Gefährliche Wasserstraßen:Hochspannung am Puget Sound

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Stürme, Untiefen und Klippen: An der Meerenge bei Vancouver Island sind schon Hunderte Schiffe gescheitert - mit fatalen Folgen.

Klaus C. Koch

"Zuletzt gesichtet vor Cape Flattery." So lakonisch kurz können Mitteilungen von Leuchtturmwärtern sein. Auf Tatoosh Island, einer kleinen, kaum 800 Meter breiten Insel, die vor dem gleichnamigen Kap im äußersten Nordwesten der Vereinigten Staaten aus schäumender Gischt und einer Unzahl von Klippen aus dem Pazifischen Ozean ragt, waren sie über lange Zeit hinweg eher die Regel.

Der Frachter Selendang Ayu lief am 8. Dezember 2004 vor der Aleuten-Insel Unalaska auf Grund und brach eine Stunde später auseinander. Neben Sojabohnen hatte der Frachter etwa 1600 Tonnen Schweröl und 69,3 Tonnen Schiffsdiesel an Bord. (Foto: N/A)

Dort, an der Strait of Juan de Fuca, der Einfahrt zum Puget Sound, verschwanden Hunderte Schiffe. Sie hießen Skagway, Southerner, HMS Condor oder Emily Farnum. Zerschmettert an schroffem Gestein, das wie der Buckel eines Wales nur für Sekunden aus den Wellenbergen auftaucht, und im nächsten Augenblick wie eine optische Täuschung wieder im Wasser entschwindet.

Segler, Dampfer und Kauffahrer, die zuvor die halbe Welt umrundet hatten, wurden hier, auf den letzten Meilen vor ihrem Ziel, zum Spielball der Elemente. Sie zerbrachen an Klippen und Felsen und nahmen nicht selten alle Mann mit in die Tiefe.

Die Meerenge zwischen Vancouver Island und der zum US-Bundesstaat Washington gehörenden Olympic-Halbinsel ist mit 13.000 Schiffsbewegungen pro Jahr eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt. Und weil die raue See den Menschen nicht abschrecken konnte, gehören der Regenwald, der sich bis direkt an die Klippen erstreckt, wie auch das Seetangdickicht zwischen den Riffs und steil abfallenden Felsen zu den am stärksten gefährdeten Küsten der Welt.

Einst waren hier Schiffe mit Kisten und Säcken voll Baumwolle oder wertvollem Tuch unterwegs. Heute sind sie mit Materialien beladen, die nicht selten in die Kategorie Gefahrgut gehören; und mit Schweröl als Treibstoff an Bord, das im Fall einer Leckage im Handumdrehen Millionen Liter Wasser verseucht. Die Folgen, wenn in dichtem Nebel und unter schwierigen Strömungsverhältnissen mal wieder ein Ruder klemmt, ein einzelner Frachter auf die Küste zutreibt und auf die scharfkantigen Felsvorsprünge aufläuft, sind unüberschaubar.

Eine der schwersten Katastrophen, die sich dort je ereigneten, war der Zusammenstoß des japanischen Fischtrawlers Tenyo Maru mit einem chinesischen Frachter.

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Die Tenyo Maru sank in rund 165 Meter Tiefe. An Bord hatte sie 1300 Kubikmeter Schweröl, 400 Kubikmeter Diesel und 90.000 Liter Fisch-Öl. Über einen Monat hinweg leckten immer wieder große Treibstoffmengen aus dem gesunkenen Schiff und zogen die gesamte Küste vom kanadischen Vancouver Island im Norden bis hinunter nach Oregon in Mitleidenschaft.

Im Notfall ist der Schlepper Jeffrey Foss schnell zur Stelle. (Foto: N/A)

Tausende Seevögel verendeten. Nur 13 Prozent der 740 ölverschmierten Kreaturen, die noch lebend eingesammelt und gereinigt wurden, überstanden die Tortur. 1994 wurde mit Geldern des japanischen Fischerei-Unternehmens ein Entschädigungsfonds in Höhe von 5,2 Millionen Dollar eingerichtet, der Küstenstreifen unter Obhut der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zum nationalen Schutzgebiet erklärt.

Die Aufsicht über den Fischfang wurde dem Stamm der Makah übertragen, erklärt Jim Woods, Koordinator im Fischerei-Management des Indianerreservats, der stolz auf die eigene Ordnungsbehörde verweist. "Dazu", sagt er bedächtig, "gehört auch der Schutz der Flüsse und Creeks, die hier ins Meer münden, und in denen der Lachs laicht." Nicht weniger als 35 Biologen achten auf die Wasserqualität und die Fischzucht am Sooes River.

Im nahe gelegenen Neah Bay residiert die Küstenwache an einem der entlegensten Außenposten, über die sie jemals verfügte.

60 bis 70 Search-and-Rescue-(SAR)Einsätze werden pro Jahr absolviert und etwa 1300 Schiffe kontrolliert. Auf einer Motoryacht, erzählt John W. Boyer, wurden kürzlich acht Zentner Ecstasy konfisziert. John bringt die zwei Maschinen auf Touren, die das Patrouillenboot mit je 825 PS auf 42 Knoten (78 Stundenkilometer) beschleunigen.

John grinst. "Bei der Wartung tauchten neulich Hinweise auf Deutsch auf", sagt er. "Das mussten wir erst übersetzen." Es sind Aggregate aus der neuen S60-Baureihe von MTU aus Friedrichshafen, die von der US-Tochter Detroit Diesel eingebaut wurden. Das Boot ist mit einer wasserdichten Rettungskabine versehen und darauf ausgelegt, sich bei Wellengang, der hier zehn bis zwölf Meter Höhe erreicht und das Schiff zum Kentern bringen kann, innerhalb von acht bis zwölf Sekunden wieder aufzurichten.

Neah Bay ist auch der Ort für ein neues, teils öffentlich, teils privat finanziertes Modell, in dem die Industrie mehr Verantwortung für vorbeugende Maßnahmen gegen Ölunfälle übernimmt. Seit 1999 wurden rund 3,6 Millionen US-Dollar pro Jahr aufgewendet, um einen Seenotschlepper in der Nähe zu haben, wenn Schiffe an der Einfahrt zur Meerenge manövrierunfähig werden oder in schwerem Wetter kollidieren. Die Jeffrey Foss liegt nur wenige Hundert Meter von der Küstenwache entfernt am Anlegesteg.

Auf dem 40 Meter langen Schiff herrscht Alltagsroutine - und die kann gnadenlos langweilig sein, räumt der 57-jährige Scott Mitchell ein. Im Ernstfall würde es fünf bis sechs Stunden dauern, bis ein Schlepper vom nächstgrößeren Hafen, dem 70 Meilen entfernten Port Angeles, an Ort und Stelle wäre. Für die Jeffrey Foss sind es nur ein paar Minuten - die können entscheidend sein.

In den zurückliegenden Jahren wurde von der Daewoo Spirit bis hin zur Cosco Melbourne in 46 Fällen Hilfe geleistet, elfmal wurden Schiffe in Schlepp genommen, die sonst womöglich auf Felsen geraten wären. Mitte 2010 gingen Regie und Finanzierung des Projekts an die Western States Petroleum Association über. Der Verband der Ölindustrie treibt jetzt pro Barrel, das seine Tanker durch die Strait of Juan de Fuca transportieren, eine Abgabe von fünf Cent ein.

57 Prozent der Gesamtkosten werden das 2011 voraussichtlich sein. Mit rund 9600 Schiffsbewegungen pro Jahr entfällt der Rest auf die Mengen, die als Treibstoff in den Tanks von Passagierschiffen und Frachtern die Meerenge passieren.

Auf diese Weise schwimmen, in Relation zu ihrer Größe nur durch eine vergleichsweise dünne Hülle vom Wasser getrennt, zwischen British Columbia und der Olympic-Halbinsel pro Jahr 70 bis 100 Millionen Tonnen Schweröl durchs Meer.

Die Makah selbst fürchten deshalb nichts so sehr wie die nächste Ölpest. Wo andere gern zum Surfen gingen, stehen in Neah Bay auf jedem freien Quadratmeter ein- und zweiachsige Anhänger mit schwimmenden Barrieren und Absaugvorrichtungen, die binnen Minuten zu Wasser gebracht werden können. Die freundschaftlichen Beziehungen zur Küstenwache halten auch Belastungsproben wie jener stand, als die Uniformierten vor einiger Zeit Walschützer und Eingeborene auseinanderhalten mussten.

Die Makah jagten einen Wal, der ihnen laut Ausnahmegenehmigung zwar einmal pro Jahr als Fangquote zusteht. Diese war aber noch nicht erteilt.

Kürzlich war fast die gesamte Bevölkerung zugegen, um der Einweihung einer Sporthalle beizuwohnen, die mit Resten aus dem Entschädigungsfonds der Tenyo Maru finanziert wird. Die Entschädigungsgelder sind nicht schlecht. "Aber jeder Unfall hier", sagt Michael Lawrence, Vorsitzender des Stammesrats, "ist einer zuviel."

© SZ vom 3.1.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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