Genfer Autosalon:Der Schwarm will in die Stadt

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Rinspeed will die urbane Mobilität revolutionieren - mit dem Micromax.

(Foto: Press Infrom)

Das Spannende am Messestand von Rinspeed ist das Konzept, das hinter ihrem futuristischen Auto "Micromax" steckt: Digitale Schwarm-Intelligenz soll die Mobilität in Großstädten revolutionieren. Doch die Serienreife der Idee ist noch weit entfernt.

Von Jürgen Wolff, Genf

"Ich will den urbanen Verkehr revolutionieren," sagt Frank Rinderknecht, Kopf des Herstellers Rinspeed aus der Schweiz. Für sein Ziel hat er knapp zwei Dutzend Partner unter einem Dach versammelt - vom Elektronikunternehmen Harman über Evonik Industries bis hin zur Technischen Universität Ilmenau und der Zürich Versicherung.

Die Idee dazu kam Rinderknecht beim Lesen von Frank Schätzings Buch "Der Schwarm". Intelligente Kollektive können darin weitaus mächtiger sein als nur die Summe ihrer Einzelwesen. Mit dem Fahrzeug Micromax versucht der Schweizer nun, die Idee der Schwarm-Intelligenz auf den städtischen Verkehr zu übertragen. Auf dem Automobilsalon in Genf stellen Rinspeed und seine Partner ihr Konzept vor.

Das Auto ist die Hardware

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Viel Platz auf wenig Raum: der Rinspeed Micromax.

(Foto: Press Infrom)

Rinspeed selbst liefert mit dem "Micromax" das Fahrzeug zum Schwarmverhalten. Das 3,7 Meter lange und 2,2 Meter hohe Elektroauto wird von einem Gabelstaplermotor angetrieben. In den Stehsitzen haben drei Passagiere plus Fahrer Platz. Dazu gibt es in dem durch viel Plexiglas hellen Innenraum Kühlschrank, Kaffeemaschine und Internetanschluss.

Rinspeed Micromax

Die Kaffemaschine gibt's gratis zum Wagen.

(Foto: Press Infrom)

Basis des Schwarm-Konzepts ist die Cloud-Plattform von Harman, die Multimedia- und Infotainmentsysteme für Autos entwickeln und herstellen. Auf der Harman-Cloud basiert das Community-Konzept "urban swarm". Über die Cloud soll in Echtzeit für alle Mitglieder der Zugriff auf die Informationen möglich sein, die alle innerhalb des Schwarms verbundenen Fahrzeuge ständig liefern. Das soll eine Echtzeit-Anpassung an die momentane Verkehrssituation möglich machen und die Vorteile von öffentlichem und individuellem Verkehr miteinander verbinden.

Jeder Verkehrsteilnehmer kann mitmachen

Dabei ist die Mitgliedschaft nicht nur auf Autofahrer beschränkt - mittels einer App steht die Gemeinschaft allen Verkehrsteilnehmern offen, die von A nach B wollen und eine Transfermöglichkeit suchen. Selbstfahrer, regelmäßige Pendler in einer festen Fahrgemeinschaft, aber auch bei spontanen Mitfahrten oder für Teilstrecken mit mehreren Fahrzeugen.

Wer mitmachen will, der muss nur sein Fahrziel eingeben. Das Wissen, das der gesamte Schwarm in der Cloud versammelt, soll die Reise organisieren. Weil Startpunkt, Ziele, Fahrtrouten, reale Fahrgeschwindigkeiten und die Auslastung aller Fahrzeuge des Schwarms bekannt sind, berechnet das System mögliche Mitfahr- und Umsteigeoptionen. Feste Fahrpläne und -routen gibt es nicht, jede Fahrt wird individuell berechnet.

Aber "urban swarm" soll noch mehr können. Wer in ein Schwarm-Fahrzeug einsteigt, findet dort bereits alles individuell auf die eigenen Bedürfnisse eingestellt vor: So ist der Zugriff auf die eigene Video- und Musiksammlung möglich, auf den im Passagierbereich installierten Tablets erscheinen sofort die eigenen E-Mails oder der Zugriff auf den virtuellen Schreibtisch am Arbeitsplatz. Über eine Videofunktion können sich Fahrer und Beifahrer auf die Frontkameras anderer Schwarmfahrzeuge zugreifen und so zum Beispiel mit eigenen Augen den Grund für einen Stau sehen.

Rinspeed Micromax

Rinspeed Micromax: Futuristischer Schreibtisch statt Fahrersitz.

(Foto: Press Infrom)

Der Schwarm wird zum Wecker

Wer will, der kann sich sogar vom Schwarm wecken lassen: "Das System setzt dazu einfach unter Berücksichtigung aller Schwarm-Informationen die voraussichtliche Fahrzeit in Relation zur gewünschten Ankunftszeit, addiert die individuell für Frühstück und Morgentoilette eingestellte Zeit und alarmiert über die App auf Smartphone oder Tablet", sagt ein Entwickler von Harman. Man müsse nur zur vorberechneten Zeit aus der Haustür - und schon stehe der private Shuttle bereit.

Schöne neue Schwarm-Zeit. Fehlt nur noch der Schwarm. Denn das Konzept funktioniert nur, wenn sich ausreichend viele Fahrzeuge zusammenfinden. Die bisherigen Ideen, die sich mit dem Thema Schwarm-Intelligenz beschäftigt haben, waren auf deutlich bescheidenere Ergebnisse aus. Zum Beispiel darauf, Staus zu vermeiden, indem man Fahrzeuge auf einer Strecke elektronisch miteinander koppelte und das erste in der Gruppe zum Führungsfahrzeug machte. Musste das zum Beispiel bremsen, so wurde dieser Befehl verzögerungsfrei an die angekoppelten dahinter durchgereicht - ohne die Verzögerung durch menschliche Reaktionszeit sollte so ein "Aufschaukeln" zum Stau verhindert werden.

Von einem urbanen Schwarmkonzept, das auch alltagstauglich ist, ist die Idee von Rinspeed allerdings noch entfernt. Experten halten eine Markteinführung frühestens in 30 Monaten für realistisch. Je nach Ausstattung soll der Preis für ein Fahrzeug 5000 bis 10.000 Euro betragen.

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