Süddeutsche Zeitung

Frachtensegler auf dem Gardasee:Erinnerung vor dem Wind

Die aufwendig restaurierte "Siora Veronica" erinnert an die große Zeit der Frachtensegler auf dem Gardasee.

Alexander Steinbrecht

Jeder, der auf dem Gardasee schon gesegelt oder gesurft ist, kennt dessen regelmäßige und gut voraussagbaren Winde. Denn seine besondere Lage - im Norden fjordartig zwischen hohes Gebirge eingezwängt, im Süden sich breit in die Poebene vorschiebend - bewirkt den täglichen Wechsel zwischen dem Pelèr, dem frischen Nordwind aus den Bergen, und der warmen Ora aus dem Süden, die meist in den Mittagsstunden einsetzt.

Jahrhundertelang ging der Verkehr zwischen Riva und Torbole im Norden und den Orten im Süden von Malcesine und Gargnano ausschließlich übers Wasser, denn steil ins Wasser stürzende Felswände ließen an beiden Ufern auch für den schmalsten Saumpfad keinen Platz. Nicht nur Personen wurden mit Segelbooten befördert, weit bedeutender war der Güterverkehr: Holz, Kohle und Steine wurden von Norden nach Süden, Früchte, Öl und Wein von Süden nach Norden transportiert.

Barconi wurden diese Lastensegler genannt - geräumige große Schiffe, von denen die größten 20 Meter Länge maßen und bis zu 70 Tonnen Nutzlast tragen konnten. Ein spöttischer Chronist verglich einmal den Bauplan mit einer Gans ohne Kopf und Beine, aber dank seiner Zweckmäßigkeit wurde er seit dem Mittelalter kaum verändert. Ende des 19. Jahrhunderts gingen die Werften von der alten Holz- zur Stahlbauweise über. Aber das Rigg blieb: Zwei Masten trugen große farbige trapezförmige Vierecksegel an langen luggerartig geführten Spieren, die vor dem Wind nach beiden Seiten ausgestellt werden konnten. Ein mächtiger Klüverbaum ermöglichte das Führen eines großen dreieckigen Vorsegels.

Erst 1931 wurde die Tunnelstraße von Riva nach Salò eingeweiht; auch die Gardaseeschiffer feierten dies mit einer grandiosen Regatta. Mehr als 30 große Lastensegler nahmen teil, darunter auch die Veronica und die San Nicolò. Niemand konnte damals ahnen, dass diese beiden Schiffe einmal die einzigen Überlebenden dieser stattlichen Flotte sein würden. Aber die neuen Straßen nahmen den Schiffern ihren Erwerb, die stattlichen Boote verrotteten langsam.

Im Jahr 2001 fanden die Südtiroler Anna und Hans Renner die alte Veronica. Trotz des traurigen Anblicks des vom Rost zerfressenen Stahlrumpfs waren die eleganten Linien dieses einstmals schönen Schiffs noch immer unübersehbar. Und die Renners fassten den Entschluss, dieses Schiff wieder zu einem Großsegler auf dem Gardasee zu restaurieren.

Was anfangs von vielen als verrückte Idee belächelt wurde, sollte ein langer Weg werden. Denn als Hans Renner den 1926 in Peschiera genieteten Stahlrumpf übernahm, gab es am Gardasee keine Werft mehr, die das Schiff hätte sanieren können. So musste der 18 Meter lange Rumpf auf einem Tieflader nach Viareggio an die ligurische Küste transportiert werden - nur dort konnten die schadhaften Stahlplatten ersetzt werden. Wieder zurück am Gardasee, bekam der Segler ein neues, leicht geändertes Rigg. Weil die Lastensegler früher meist nur vor dem Wind segeln konnten, entwarf der französische Yachtdesigner Daniel Bombigher ein amerikanisches Schonerrigg - mit den beiden großen Gaffelsegeln und den elegant zurückfallenden Masten hat sie nun bessere Segeleigenschaften am Wind und kann durchaus sportlich gesegelt werden.

Dieses neue Erscheinungsbild und der heute unerlässliche Schiffsdiesel sind aber fast die einzigen Kompromisse an die Neuzeit. Die Masten sind aus Holz, die beige Farbe der Segel und das Material des stehenden und laufenden Guts erinnern an vergangene Zeiten; liebevoll rekonstruiert sind Deck und Reling, überall glänzt das goldene Messing der Beschläge. Die Kajüte freilich ist um vieles komfortabler als dazumal; ein großer Dieselofen sorgt abends für behagliche Wärme, zwei Toiletten und eine Dusche vervollständigen den Komfort. Am 22. Juni 2003 erfolgte nach neun Monaten Restaurierung die Jungfernfahrt des nun zur Siora Veronica geadelten alten Frachtenseglers.

Auch die nur wenig kleinere San Nicolò wurde von einem Südtiroler restauriert, dem Hotelier Oswald Strasser aus Bardolino. Sie trägt das Rigg einer Gaffelketsch und fährt jetzt ebenfalls als Tourensegler für zahlende Gäste. Fast jedes Jahr treten die beiden Traditionsschiffe zu einer Wettfahrt an unter lebhafter Anteilnahme der Öffentlichkeit.

Wenn Siora Veronica in einen der kleinen alten Häfen des Gardasees einläuft, empfindet man die Silhouette des großen Seglers wie eine Erscheinung aus längst vergangener Zeit und freut sich über die Harmonie zwischen dem Holz und Tauwerk der Takelage und dem Marmor und Gemäuer der Palazzi dahinter. So ist eine Reise an Bord der Siora Veronica ein Erlebnis der besonderen Art - wer will, darf Hand anlegen beim Segelsetzen und anderen Manövern. Auch wenn Hans Renner und Maat Domenico das Schiff mühelos alleine fahren, ist jede Hand willkommen. Für jeden Segler der größte Genuss aber ist es, am Ruder dieses majestätischen Schiffs zu stehen und zu spüren, wie sensibel es in der Hand liegt. Wenden und besonders Halsen müssen natürlich mit Bedacht gefahren werden, denn Bäume und Gaffeln sind gigantisch im Vergleich zu den Alurigg der Segelyachten unserer Tage.

Wem der Sinn nicht nach nautischer Betätigung steht, der kann sich ganz einfach schippern lassen und mit einem Glas Bardolino in der Hand die herrliche Sicht auf die Felswände des Ufers und die malerischen Orte dazwischen genießen. Aber auch fürs Sonnenbaden bietet das geräumige Deck genügend Platz. Wenn der Pelèr nachlässt, kann man an Land gehen und beim Mittagessen geruhsam auf das Einsetzen der Ora warten, die das Schiff und seine Gäste leider meist viel zu schnell nach Hause bringt. So ist die Siora Veronica ein vertrauter Anblick auf dem Gardasee und alle sind dankbar, dass ein Stück Schifffahrtshistorie zu neuem Leben erweckt wurde.

Weitere Infos: www.letsgosailing.it

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.412584
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.04.2009/gf
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.