Genfer Autosalon:Die Carlos-Ghosn-Show

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Renault-Nissan Carlos Ghosn auf dem Genfer Autosalon.

(Foto: AP/dpa)

Polyglott, kultiviert und ziemlich direkt: Carlos Ghosn ist der Chef von Renault-Nissan und ein begnadeter Selbstdarsteller und Verkäufer. Er kann seinen Zuhörern in nur 90 Minuten die ganze Autowelt erklären - und isst trotzdem auf. Ein gemeinsames Abendessen.

Von Thomas Fromm

Er kommt ein paar Minuten zu spät, als alle schon um den Tisch sitzen. "Bleiben Sie bequem", sagt er, als einer aufsteht, um ihm die Hand zu schütteln. Das könnte Zufall sein. Es könnte aber auch Teil des Ein-Mann-Stücks sein. Der Inszenierung mit dem Namen "Carlos Ghosn".

Am Vorabend des Genfer Autosalons hat der Renault-Nissan-Chef zum Abendessen im kleinen Kreis eingeladen, und er möchte mit einer kleinen Vorstellungsrunde beginnen. Einmal rund um den Tisch: Name, Medium, Herkunftsland. Er schaut jedem Einzelnen dabei in die Augen, den Kopf leicht schräg gelegt. Das soll heißen: Er, der Autoboss Carlos Ghosn, interessiert sich für jeden Einzelnen hier.

Eines macht er gleich klar: Er ist nicht hier, um den größten Autobauer der Welt zu führen. Das sollen andere machen. Wir sind nicht bei VW, Toyota, General Motors. Nur so viel: "Wir wollen unter den ersten drei oder vier sein", sagt Ghosn. Was, sagt der Manager, sei schon Größe? "Es gibt nicht nur ein Gesetz in der Branche, es gibt viele, und die ändern sich noch dazu ständig. Größe ist gut, aber wenn sich die Spielregeln ändern, nutzt ihnen Größe auch nichts." So ist er. Ein kleiner, kaum zu hörender Seitenhieb auf die Giganten.

Ein Mann, schwer zu fassen

Insider sagen, es gebe Manager. Dann gebe es Automanager. Und dann gebe es noch Carlos Ghosn. Ein Mann, schwer zu fassen. Ein Selbstdarsteller und Verkäufer, polyglott, kultiviert, ziemlich direkt. Wenn ihm Fragen nicht gefallen, dann blinzelt er mit den Augen und sagt, auf Englisch: "So?" "Na und?" Wenn ihm etwas zu langatmig wird, fängt er an, leicht auf dem Stuhl zu wippen. Manchmal lässt er seine Gabel fallen, dann schießt ein Zeigefinger hoch. Das Repertoire des Carlos Ghosn ist groß.

Geboren 1954 als Sohn libanesischer Einwanderer in Brasilien, Jesuitenschule, französische Elite-Uni. Schon 1996 kam er zu Renault. Sanierte und fädelte den Einstieg bei Japans drittgrößtem Autohersteller Nissan ein. Ziel: ein globaler Massenhersteller. Was auch immer sich Europas Automanager also in diesen Zeiten an Kooperationen und Fusionen ausdenken mögen - Ghosn hat es irgendwann schon gemacht. "Ich bin sehr froh, dass wir 50 Prozent unseres Umsatzes außerhalb von Europa machen", sagt er. "Aber wir verdienen noch Geld in Europa."

Das ist der Unterschied zwischen ihm und dem anderen Franzosen, Peugeot-Chef Philippe Varin. Ghosn ist mit seinen Marken auf Märkten außerhalb Europas vertreten; einen Teil der Produktion hat er schon aus Frankreich gebracht, nach Marokko, Algerien, Südamerika, Afrika. Vor zehn Jahren verkaufte das Unternehmen gerade mal 23 Prozent seiner Fahrzeuge außerhalb Europas. Heute ist es die Hälfte. Renault, Nissan, die rumänische Tochter Dacia, der russische Hersteller Avtovaz - die Gruppe ist groß, international und besteht aus ziemlich unterschiedlichen Firmen.

"Sie dürfen nie das machen, was alle machen"

"Als wir anfingen, groß ins Billigsegment einzusteigen, meinten viele: ,Ah, jetzt macht der auf billig'", sagt er. "Die lagen falsch. Sie dürfen nie das machen, was alle machen. Und wenn, dann müssen Sie der Beste sein, vor allem bei den Kosten." Irgendwie hatte er da schon den richtigen Riecher. Billig, sagen die Autoexperten, geht gut, vor allem in Schwellenländern. Genauso wie teuer. Wie Porsche, Audi, BMW oder Mercedes. Nur in der Mitte, da drückt es. Da, wo die europäische Mittelschicht einkauft. In Japan verehren Sie ihn, dort hat er eine Manga-Rolle bekommen, eine Comicfigur. Darunter geht es in Japan nicht, wenn einer wie er den heimischen Autohersteller Nissan aufgepäppelt hat.

Jetzt aber hat der Manga-Held Probleme. Renaults Absatz in Europa war 2012 eingebrochen. Es ist in Europa auch die neue Konkurrenz, die ihm zu schaffen macht. Die Koreaner von Hyundai verkaufen in Frankreich von Jahr zu Jahr mehr Autos. Und es sind auch seine Marktanteile, die da Tag für Tag wegrutschen. Wie viele Autobauer werden die Krise in Europa überleben, wie viele nicht? "Keine Ahnung. Aber Sie können wetten, dass es weniger werden." Natürlich wird er nicht dabei sein, wenn es kracht. Viele Kollegen reden in diesen Tagen über die Krise, über ihre Absatzprobleme, über Rabattschlachten, die außer Kontrolle sind. Preiskrieg? Ghosn bleibt cool. "Rabatte waren schon immer da, das ist doch nichts Neues. Sie müssen Ihre Kosten wettbewerbsfähig halten, dann werden Sie damit fertig. Preiskriege gehören zu unserem Geschäft."

Zuletzt tauchte er mit seinem Freund, dem Daimler-Chef Dieter Zetsche, beim Pariser Autosalon auf. "Willkommen zur Carlos- und Dieter-Show", sagte er. Stuttgarter und Franzosen-Japaner wollen zusammen kleine Vierzylindermotoren entwickeln. Wie immer, wenn so unterschiedliche Autokonzerne wie Daimler und Renault so etwas machen, geht es ums: Sparen. Und hier irgendwie auch um: die Carlos- und Dieter-Show.

90 Minuten Autos, Europa und die Welt

90 Minuten dauert ein Abendessen mit Carlos Ghosn. Mehr Zeit hat er nicht, und mehr Zeit braucht er auch nicht. Französische Krise? "Jedes Land hat seine Traditionen und Gewohnheiten." Euro-Krise? "Es gibt zurzeit keine Balance zwischen Sparen und Wachstum." Die Elektroauto-Offensive von Renault: "Der Film hat gerade erst begonnen." 90 Minuten Autos, Europa und die Welt. Das Problem vieler Manager ist: Sie laden zum Essen ein und reden viel. So viel, dass sie am Ende nichts mehr essen und nichts mehr trinken können. Am Ende sind die Aufnahmegeräte der Journalisten voll. Die Teller aber auch.

Ghosn ist da anders. Er isst, und zwar mit Vergnügen. Tartare de crevettes, Filet de boeuf, Parfait, Kekse. Er trinkt Rotwein. Während die anderen fragen, arbeitet er sich konzentriert an seinem Teller ab. In die Pausen dazwischen schiebt er seine Antworten.

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