Es sind die Verlierer der Mobilitätswende, die da in Wilhelmshaven auf große Frachtschiffe verladen werden. Bis zu 1500 Gebrauchtwagen können sogenannte Car Carrier wie die Grande Portogallo aufnehmen. Das 176 Meter lange Frachtschiff der italienischen Grimaldi Group machte erstmals im November an einem neu eröffneten Auto-Verladeterminal in Wilhelmshaven fest, um mehrere Hundert aussortierter Pkw ins Ausland zu verschiffen. Das Ziel: Nordafrika. "Nach erfolgreichem Abschluss der Verladung verließ die Grande Portogallo den inneren Hafen über die große Seeschleuse und nahm Kurs in Richtung Mittelmeer", erklärte der Automobil-Logistiker Mosolf anschließend schwärmerisch.
Autos aus Deutschland sind nicht nur als Neuwagen beliebt. Sondern auch als Secondhand-Ware: Rund eine halbe Million Gebrauchtwagen werden nach Angaben des Statistischen Bundesamts jedes Jahr ins Ausland exportiert. Kfz-Händler, Reedereien, Speditionen - sie alle profitieren von diesem internationalen Geschäft. Doch es gibt auch eine Kehrseite.
Elektroautos:Dreh mal lauter
Elektroautos, die keiner hört, sind gefährlich. Aber die Hersteller haben noch ein ganz anderes Problem: Wie soll man ihre Modelle unterscheiden, wenn der Klang fehlt? Ein Soundcheck auf der Straße.
14 Millionen gebrauchte Autos exportiert
So warnen die Vereinten Nationen, dass Regionen wie Afrika, aber auch Lateinamerika, der Nahe Osten und Osteuropa von einer Flut von Gebrauchtwagen belastet würden. "Millionen gebrauchter Autos, Vans und Minibusse, die von Europa, den USA und Japan in Entwicklungsländer exportiert werden, sind in schlechtem Zustand", heißt es in der Studie des UN-Umweltprogramms (UNEP). "Sie tragen erheblich zur Luftverschmutzung bei und behindern die Bemühungen, die Auswirkungen des Klimawandels abzuschwächen."
Der Studie zufolge wurden zwischen 2015 und 2018 weltweit etwa 14 Millionen gebrauchte Autos und Kleintransporter exportiert. Die Hauptzielländer waren solche mit niedrigen oder mittleren Durchschnittseinkommen, mehr als die Hälfte der Altfahrzeuge ging nach Afrika.
Der Verkehrssektor ist für etwa ein Viertel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Nur mit einer Umstellung der globalen Fahrzeugflotte auf sauberere Antriebe seien die Luftqualitäts- und Klimaziele zu erreichen, erklärt UNEP-Direktorin Inger Andersen. Doch das Gegenteil geschehe: "Im Laufe der Jahre haben Industrieländer ihre Gebrauchtfahrzeuge zunehmend in Entwicklungsländer exportiert. Da dies weitgehend unreguliert geschieht, wurde dies zum Export umweltschädlicher Fahrzeuge."
Bigotte Situation
Nun zeigt sich Deutschland durchaus emsig, die fast 50 Millionen Autos hier im Land zu modernisieren. Mit Milliarden-Subventionen versucht die Bundesregierung, lokal emissionsfreien oder zumindest -ärmeren Fahrzeugen zum Durchbruch zu verhelfen. Wer sein Altauto gegen ein neues Elektroauto eintauscht, erhält eine hohe Kaufprämie. Kritiker halten dies für bigott, wenn die aussortierten Fahrzeuge anderswo noch Jahre weiterfahren.
So wurden allein 2019 aus Deutschland etwa 520 000 Gebrauchtwagen exportiert. Die meisten gingen in EU-Nachbarländer, vor allem nach Frankreich (35 023). Doch direkt dahinter folgte schon Libyen (35 011). Auch Nigeria und Benin waren große Abnehmer, sowie Länder in Osteuropa wie etwa die Ukraine, Polen und Georgien.
In Afrika hat Andreas Manhart schon viele aussortierte Gebrauchtwagen fahren sehen, auch aus Deutschland. "Das fällt einfach auf, wenn man etwa alte Transporter mit verblichenen Schriftzügen deutscher Handwerksbetriebe sieht", sagt der Wissenschaftler des Freiburger Öko-Instituts, der zu Nachhaltigkeitskooperationen mit Schwellenländern forscht.
Öffentlicher Nahverkehr? Fehlanzeige!
Die Nachfrage nach Gebrauchtwagen in Afrika ist Manhart zufolge konstant hoch, weil es dort kaum Alternativen zum individualisierten Nahverkehr gebe. Viele Bahnstrecken seien stillgelegt, Fahrradfahren sei wegen der Masse an Autos oftmals zu gefährlich (wenngleich es mangels Alternativen dennoch viele Menschen tun). Unterm Strich erstickten afrikanische Großstädte wie die nigerianische Metropole Lagos mit 17 Millionen Einwohnern förmlich am Autoverkehr, berichtet der Wissenschaftler: "Von Montag bis Freitag herrscht da Verkehrskollaps, und die Luftqualität ist unglaublich schlecht."
Hierzulande ausgemusterte "Dreckschleudern" verstärkt in diese Länder zu exportieren sei ein Riesenproblem, sagt er. Ein Export-Stopp von Gebrauchtwagen, wie ihn die UNEP fordert, sei jedoch keine Lösung. Selbst importierte Neuwagen mutierten in Afrika oft in kurzer Zeit zu Luftverpestern, erklärt Manhart: Vor Ort sei die Spritqualität oft zweitklassig. Zudem verfielen Autos im Zeitraffer, weil es an solider Wartung in Fachwerkstätten und verpflichtenden Abgasuntersuchungen fehle. Fehlende Service-Intervalle bedeuteten überdies ein Sicherheitsrisiko.
"Bis der TÜV uns scheidet" - das sagt man hierzulande unter Gebrauchtwagenfahrern. Los wird man das Wrack dann problemlos, wenn auch für nicht viel Geld. Freie Kfz-Händler werben damit, alte Vehikel auch mit Unfallschaden, technischen Defekten oder abgelaufener HU-Plakette anzukaufen. Weitervertrieben werden die Fahrzeuge dann oft explizit "für den Export".
Keine Verpflichtungen
Mit dieser Deklaration tritt die Branche Verpflichtungen ab. Festgelegte Kriterien etwa in puncto Verkehrssicherheit oder Abgasverhalten, wie sie für in Deutschland betriebene Kfz existieren, gibt es für Export-Gebrauchtwagen kaum. Die Bezeichnung "für den Export" meine "unter anderem tatsächlich, dass man sich nicht den Gewährleistungsrisiken aussetzen möchte", sagt Ansgar Klein vom Bundesverband freier Kfz-Händler. In diesem Bereich existiere keine rechtliche Regelung bezüglich des Zustands von Gebrauchtwagen.
Das Bundesverkehrsministerium sieht sich auf Anfrage nicht zuständig und verweist ans Bundeswirtschaftsministerium, dieses wiederum ans Bundesumweltministerium (BMU). Dort heißt es, dass Exporteure dem Zoll vor der Ausfuhr bescheinigen müssten, dass die Gebrauchtwagen "funktionstüchtig" seien. Doch was soll das heißen? Dass der Motor läuft und die Bremsen noch funktionieren? Hat auch jemand Airbags und Assistenzsysteme kontrolliert?
Die importierenden Zielländer sind dann laut BMU in der Pflicht, Steuern oder Zölle für hochemittierende Fahrzeuge einzuführen - zumindest theoretisch. "Gleichwohl ist die Qualität der aus der EU exportierten Fahrzeuge verbesserungswürdig", räumt ein Ministeriumssprecher ein. Deutschland habe den Handlungsbedarf erkannt und unterstütze eine zum UNEP-Report angekündigte europaweite Initiative zur Qualitätsverbesserung von Exportautos.
Solche Mindeststandards sind aus Sicht von Experten längst überfällig. "Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation entfallen auf Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen etwa 93 Prozent aller Verkehrstoten weltweit. Das hat auch mit der unzureichenden Verkehrssicherheit der Fahrzeugflotten zu tun", erklärt Andreas Stamm vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Stamm lebte viele Jahre in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. "Dort ist die Autoflotte extrem alt, die typischen Taxis sind Ladas noch aus Sowjetzeiten." Diese würden, wie auch die privat genutzten Pkw, so lange gefahren, "bis es wirklich gar nicht mehr geht", berichtet er.
Der Wissenschaftler fordert strengere Regularien, damit künftig auch Exportautos die geltenden Verkehrssicherheitsauflagen erfüllen, die man in der EU kennt. "In Deutschland könnte das so etwas sein wie: mindestens ein Jahr TÜV ab Verschiffung", regt Stamm an. Beim Abgasverhalten sei dies schwieriger, weil keine klare Grenzlinie zwischen umweltverträglich und nicht umweltverträglich gezogen werden könne.
Der Wunsch nach einem eigenen Auto ist stark ausgeprägt
Immerhin entstehen auch in Afrika inzwischen Alternativen zum Autoverkehr. Als gute Modelle hebt Wissenschaftler Stamm den "Gautrain" in der Metropolregion Südafrikas und die Stadtbahn "Light Trail" in Addis Abeba hervor. Solche Projekte müssten stärker gefördert und der öffentliche Nahverkehr müsse massiv ausgebaut werden. Gleichwohl sei der Wunsch nach einem eigenen Pkw sehr stark, wie Studien aus Afrika und Lateinamerika zeigten, sagt Stamm: Individuelle Mobilität erhöhe die persönliche Reichweite der Menschen und damit die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden.
So wird die Nachfrage nach Gebrauchtwagen aus Europa vermutlich so schnell nicht abreißen. In Wilhelmshaven hat sich der Autotransporteur Mosolf darauf eingestellt und vor Kurzem seinen jüngsten von insgesamt 38 Standorten in Betrieb genommen. Bis zu 60 000 Autos pro Jahr sollen über die neu errichteten Kai-Anlagen nach Afrika verschifft werden. Nähere Angaben zu den Fahrzeugen und zu den Zielländern lehnte das Unternehmen auf Anfrage ab.