Ford Escort RS Cosworth:Wider die Macht des Windes

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Eine zerfurchte Karosserie und sportliche Fahreigenschaften

(SZ vom 13.07.1994) Wer seine Daseinsberechtigung nicht kennt, ist geneigt, einfach wegzuschauen, unverständig den Kopf zu schütteln oder bestenfalls Mitleid zu zeigen: Was hat man dem nur angetan? Wenn die Frage mehr dem Auto als dem Piloten gilt, kann geholfen werden. Die Antwort lautet: Dieser geradezu rücksichtslos auf optimale Luftführung hin modellierte Ford Escort RS Cosworth ist die Straßenversion seines gleichnamigen Rallye-Bruders, der 1993 mehr als 50 internationale Siege einfuhr und 1994 die Rallye Monte Carlo gewann. Als Wettbewerbsauto brauchte es all dieses Geflügel am faltenreichen Karosseriekleid, um sich der Macht des Windes zu stellen, wissen die Experten. Und nur solche wagen sich ihm zu nähern.

Die erste Version des Muskelprotzes mit doppelstöckigem Leitwerk über dem Kofferraum schockte die Öffentlichkeit 1992. Inzwischen haben fast 9000 Cossies die Fertigungsstraße bei Karmann im westfälischen Rheine verlassen. 5000 hätten zur Homologation für den Rennsporteinsatz gereicht. In diesen Tagen nun rollt die zweite Welle dieser High-Tech-Ford zu den Händlern. Das Augenfälligste: der zur Homologation notwendige Doppelflügel wich einem zivilen Heckspoiler, wenngleich man ihn ohne Mehrpreis noch immer bekommt.

Die Ruppigkeit verloren

Von außen unbemerkt bleiben die technischen Modifikationen, die den bisher recht ruppigen Sport-Ford mit permanentem Allradantrieb zu einem sportlich- kultivierten Automobil mit erstaunlichen Reserven adeln. Hauptsächlich verantwortlich dafür zeichnet der neue Garrett- Turbolader T-25, der den bisherigen T-35 ablöst. Der kleinere Lader spricht wesentlich früher und viel sanfter an und sorgt für einen günstigeren Drehmomentverlauf im Alltagsbetrieb. 1000 Touren früher baut er nun Ladedruck auf, so daß die 290 Newtonmeter Drehmoment des 2,0-l- DOHC-16V-Turboaggregats nun schon bei 2500 Touren anliegen. Dieser Wert bleibt bis über 5000/min erhalten.

Daneben wich das bisher verwandte Weber-Marelli-Motormanagement-System dem Ford-eigenen EEC IV. Es steuert den Ladedruckverlauf bis zum Maximalwert von 0,85 bar, der allerdings durch ein verändertes Overboost-Programm für jetzt sogar acht Sekunden bis zum Grenzwert von 1,3 bar überschritten werden kann. Damit wird ein zügiges Überholmanöver zur harmlosen, aber kaum weniger beeindruckenden Kopie eines Raketenstarts.

Die mit Luft und Wasser gekühlte Ladeluft des bisherigen Escort RS kühlt ab sofort ausschließlich der Fahrtwind. Wie bisher werden 162 kW (220 PS) bei 5750 Touren abgegeben. Angenehmer Nebeneffekt des neuen Motormanagements: Der Cossie-Motor kann mittels Diagnose- Computer nun von jedem Ford-Händler gewartet werden. Ein Blick unter die Motorhaube des furchterregend mit Luftein- und -auslässen dekorierten Zweitürers beweist: Auch der Zylinderkopf ist neu. Verschleißmindernde Ventilführungen, ein neues Ölsystem, bessere Entlüftung des Motorgehäuses, andere Auspuffkrümmer und ein größerer Katalysator sprechen für die gestiegene Lebenserwartung des Gesamtsystems Sport-Ford. Der Norm-Kraftstoffverbrauch im Drittelmix soll laut Hersteller zehn Liter Super bleifrei nicht überschreiten. Ob sich dieser Wert in der Fahrpraxis erreichen läßt, sei dahingestellt. Aber der Normwert läßt auf gute Alltagstauglichkeit schließen.

Die Fahrleistungen blieben gegenüber dem Vorgängermodell unverändert, variieren aber je nach Spoilergröße. Wer den auffälligen Doppelflügel am Heck bevorzugt, muß sich zwar mit einer Höchstgeschwindigkeit von 225 km/h zufrieden geben, kann aber auf hohen Anpreßdruck vertrauen, der sich auch im zügigen Alltagstempo bemerkbar macht - beispielsweise bei starker Verzögerung aus hoher Geschwindigkeit. Dann imponiert auch die Hochleistungs-ABS-Bremsanlage mit vier innenbelüfteten Scheiben. Gegenüber dem Escort RS Cosworth, der mit gemäßigtem Windabweiser sogar 232 km/h erreichen kann, bietet der Flügel-Cossie tatsächlich mehr Sicherheitsreserven. Sein Sprintvermögen aus dem Stand auf 100 km/h dokumentieren 6,1 Sekunden.

Wer im Cockpit fest in höhenverstellbaren Recaros sitzt, lernt den RS Cosworth als rasanten Sportler mit sehr guten Handlingeigenschaften kennen. Dazu trägt insbesondere das überzeugende Allradsystem nach Ferguson mit selbstsperrender Viscose-Kupplung im Zentraldifferential bei. Es schickt die Kraft im Normalfall zu 66 Prozent an die Hinter- und zu 34 Prozent an die Vorderachse, kann aber bei Bedarf variabel verteilen. Eine weitere Viscosperre an der Hinterachse überwacht die Kraftverteilung auf deren beide Räder. Den Feinschliff bietet die gelungene Abstimmung von aufwendigem Fahrwerk mit Gasdruckstoßdämpfern und geschwindigkeitsabhängiger Servolenkung. Der knapp 1300 Kilogramm schwere Cossie ist auch auf unebenem Asphalt exakt zu führen, sein Fünfganggetriebe verlangt lange Schaltwege, die Übersetzung aber überzeugt.

Unter harter Schale - was durchaus wörtlich zu verstehen ist, denn der Cossie überzeugt mit steifem Karosserieaufbau - bietet er gefällige Fahrkultur und moderne Sicherheitstechnik zu einem Preis ab 59 730 Mark. Neben Zentralverriegelung und höhenverstellbaren Gurt-Anlenkpunkten sind Gurtstraffer ebenso serienmäßig wie der Fahrer-Airbag. Einen ebensolchen für den Beifahrer gibt es gegen Aufpreis. Erwähnenswert sind eine beheizbare Frontscheibe, elektrische Fensterheber vorn, elektrisch beheiz- und verstellbare Außenspiegel sowie Kopfstützen hinten, die in der Version Luxus zum Serienumfang gehören, für die Version Standard aufpreispflichtig sind. Ein elektrisches Schiebe-Hubdach und ein CD-Audiosystem schlagen in beiden Versionen extra zu Buche. Neben einer Diebstahlwarnanlage - populär als Alarmanlage bekannt - verfügen alle RS Cosworth über eine neue Dreikanal-Wegfahrsperre.

Der Cossie wirkt mächtiger

Gegenüber dem Basismodell wirkt der Escort RS Cosworth auf 8*16-Zoll- Leichtmetallfelgen nicht nur optisch mächtiger, er ist es tatsächlich auch: 17,5 Zentimeter länger, fünf Zentimeter breiter und mit einem um 26,5 Millimeter größeren Radstand. Deshalb unterscheiden sich auch mehr als die Hälfte aller Karosserieteile und Bleche von der dreitürigen Escort-Basis. Sie produziert Karmann selbst, zusätzlich zur Allrad-Bodengruppe.

Zehn bis fünfzehn Escort RS Cosworth täglich werden weiterhin dort gebaut. Eine Nachfragesteigerung könnte von denen initiiert werden, die einer überzeugenden Technik den Sinn fürs Ästhetische opfern. Daß sich über Geschmack gerade angesichts des Escort RS Cosworth gut streiten läßt, legen die Zahlen nahe: Etwa 40 Prozent aller Cossie-Kunden greifen zum hohen Geflügel. Wirklich nur wegen des hohen Anpreßdrucks?

Von Jürgen Zöllter

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