Sich Gedanken über die künftige Mobilität zu machen, bedeutet zwangsläufig, sich Gedanken über die gegenwärtige Immobilität zu machen. Die Mobilität wird in anderen Teilen der Erde begrenzt durch Armut oder geringes Einkommen, in diesem Teil der Welt aber durch Wohlstand und Automobilität. Vor allem die städtische Unbeweglichkeit ist Alltag, die meisten Verkehrsteilnehmer finden sie zwar störend, aber im Großen und Ganzen normal, so wie die Schafe in der Herde gar nichts anderes kennen, als sich in den Bahnen und in dem Tempo zu bewegen, das ihnen die Hirtenhunde vorgeben. Beispiele gefällig?
Denkfehler: Wo immer dem Auto, wie auf dem Mittleren Ring in München, zugunsten vermeintlich schnelleren Fortkommens mehr Platz gegeben wird, nimmt der Verkehr zu - noch größere Staus sind die Folge.
(Foto: Foto: Caro Riedmiller)Zäher Brei
Sie stammen aus München - nicht weil diese Stadt so besonders ist, sondern weil es in vielen Orten der Republik genauso zugeht. Am südlichen Rand des weltberühmten Viktualienmarktes verläuft eine enge Straße mit zwei Ampeln, an denen sich beidseits größere Gruppen von Fußgängern ansammeln. Man wartet dort lange auf die kurzen Grünphasen, während ununterbrochen die Autos vorbeiruckeln. Stoßstange an Stoßstange - ein zäher Brei, der immer wieder zum Stillstand kommt, sich wieder in Bewegung setzt, sich fortwälzt um die eine Kurve, an die Ampel heran, noch eine Kurve, noch eine Ampel, noch eine Kurve. Die einen stehen sich die Beine in den Leib, die anderen sitzen die meiste Zeit in stehenden Fahrzeugen und sind kaum mobiler als die Immobilien ringsherum.
Szenenwechsel, dorthin, wo bald die Süddeutsche Zeitung residieren wird, in einem Gewerbegebiet. Hier hat man einen prima Blick - einerseits auf die Alpen, andererseits auf die Autobahn, über die jeden Morgen die Pendler rollen, flott unterwegs bis zum Flaschenhals am Stadtrand. Da stehen sie dann, Brüder und Schwestern im Geiste all derer, die über eine der anderen Autobahnen in die Stadt kommen. Manche kämpfen sich durch bis zum Mittleren Ring und profitieren von den Tunnelbauten im Münchner Norden, die für die lärmgeplagten Anwohner ein Segen sind. Für diejenigen, die an den Zufahrtsstraßen zum Ring leben, gibt es hingegen keine Gnade, weil der Stau sich zu ihnen hin verlagert hat. Von irgendwo muss der Verkehr herkommen, irgendwohin muss er abfließen.
Wettlauf von Hase und Igel
Das Auto der Zukunft fährt vielleicht mit Wasserstoff und wird von intelligenten Verkehrsleitsystemen in Verbindung mit dem Navigationsgerät genau dorthin gelotst, wo momentan gerade Parkraum frei und ein Verkehrsweg wenig frequentiert ist. Automatische Abstandshalter verhindern Auffahrunfälle, und: Möglicherweise sind die Deutschen irgendwann bei Sinnen und befürworten sogar ein Tempolimit auf Autobahnen. Einen Zugewinn an Mobilität aber, das ist die einfache Wahrheit, wird es nur geben, wenn weniger Autos unterwegs sind. Das gilt sogar in Teilen für die ländlichen Räume, wo das Auto im Großen und Ganzen nicht zu vertretbaren Kosten ersetzt werden kann.