ausrichtung auf innermotorische Maßnahmen: Für strengere Emissionsauflagen war das sparsame Pumpe-Düse-System nicht variabel genug. Der Pumpnocken konnte zwar hohen Druck erzeugen, aber keine Sequenz von Vor-, Haupt- und Nacheinspritzungen in einem Arbeitstakt orchestrieren.

Was sich schließlich durchsetzte, war die Common-Rail-Einspritzung, die Magneti Marelli für Fiat entwickelt hatte. Und wieder waren es die Entwickler von Bosch, die das System in den 1990er-Jahren reif für die Zukunft machten. Sie kauften die Fiat-Patente und verwendeten viel Zeit in die Feinabstimmung des Common-Rail-Systems. Der Trick dabei: Durch eine gemeinsame Hochdruckleitung wird der extrem verdichtete Kraftstoff mit der Geschwindigkeit eines Überschallflugzeugs auf alle Zylinder verteilt. Das füttert selbst Sportmotoren bei hohen Geschwindigkeiten mit genau den richtigen Portionen von Kraftfutter.

Trotz immer neuer Querelen um seine Abgasqualität hat der Hightech-Diesel den Benziner in Sachen Leistungsdichte in den vergangenen Jahren eingeholt. Selbstzünder erreichen mittlerweile 100 Kilowatt pro Liter Hubraum - genug, um selbst Geländewagen mit sparsamen Dreizylindermotoren anzutreiben.

Ein entscheidender Vorteil sind die vergleichsweise moderaten Abgastemperaturen des Heizöl-Brenners. Bei Vollgas erreicht er kaum mehr als 850 Grad, was selbst Turbolader mit variabler Turbinengeometrie nicht übel nehmen. Das Windrädchen passt seine Form also dem jeweiligen Leistungsbedarf an, ohne den Abgasstrom zu blockieren. Eine ähnlich kompakte Technik können sich sonst nur Sportwagenhersteller wie Porsche für ihre mehr als 1000 Grad heißen Benziner leisten.

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Aufwendiges Chemiewerk zur Abgasreinigung

Heute wird fast jeder zweite Neuwagen mit dem selbstzündenden Effizienzmotor ausgeliefert. Aus gutem Grund: Sein Verbrauch liegt nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch in der Praxis rund 20 Prozent niedriger als der des Benziners. Zu den Vorteilen gehört die höhere Energiedichte des Dieselkraftstoffs ebenso wie das höhere Verdichtungsverhältnis und der entsprechend bessere Wirkungsgrad. Zudem kommt der Selbstzünder ohne energiezehrende Drosselklappe aus, weil er ohnehin mit hohem Luftüberschuss, also mager verbrennt.

Das hat bei allen Vorzügen allerdings einen entscheidenden Nachteil: Der herkömmliche Dreiwege-Katalysator, der selbst die Abgase von riesigen Spritschluckern zuverlässig reinigt, funktioniert beim Diesel nicht. Im Wettlauf der Verbrennungsprinzipien braucht der Ölbrenner also ein immer aufwendigeres Chemiewerk zur Abgasreinigung.

Ein Ausweg könnte die zunehmende Elektrifizierung des Antriebs sein: Schon bald werden sowohl 48-Volt-Systeme als auch Plug-in-Hybride und elektrische Turbolader den Verbrenner beim Beschleunigen unterstützen. Wie ein Schiffsdiesel kann der Selbstzünder dann gleichmäßiger laufen und damit weniger Stickoxide ausstoßen. Die Phlegmatisierung, von der Fachleute reden, führt zurück zu den Anfängen des Diesels - und geradewegs in die Zukunft.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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