Fridtjof Nansen und die "Fram":Gefangen im Eis

Der Geburtstag des Polarforschers Fridtjof Nansen jährt sich zum 150. Mal. Er baute ein geniales Schiff: die "Fram".

Birgit Lutz-Temsch

Der Knochen. Seit 116 Jahren liegt er da. Erinnert an ein jämmerliches Überwintern. In einer Hütte, kaum mehr als ein Erdloch. Dürftig umrandet von ein paar Steinen. Darüber der First, ein angetriebener Baumstamm, bedeckt mit Eisbärfellen.

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Die Fram: Die abenteuerlichste ihrer Reisen war die dreijährige Drift durch das Eismeer, als Fridtjof Nansen zum Nordpol wollte.

(Foto: picture-alliance)

Der Knochen ist einer der Überreste der erjagten Tiere, die Fridtjof Nansen und Hjalmar Johansen im Winter 1895/96 das Überleben sicherten. Eisbären, Walrosse und Robben. Mit dieser Verpflegung harrten die beiden Männer aus, die ganze, lange Polarnacht. Auf der Jackson Insel, Teil des heute zu Russland gehörenden Archipels Franz Joseph Land, bevor sie sich weiter nach Süden durchschlugen.

Diese Reise durchs Eis ist eines der größten Abenteuer in der Geschichte der Menschheit. Der norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen, geboren vor 150Jahren, wollte mit ihr die Existenz einer Drift von der sibirischen Küste hinüber nach Grönland beweisen - und mit dieser Drift zum Nordpol gelangen.

Viele Expeditionen vor und nach ihm hatten sich an dieses Ziel gemacht. Etliche Schiffe wurden zerquetscht in den Eismassen des Polarmeers, zersplitterten in den gewaltigen Pressungen.

Deshalb lässt Nansen ein neues Schiff bauen - eines, das diesen Kräften standhält, oder besser, sich ihnen erst gar nicht aussetzt: die Fram. "Vorwärts" heißt dieser Name auf Deutsch, und vorwärts sollte das Segelschiff schließlich nicht nur Nansen bringen, sondern später auch noch einen anderen großen norwegischen Polfahrer, Roald Amundsen.

Auch er segelt mit ihr; 1911, vor hundert Jahren, dringt er bis in die Antarktis und schließlich als erster Mensch zum Südpol vor. Auch diese Reise sollte die Fram unbeschadet überstehen.

Revolution im Schiffsbau

Heute steht sie in einem um sie herum gebauten Museum in Oslo, das anlässlich der beiden Jubiläen gerade eine umfassende Renovierung erlebt. Geir Klöver, Direktor des Museums, ist der Stolz auf diesen Nationalschatz deutlich anzumerken. "Die Fram ist wunderbar", sagt er, bedächtig über die Reling streichelnd, "kein Schiff ist je so weit nach Norden und Süden vorgedrungen wie sie."

Bis es so weit war, musste Nansen allerdings viele Skeptiker überzeugen. Seine Idee der Reise mit der Eisdrift findet bei Weitem nicht nur Befürworter. Trotzdem bekommt er vom norwegischen Parlament 280.000 Kronen für seinen Plan, hinzu gesellt sich eine ganze Reihe privater Gönner. Nansens Vorstellung: Das Schiff soll sich durch seine runde Rumpfform vom Eis anheben lassen und nicht zwischen den Schollen zerdrückt werden. Klein, leicht und stabil soll es sein. Und im Innern so gemütlich, dass es eine Mannschaft mehrere Jahre gut darin aushalten kann.

Damit beschreitet er nicht nur neue Wege, was die Rumpfform betrifft. "Nansen wollte, dass alle Mannschaftsmitglieder ähnliche Kabinen haben und im selben Salon essen", sagt Klöver, "es sollte keine Trennung zwischen Offizieren und Matrosen geben. Wir Norweger mögen es ja nicht so, wenn große Unterschiede zwischen den Menschen gemacht werden."

Seine Anforderungen stellt Nansen an einen der bekanntesten Schiffbauer der damaligen Zeit, den aus Schottland stammenden Colin Archer. 39 Meter lang baut der die Fram, elf Meter breit, bei einem Tiefgang von fünf Meter und einer Verdrängung von 800 Tonnen. Am 21.Juli 1893 läuft sie aus Vardö aus, beginnt ihre Reise ins Ungewisse.

Zwei Monate später friert sie nahe der Neusibirischen Inseln im Eis ein. Bei der ersten Eispressung, die das Schiff erzittern lässt, notiert Nansen in seinem Tagebuch: "Die Fram verhielt sich wundervoll, wie ich es von ihr erwartet hatte. Mit stetigem Druck schob sich das Eis heran, musste jedoch unter uns durchgehen, und wir wurden langsam in die Höhe gehoben." Dieser Teil des Plans also geht auf.

Das Schiff wird nicht zerdrückt, doch seine Reise verläuft anders, als Nansen gehofft hat - weit südlicher. Er trifft deshalb einen wagemutigen Entschluss: Nach anderthalb Jahren des Driftens verlässt er die Fram im März 1895, um den Pol auf Skiern zu erreichen. Hjalmar Johansen, als Heizer an Bord, begleitet ihn; an Bord bleiben zehn Kameraden und der Kapitän Otto Sverdrup.

Legendäre Rückkehr

Es ist klar: Zur Fram werden die beiden nie zurückfinden. Sie werden nach einem etwaigen Poltriumph Richtung Franz Joseph Land gehen müssen, einem Archipel, 900Kilometer vom Pol entfernt, von dem es damals nur sehr vage geographische Vorstellungen gibt.

Doch den Pol erreichen sie nicht. Knapp über dem 86. Breitengrad drehen sie um, zu langsam kommen sie voran mit ihren schweren Schlitten, zu aufgeworfen ist das Eis. Mit viel Mühen kämpfen sie sich tatsächlich nach Franz Joseph Land, wo sie in jener Hütte überwintern, deren Reste heute noch zu sehen sind.

Ein unwirtlicher Platz, an dem die Männer damals die Polarnacht abwarten, beleuchtet nur durch die rußenden Tranlichter, die sie mit dem Fett der erlegten Tiere betreiben. An Weihnachten notiert Nansen zur Feier des Tages: "Johansen hat sein Hemd gewendet, ich habe dasselbe getan."

In jener Hütte bietet Nansen Johansen auch an, ihn mit seinem Vornamen anzureden. Nach Monaten des Schlafens in einem Schlafsack. So weit her ist es mit Nansens Vorstellung von der Gleichheit der Menschen dann doch nicht - denn beim Sie bleibt es.

Im darauffolgenden Sommer schlagen sich die Männer nach Süden durch, und es kommt es zu einem der größten Zufälle der Geschichte. In der Nähe Kap Floras, auf einer der südlichsten Inseln des Archipels, hören sie Hundegebell; wenig später treffen sie auf die Expedition des Briten Frederick George Jackson - ihre Rettung. Mit seinem Schiff gelangen sie ins norwegische Vardö zurück, am 13. August 1896. Mehr als drei lange Jahre nach der Abfahrt.

Und die Fram? Driftete weiter mit dem Eis durch das Polarmeer, ebenfalls drei Jahre lang. Nie wurde sie von den Pressungen nennenswert beschädigt, und als das Eis sie schließlich freigab, setzte Sverdrup nördlich von Spitzbergen erstmals wieder die Segel. Die Existenz einer transpolaren Drift war bewiesen. Und nach all den Unwägbarkeiten, nach all der langen Zeit kehrte die Fram am 20.August 1896 nach Norwegen zurück. Genau sieben Tage nach Nansen und Johansen.

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